Kroos pomadig, Müller bitter Irland foppt Löws ruckelnde Roboter-Elf
09.10.2015, 05:29 Uhr
Joachim Löw: Muss nun gegen Georgien die EM-Teilnahme eintüten.
(Foto: picture alliance / dpa)
Beim letzten Pass uninspiriert, im Abschluss unkonzentriert, in der Abwehr einmal indisponiert: Gegen Irland schlägt sich die DFB-Elf selbst - weil sich Joachim Löws zuletzt so gut geölte Fußball-Roboter Sand ins Automatikgetriebe streuen.
Das musste ja so kommen. Kaum steht irgendwo, Bundestrainer Joachim Löw habe die post-titulare Anspannungsstörung seiner Fußball-Weltmeister endgültig kuriert, erleidet sein Team einen Rückfall. Mit dem für einen Fußball-Weltmeister blamablen 0:1 (0:0) gegen Irland verpasste Deutschland an diesem Donnerstagabend nicht nur das fest eingeplante vorzeitige Ticket für die EM 2016 und bescherte sich und Leipzig zum Abschluss am Sonntag ein Finale gegen Georgien. Das DFB-Team beendete vor 50.604 Zuschauern, die nach Schlusspfiff mehrheitlich "I just can't get enough" grölten, auch seine schöne Erfolgsserie von fünf Qualifikationssiegen in Serie - und verpasste es außerdem, an die durchaus weltmeisterlichen Auftritte aus dem September anzuknüpfen.
Löws Hoffnung, auch mit nur einer einzigen Trainingseinheit würden gegen Irland "gewisse Automatismen" im deutschen Spiel greifen und ein Erfolgserlebnis ermöglichen, erfüllte sich nicht. Zwar dominierten die deutschen Fußballer die Iren phasenweise mit der Selbstverständlichkeit einer Roboter-Elf. Allerdings verstand es Irland, immer wieder Sand ins DFB-Getriebe zu streuen und hatte das nötige Glück, dass Löws Team im Abschluss mehrfach kläglich versagte. Deutschlands ruckelnde Roboter-Elf in der Einzelkritik.
Manuel Neuer: Der Welttorhüter trug in seinem 61. Länderspiel als Vertreter von Bastian Schweinsteiger die Kapitänsbinde. Wurde womöglich auch deshalb schon früh ins deutsche Passspiel einbezogen, weshalb er früh mit ersten Fehlpässen auffiel. Ließ sich gegen anfangs energisch pressende Iren zunächst von der Ideenlosigkeit seiner Feldspielerkollegen anstecken, tat sich erst in der zweiten Halbzeit mit flotten Abschlägen in die Spitze als veritabler Spieleröffner hervor - etwa, als er in der 55. Minute den bis dahin besten deutschen Angriff einleitete, den Andre Schürrle allerdings kläglich abschloss. Spazierte anfangs bei deutschen Ecken im gemächlichen Schweinsteiger-Spieltempo bis zur Mittellinie, ließ das nach Ansicht der bescheidenen Eckenqualität später lieber bleiben. Wurde von den Iren torwarttechnisch erst nicht geprüft. Als dann in der 70. Minute doch einmal, war er im Duell mit Shane Long nur zweiter Sieger.
Matthias Ginter: Der Null-Minuten-Weltmeister ersetzte rechts in der Abwehrkette mit Emre Can den einzigen Spieler im DFB-Kader, der mit einer 100-prozentigen Siegquote nach Dublin gereist war. Der in Dortmund zum Rechtsverteidiger umgeschulte Ginter unterstrich in seinem sechsten Länderspiel trotz der Niederlage seine Ambitionen, im DFB-Team auch künftig dort tätig zu werden - das allerdings mit mehr Eifer als Ertrag und mehr Ballkontakten als Ideen. Hatte in der 15. Minute nach flacher Hereingabe zu Mario Götze schon den Torschrei auf den Lippen. Musste dann aber mit anhören, wie stattdessen das Dubliner Stadion nach Richard Keoghs Rettungsaktion erleichtert aufstöhnte. Tauchte in der zweiten Halbzeit ab und wurde in der 77. Minute durch Offensivspieler Karim Bellarabi ersetzt. Der Leverkusener kommt jetzt auf neun Länderspiele.
Jérôme Boateng: In seinem 55. Länderspiel, dem ersten nach Krönung zum "Kaiser" durch Bayern-Teamkollege Thomas Müller, gab Boateng den souveränen Abwehrchef. Lässig gut im Stellungsspiel, kompromisslos im Zweikampf, mit Überblick in der Spieleröffnung, nur beim Abschluss zu ungenau. Hätte in der 9. Minute eine Ecke zum 1:0 einköpfen können, köpfte aber drüber. Musste außerdem erkennen, dass sich die Iren auf die gegen Dortmund so erfolgreichen Mondbälle, die nach einem Abstecher in die Erdumlaufbahn plötzlich punktgenau auf dem Fuß des eigenen Angreifers landen, eingestellt hatten. So gut sogar, dass Irlands Ersatzkeeper Darren Randolph vor dem irischen 1:0 selbst ein kaiserlicher Boateng-Gedächtnispass gelang - bei dem der echte Boateng ebenso indisponiert war wie die Abwehrkollegen Hummels und Hector. Wollte sich in der 81. Minute per Gewaltschuss an Randolph rächen, doch der parierte souverän.
