FCB scheitert an Atlético Dortmund Lahm ist verbittert, Tuchel leidet hart
20.11.2016, 10:57 Uhr
Leiden für den Sieg: BVB-Coach Thomas Tuchel.
(Foto: imago/Eibner)
Die Laune beim FC Bayern ist im Keller. Die Tabellenführung in der Fußball-Bundesliga ist nach der Niederlage in Dortmund futsch. Schlimmer als das Abrutschen auf Platz zwei ist aber das Spiel des Rekordmeisters.
Ein lautes, ein verdammt lautes "Roooooooarrrrr" dringt aus der Kabine von Borussia Dortmund. Noch ein Schrei, dann lautes Wummern, harte Bässe, derber Hiphop - schwarzgelb feiert im fast ekstatischen Freudenrausch. Thomas Müller bekommt von all dem indes gar nichts mit, will er auch nicht. Im Eiltempo hat er sich geduscht und umgezogen. Als die Party losgeht, sitzt der Fußball-Nationalspieler aus München längst im Bus, gefrustet, bereit für die Abfahrt, bereit den Abend zu vergessen. Den Abend, an dem der FC Bayern die Tabellenführung in der Bundesliga verloren hat. Die Bayern sind nicht mehr Spitzenreiter, weil sie in Dortmund durch ein Tor von Pierre-Emerick Aubameyang mit 0:1 (0:1) unterlagen, weil sie zwar dominant spielten, aber völlig uninspiriert. Und weil Aufsteiger RB Leipzig weiter richtig guten und erfolgreichen Fußball abliefert. Die Sachsen sind nun Erster und die Gejagten. Nicht unerwartet, aber vielleicht doch unerwartet schnell.
"Das ist doch schön für die Liga, das haben sich doch alle gewünscht", erklärte Philipp Lahm nach dem Spiel. Er sagte das so, wie Philipp Lahm Sätze fast immer sagt: ruhig, freundlich. Und doch lag eine ungewohnte Spannung in der Luft. Denn genau das, was der Kapitän des FC Bayern da sagte, wollten sie beim Rekordmeister doch eigentlich unbedingt verhindern. Dass die Liga nämlich plötzlich wieder spannend ist, sich nicht nur der BVB als ernstzunehmender Rivale anbietet, sondern auch Leipzig, Köln und Hoffenheim nach elf Spieltagen noch in Reichweite oder sogar vor den Bayern sind. Die Münchener hätten den Trainerwechsel im Sommer von Kontrollfreak Josep Guardiola auf den väterlich-freiheitlichen Carlo Ancelotti gerne geräuschlos abgewickelt. Doch das ist gründlich schiefgegangen. Stattdessen kocht die Mannschaft das Thema durch ihren Dominanzverlust und taktisch umständliche Spielereien wieder und wieder heiß auf.
Bayern stottert schon länger
Dass der schier unbezwingbar erscheinende Serienmeister in dieser Saison angreifbarer ist und Siege nach schlechteren Leistungen nicht mehr erzwingen kann, ist keine neue Erkenntnis des Abends in Dortmund. Bereits bei den Punkteteilungen mit Köln (1:1), Hoffenheim (1:1) und Frankfurt (2:2) hatte sich offenbart, dass die große Souveränität der vergangenen Jahre weg ist, dass das Selbstverständnis fehlt, jedes Spiel und jeden Gegner zu beherrschen. Und nach der ersten vergeigten großen Prüfung in dieser Saison, dem Champions-League-Gruppenspiel bei Atlético Madrid (0:1), ging gegen die Borussia nun auch das von den Bayern als "schwerstes Auswärtsspiel der Bundesliga" ausgemachte Duell verloren.
Einen Trend für die Saison wollen sich die Münchener daraus aber keineweges einreden lassen. Sie versuchen sich eher darin, das eigene Handeln auf dem Rasen stark zu reden. So war der in Dortmund über 90 Minuten vehement ausgepfiffene Mats Hummels bei seinem ersten Bundesliga-Spiel in alter Umgebung gar nicht richtig unzufrieden. Zwar sei die verlorene Tabellenführung nicht schön, aber eben auch kein Weltuntergang: "Ich schaue nur auf unsere Leistung, nicht auf das Ergebnis und die war gut." So sah es auch Ancelotti, der die obliagtorische Pressekonferenz zwar mit den Worten "wir sind nicht glücklich" begann, dann aber eiligst nachschob: "Die Leistung war gut, das Ergebnis nicht." Nun gibt's bei der Spielanalyse immer gleich mehrere Ansätze, um sich der Wahrheit zu nähern.
