Niersbach geht, Skandal wird größer Schriftstück belastet DFB in WM-Affäre
09.11.2015, 23:12 Uhr
Wolfgang Niersbach (r.) ist nicht länger Präsident des DFB. Der wünscht sich derweil Antworten vom damaligen WM-Bewerbungschef Franz Beckenbauer auf drängende Fragen.
(Foto: dpa)
"Die WM war nicht gekauft", beteuert der zurückgetretene DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Diese Darstellung ist zweifelhaft - wegen eines Vertragsentwurfs für einen möglichen Stimmenkauf. Der Verband erhöht derweil den Druck auf Franz Beckenbauer.
Der Präsident ist gegangen, die massiven Probleme und Fragezeichen in der Affäre um die Fußball-WM 2006 bleiben - und könnten sich für den Deutschen Fußball-Bund sogar noch weiter verschärfen. Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge weitet sich der Skandal nach dem Rücktritt von Wolfgang Niersbach aus. Bei den zunächst nicht näher benannten neuen Erkenntnissen der externen DFB-Ermittler, die Niersbach nach eigener Aussage zu seinem sofortigen Rücktritt veranlasst hatten, soll es sich um ein brisantes Schriftstück aus dem Jahr 2000 handeln.
Demnach sei von der Kanzlei Freshfields in den Verbandsakten der Entwurf für einen Vertrag gefunden worden, der im Jahr 2000 abgeschlossen werden sollte - und zwar im Vorfeld der Vergabe der WM 2006 durch das Exekutivkomitee des Weltverbands Fifa am 6. Juli 2000. Freshfields soll den WM-Skandal für den DFB extern aufarbeiten.
Vertrag mit Fifa-Funktionär Warner?

Jack Warner trug den Beinamen "The Ripper", weil er sich am Weltfußball mit Duldung von Fifa-Boss Joseph Blatter über Jahrzehnte schamlos bereicherte.
Als Vertragspartner sei ein Mitglied der Fifa-Exekutive vorgesehen gewesen, meldet die Zeitung unter Berufung auf die übereinstimmenden Aussagen mehrerer Insider. Einem dieser Insider zufolge handelt es sich um Jack Warner und Concacaf, den Fußballverband für die Karibik, Nord- und Zentralamerika. Warner war Concacaf-Präsident. Seinem Verband sollten offenbar umfangreiche Leistungen des DFB zugesagt werden.
Warner war zugleich Vizechef der Fifa, deren Exekutivkomitee sich damals mit 12:11 Stimmen für Deutschland und gegen Südafrika entschied. Warner, eine der größten Skandalfiguren in der Fifa, wurde von deren Ethikkommission erst vor wenigen Wochen lebenslang für alle Fußballämter gesperrt. Er sei Drahtzieher von Systemen zur "Gewährung, Annahme und Empfang verdeckter und illegaler Zahlungen" gewesen, "sowie anderer Systeme zur Bereicherung". Über den Concacaf kontrollierte Warner drei Stimmen in der Fifa-Exekutive.
Der "Spiegel" hatte gemutmaßt, dass vor der WM-Vergabe die Stimmen der vier Asiaten gekauft worden sein könnten. Ohne die überraschende Stimmenenthaltung des Neuseeländers Charles Dempsey hätte das aber noch nicht zum Wahlsieg gereicht. Dempsey, vom ozeanischen Verband mit der Unterstützung von Südafrika beauftragt, hatte die Wahlsitzung der Fifa-Exekutive vor der finalen Abstimmung kurzerhand verlassen. Wäre er geblieben und hätte für Südafrika abgestimmt, hätte beim Stand von 12:12 die Stimme des damaligen Fifa-Präsidenten Joseph Blatter doppelt gezählt. Er galt als Befürworter Südafrikas.
Niersbach nicht involviert
Die Existenz eines solchen Vorvertrags zum Stimmenkauf würde die bisherige Darstellung von Niersbach, es habe keine fragwürdigen oder gar unzulässigen Einflussnahmen auf die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland gegeben, zumindest massiv in Frage stellen. Niersbach hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe durch den "Spiegel" immer wieder beteuert: "Die WM war nicht gekauft."