Mats Hummels: Machte vor dem Spiel öffentlich, dass ihn seine Freunde "Motzki" getauft haben. Motzte dann natürlich auch in seinem 42. Länderspiel. Erstmals in der 24. Minute gegen Jon Walters, als der vermeintlich einen Elfmeter gegen ihn schinden wollte. Wenig später gegen sich selbst, als sein Zuspiel auf Jonas Hector im Aus landete. War beim Gegentor in der 70. Minute auch "involviert", sagte er nach dem Spiel: "Ich war nicht der Einzige, aber ich komme zu spät." Produzierte im eigenen Strafraum außerdem eine bemerkenswerte Kerze, nahm in der Schlussphase aktiv an der Belagerung des irischen Strafraums teil und hatte in der 94. Minute per Kopf die letzte DFB-Chance zum Ausgleich.
Jonas Hector: Der Kölner ging mit einem Lob des Bundestrainers in sein achtes Länderspiel, nämlich: "Jonas Hector hat in den letzten Spielen sicherlich einen großen Sprung gemacht." Konnte sich gegen Irland trotz erstaunlicher 102 Ballkontakte kein weiteres Lob verdienen, obwohl die Iren den Linksverteidiger kaum zum Verteidigen nötigten. Als doch einmal ernsthaft, fiel das Gegentor. Darf sich auf Links trotzdem weiter als festgespielt betrachten.
Toni Kroos: Der Irland-Experte im deutschen Team wurde vom Stadionsprecher in Tony Cruise umgetauft. Hatte bislang dreimal und damit öfter als jeder andere DFB-Kicker im Kader gegen die Iren getroffen, zuletzt beim 1:1 im Oktober 2014. Beschränkte sich diesmal auf die Rolle als Ballverteiler, tat dies mit Umsicht, aber zu wenig Esprit und Vertikalität. Bemerkenswerteste Szene seines 61. Länderspiels: Ein ballloser Trab durchs irische Mittelfeld in Hälfte zwei, mit dem Rücken zur eigenen Abwehr, obwohl die den Ball hatte und ihn womöglich gern angespielt hätte. Durfte sich durchaus angesprochen fühlen, als der Bundestrainer nach der Pleite eine gewisse Pomadigkeit im deutschen Spiel monierte.
Ilkay Gündogan: Bildete nach dem Ausfall von Kapitän Schweinsteiger mit Kroos die zentrale Mittelfeldschaltstelle im "Abnutzungskampf" (Löw) gegen die Iren, arbeitete auch nach hinten ordentlich mit. Hätte um ein Haar auch noch die zentrale Rolle des Schützen zum 1:0 übernommen, doch sein Schuss aus 10 Metern wurde in der 13. Minute gerade noch über die Latte gegrätscht. Riskierte mehr als Kroos und produzierte daher auch einige Fehlpässe. Bildete ansonsten mit Hummels, Hector, Özil und Müller die orangefarbene Schuh-Fraktion im deutschen Team. Sein 14. Auftritt im DFB-Trikot endete in der 84. Minute, als er für Kevin Volland raus musste.
Marco Reus: Rutschte für Bastian Schweinsteiger in die Startelf. Wurde in der ersten halben Stunde von seinen Teamkollegen häufig gesucht, bei seinen meist glücklosen Ballaktionen von den Iren aber auch intensiv bearbeitet. Hatte seine stärkste Szene, als er zu Beginn der zweiten Halbzeit einen schnellen Abschlag von Neuer technisch stark kontrollierte und auf Schürrle weiterleitete, der weit drüber schoss. Wurde selbst allerdings auch nicht torgefährlicher als der Wolfsburger und zeigte phasenweise eine Ballannahme, die eher an Jürgen "Flipper" Klinsmann als an einen Edeltechniker erinnerte. Erfreulichste Nachricht aus Reus-Sicht: keine neue Verletzung.
Thomas Müller: Er lief viel ohne Ball, grätschte auch im Mittelfeld, fintierte, wenn er denn mal den Ball hatte. Er übernahm irgendwann in der ersten Halbzeit die Ecken von Kroos, was deren Qualität aber nur unwesentlich erhöhte. Und er sank in der 78. Minute schließlich verzweifelt im irischen Strafraum auf die Knie, nachdem er die Großchance zum Ausgleich versiebt hatte. Weil er, wie er sagte, schlicht "einen Tick zu weit links" gezielt hatte. Fand sein verschenktes 31. Länderspieltor "bitter für mich, aber noch schlimmer für die Mannschaft".
Mesut Özil: Kam als gefeierter Torschütze und Vorbereiter bei Arsenals 3:0 gegen Manchester United zur Nationalelf, vernahm nach dem Spiel aber keine neuen Hymnen auf seine Person. Traf zwar in der 19. Minute nach Müller-Zuspiel ins irische Tor, stand dabei aber im Abseits. Hatte in der 40. Minute nach Müller-Zuspiel noch die Chance auf ein reguläres Tor, schwächelte den Ball aber am Kasten vorbei. Auch Özils 69. Länderspiel war eines, in dem er nicht wirklich zeigte, was er alles kann.
Mario Götze: Rieb sich im Sturmzentrum gegen die robusten Iren auf - die mit vielen Läufen aber auch. Zerzauste sich in der 15. Minute die Frisur, als ihn eine irische Fußspitze um sein 17. Nationalmannschaftstor brachte. Hätte da schon eigentlich seinen zweiten Scorerpunkt sammeln müssen, hätte nicht zwei Minuten zuvor eine irische Fußspitze Gündogans 1:0 nach feinem Götze-Pass verhindert. War bis zu seiner frühen Auswechslung wegen einer Adduktorenverletzung in Minute 35 nicht allzu viel am Ball, aber viel unterwegs - und wusste mit dem Ball anders als der für den WM-Finaltorschützen eingewechselte WM-Finaltorvorbereiter Andre Schürrle meist etwas Sinnvolles anzufangen. Götzes Kreativität wird dem DFB-Team gegen Georgien fehlen.
Quelle: ntv.de