Die Zahlen freilich sprechen für den FC Bayern. Deutlich mehr Torschüsse, sehr viel mehr Pässe, noch viel mehr Ballbesitz und selbst in den Zweikämpfen waren die Münchener in Dortmund bissiger und erfolgreicher. Das alles liest sich prima und wäre wie zu Guardiolas Zeiten auch jetzt wieder ein besonders beeindruckender und gelungener Erklärungsansatz für das dominante Auftreten. Doch die Bayern beeindrucken trotz aller Statistiken nicht mehr. Ihr Spiel wirkt oft ideenlos, ohne klaren Plan für die Offensive, nicht mehr so zermürbend-bösartig wie in den vergangenen Jahren und taktisch auch unreifer. So habe seine überraschte Mannschaft, erklärte Ancelotti, auch 20 Minuten gebraucht, um sich auf den BVB einzustellen. Er selbst verfolgte das seelenruhig, anders als Dauerdirigent Tuchel und nochmal anders als sein Vorgänger, der Taktik-Duracell Guardiola. Es waren aber blöderweise genau jene 20 Minuten, in denen der FCB überrascht und überfordert war, in denen die super aggressive und schnörkellose Borussia die Grundlage für ihren Sieg legte.
"Das war Atletico-Madrid-Style"
Und dabei nahmen sich die Dortmunder eine kleine Anleihe bei jenem Klub, der die Bayern in diesem Jahr bei drei Aufeinandertreffer so sehr geärgert hatte: "Dieses Spiel war ein wenig Atletico-Madrid-Style von unserer Seite", freute sich Sportdirektor Michael Zorc. Was also nun das bedeutet: Hinten stand die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel massiert, sehr sicher und wehrte alle Attacken des FCB mit einer Bärenruhe ab. Die drei Innenverteidiger Sokratis, Matthias Ginter und Marc Bartra machten das Zentrum dicht, auf den Flanken verhinderten Lukasz Piszczek und Kapitän Marcel Schmelzer die Angriffswucht eines Frank Ribéry sowie die Unberechenbarkeit eines Thomas Müller und halfen sogar noch fleißig mit beim Gegenpressing. Nach vorne ging's dagegen pfeilschnell. Weil in der Mitte mit Julian Weigl und dem starken Mario Götze nur zwei Spieler aufgestellt waren, ging der Ball häufig direkt über ein, zwei Kontakte in die Spitze zu Aubameyang, der überraschend Adrian Ramos als zweiten Stürmer an sie Seite gestellt bekommen hatte. Die Bayern hatten diesem Hochgeschwindigkeitsfußball nichts entgegen zu setzen - wie schon gegen Madrid.
Erst als Tuchel nach 25 Minuten den Druck ein wenig aus dem Spiel seiner Mannschaft nahm, um die irre hohe Intensität auf 90 Minuten anzupassen, bekamen die Bayern Zugriff und die vermeintliche Kontrolle. Aber dem ewigen Quergeschiebe fehlte die Inspiration und in den wenigen Momenten, in denen die Borussia unsortiert war, spielten die Münchener ihre Angriffe nicht konzentriert genug aus. Dennoch: Gegen viele Gegner in der Liga hätte die Leistung der Ancelotti-Elf gereicht, um zu gewinnen. Der Druck, den das Team auf den Rasen brachte, war in Halbzeit zwei gewaltig. Und je länger das Spiel dauerte, wurde er immer größer. Dortmunds Trainer Tuchel sagte: "Es war sehr schwer. Wir haben in vielen Phasen sehr gelitten, aber das war uns vorher klar. Wenn man mit den Bayern in den Ring steigt, kann man nicht erwarten, dass man ohne blaue Augen raus kommt. Man muss nur stehenbleiben, das war das Motto. Wir sind immer mutig geblieben, haben immer das Tor verteidigt und wenig große Torchancen weggegeben. Das war eine Topleistung."
Vor allem auch von Mario Götze. Gegen seinen alten Arbeitgeber, bei dem er drei Jahre lang vergeblich das Glück suchte, drehte der kleine Spielmacher 45 Minuten lang richtig auf, nicht nur wegen des Beinschuss gegen Hummels unmittelbar vor dem 1:0 durch den gabunischen Torjäger: "Mario hat sehr gut gespielt und war wahnsinnig fleißig. Er hat in der ersten Halbzeit sehr viele Wege in die Halbräume gemacht. Es war jetzt auch höchste Zeit, dass er mal eine Torbeteiligung macht und etwas Fleisch an den Knochen kommt. Er braucht das für die letzten paar Prozent", sagte sein zufriedender Tuchel. Reden wollte Götze nach dem Spiel übrigens nicht. Lieber feiern - mit harten Bässen und derbem Hiphop.
Quelle: ntv.de