Dabei handelte er laut SZ aber womöglich im guten Glauben, denn nach Angaben von Insidern soll Niersbach mit diesem Vorgang im Jahr 2000 nichts zu tun gehabt haben. Um den Vertragsentwurf habe sich damals, im Vorfeld der WM-Vergabe, den Akten zufolge ein anderes Mitglied des deutschen Bewerber- beziehungsweise Organisationskomitees für die WM 2006 gekümmert. Niersbach habe erst in der vergangenen Woche davon erfahren.
Unklar ist, ob der Vertragsentwurf verwirklicht wurde. Das eigentlich zuständige DFB-Präsidium sei damals zumindest nicht damit befasst worden. Dennoch gibt es laut SZ jetzt auch im Verband Zweifel, ob bei der Vergabe der WM nach Deutschland alles sauber gelaufen ist. DFB-Vizepräsident Rainer Koch, der den DFB jetzt gemeinsam mit Reinhard Rauball kommissarisch führt, hatte dazu gesagt: "Wir müssen uns mit der Frage, unter welchen Umständen die WM 2006 vergeben worden ist, näher befassen."
Beckenbauer soll reden
Am Abend forderte Koch im ZDF umfassende Antworten von Franz Beckenbauer in der WM-Affäre. Es sei "höchste Zeit", dass der damalige Präsident des Organisationskomitees Stellung beziehe, sagte Koch. "Wir haben die Bitte, dass er sich intensiver einbringt in die Aufklärung der Vorgänge."
Die Aussage überrascht insofern, als dass Beckenbauer bereits vor zwei Wochen vor den externen DFB-Ermittlern ausgesagt hatte. Danach räumte er öffentlich zwar einen "Fehler" ein, ließ aber die meisten Fragen offen - auf Wunsch der DFB-Ermittler, wie Beckenbauer sagte. Koch betonte nun, der 70-Jährige könne aufklären, was damals genau passiert sei: "Das ist auch die große Bitte der gesamten Spitze des DFB, diese Fragen zu beantworten."
Neben Beckenbauer gehörte auch Fedor Radmann erst zum deutschen WM-Bewerbungskomitee und später auch zum Organisationskomitee. Er gilt als Beckenbauers rechte Hand. Der frühere Fifa-Funktionär Guido Tognoni sagte nach Bekanntwerden der WM-Affäre, Radmann sei "das Mastermind in dieser Geschichte, der Mann fürs Grobe". Radmann hingegen beteuerte kürzlich in der "Zeit": "Ich könnte beim Leben meiner sechs Kinder beschwören, dass ich felsenfest davon überzeugt bin, dass nicht ein Mensch von uns bestochen wurde."
Beim DFB begnügt man sich nach Wochen des Wegduckens offenbar nicht länger mit Beteuerungen. Der Verband fordert nun Antworten. Man wolle sich "nicht mehr auf die Frage des Verbleibs der 6,7 Millionen Euro beschränken", sagte Koch dem ZDF: "Wir wollen uns intensiv mit der Frage beschäftigen, was ist bei der Vergabe der WM 2006 passiert?", sagte Koch. Es gebe "eine Reihe von Gründen", zu untersuchen, "was der DFB gemacht hat rund um die Vergabe der WM im Jahr 2000", sagte Koch und betonte: "Es gibt zur Minute keinen Anhaltspunkt, dass die WM tatsächlich gekauft worden ist."
Berechtigten Grund für Zweifel gibt es im DFB aber offenbar schon. Dafür spricht auch, dass der DFB nicht wie zunächst angekündigt juristisch gegen den "Spiegel" vorgehen wird. Das Nachrichtenmagazin hatte am 16. Oktober berichtet, dass die WM 2006 mutmaßlich mit schwarzen Kassen gekauft wurde.
Quelle: ntv.de, cwo