
Alles in allem erlebte Ruhnert mit dem 1. FC Union eine enttäuschende Hinrunde.
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Union Berlin lernt in der Hinrunde etwas kennen, was der Berliner Klub in den vergangenen Jahren nur selten erlebt hat: schlechte Transfers und eine lange Niederlagenserie. Im neuen Jahr korrigiert der Fußball-Bundesligist seine Fehler.
Es war ein verregneter Dienstag im vergangenen Oktober, an dem Union Berlin eine ganz neue Welt der Probleme kennenlernte. Die Fußballer der Eisernen kämpften im Berliner Olympiastadion gegen SSC Neapel um das Überleben im europäischen Wettbewerb. Die Champions League war schon ausgeträumt, es hätte aber noch in der Europa League weitergehen können. Union spielte erstmals seit Wochen wieder ordentlich, doch das verhinderte nicht, dass die lange Niederlagenserie der Berliner um eine weitere Episode verlängert wurde. Das Gruppenspiel in der Champions League ging mit 0:1 gegen den italienischen Meister verloren.
Doch in der Kälte der großen weiten Betonschüssel war die Niederlage nicht einmal das Bemerkenswerteste: Es waren zwei Geschichten am Rande des Spiels, die für Aufsehen sorgten - und die für den Berliner Kultklub eher unüblich sind. Für die eine war der italienische Europameister Leonardo Bonucci verantwortlich. Über ihn ploppten noch während der 90 Minuten Meldungen auf, dass er mit seiner Reservistenrolle auf der Bank unzufrieden sei.
Bonucci war erst spät im Transfersommer ablösefrei und vor allem spektakulär nach Berlin gekommen. Nach seiner Zeit bei Juventus Turin fehlte dem heute 36-Jährigen die Spielfitness, die musste er sich erst erarbeiten und kam - dementsprechend - auf wenig Einsätze. Derweil sorgte Chelsea-Leihgabe David Fofana für die zweite Geschichte. Der heute 21-Jährige ließ seinen damaligen Trainer Urs Fischer ohne Handschlag und damit auch arg verärgert zurück. Nur: Dass Spieler von Union Berlin offen ihren Unmut zeigen, das kannte man so vorher nicht.
Der schlechte Transfersommer
Nun, fast drei Monate später, sind alle vier Bestandteile dieser Anekdote Geschichte. Die Reise der Eisernen durch Europa ist vorbei. Die Fußball-Gesetze haben Trainer Urs Fischer mittlerweile aufgefressen, nach fünf erfolgreichen und einmaligen Jahren trennten sich Klub und Coach. Und auch die anderen beiden Akteure sind verschwunden: Die Eisernen beendeten das Experiment mit dem Weltklasse-Innenverteidiger Bonucci, auch Fofana spielt künftig wieder in London.
Damit korrigiert sich auch einer, der sich bislang selten korrigieren musste. Normalerweise saß jeder Transferhandgriff von Geschäftsführer Oliver Ruhnert - immer in Absprache mit Trainer Fischer. Die Liste der Erfolge ist lang: Rani Khedira, Sheraldo Becker, Robin Knoche, Taiwo Awoniyi, Kevin Behrens, Robert Andrich und viele mehr. Sie alle bereicherten nicht nur das Union-Spiel, in der Ruhe Köpenicks spielten sie sich teilweise auch in den Dunstkreis der deutschen Nationalmannschaft.
Doch diesen Sommer klappte das nicht. Die Transfers gelangen erst spät innerhalb der Transferperiode, teilweise erst in den letzten Wochen. Die (teils ehemaligen) Nationalspieler Robin Gosens, Kevin Volland und eben Bonucci brauchten viel zu lange, um das uniontypsiche Spiel zu lernen. Die Kaderstruktur war beeinflusst, die Automatismen, von denen Trainer Fischer oft sprach, fehlten zu lange. Hinzu kamen Verletzungen und der Kopf, der nach all den Rückschlägen sein Übriges tut: Perfekt war die Niederlagenserie.
Wieder Union: Vogt statt Bonucci
Bei seiner Kurskorrektur wählte Ruhnert überraschend deutliche und offene Worte. Fofana, so sagte er es, sollte eigentlich "mehr Tempo und Kreativität" bringen. Doch "insgesamt konnte er dies nicht so zeigen, wie er und wir es uns erhofft hatten", sagte Ruhnert in der Abschiedsmitteilung. Zack, und weg. Fofanas Bilanz bleibt enttäuschend: In 17 Spielen machte er wettbewerbsübergreifend zwei Tore und gab eine Vorlage.
Und Bonucci? "Sicherlich kam ich im vergangenen Sommer mit anderen Vorstellungen zu Union", sagte er selbst, der nur zehnmal für die Berliner auflief. "Trotz der sportlichen Rückschläge war es eine außergewöhnliche Zeit für mich. Union ist wirklich ein spezieller Klub mit sehr viel Nähe und Zusammenhalt." Auch Ruhnert machte keinen Hehl daraus, dass es nicht lief, bedankte sich aber für dessen Einstellung. Trotz fehlender Einsatzzeiten sei er "jederzeit positiv geblieben". Künftig trägt Bonucci das Trikot von Fenerbahçe Istanbul.
Und zeitgleich verkündete Ruhnert die Rückkehr zum Union-Weg. Bundesliga-Urgestein Kevin Vogt soll den schillernden Europameister ersetzen. Medienberichten zufolge soll er rund 1,5 Millionen Euro Ablöse von Hoffenheim kosten. Viel wichtiger ist jedoch, was er dem Team geben kann. "Kevin ist ein Spieler, der mutig ist, eine Mannschaft führen kann und unserem Team mit seiner Mentalität und Willenskraft guttun wird", sagte Ruhnert. Für den eher rustikalen Innenverteidiger ist Union nach Bochum, Augsburg, Köln, Hoffenheim und Bremen bereits die sechste Station in der Liga.
Und die Sache mit Sahra Wagenknecht
Der Transfermarkt ist jedoch nicht das einzige Thema, was Geschäftsführer Ruhnert derzeit wohl durch den Kopf geistert. So offen wie er die Abgänge kommentierte, machte er auch keinen Hehl daraus, dass er auch mit seinem eigenen Wechsel liebäugelt - ins politische Berlin. Der Fraktionsvorsitzende der Linken in Iserlohn ist einem Engagement in der neu gegründeten Partei Bündnis Sahra Wagenknecht gegenüber nicht abgeneigt.
"Ich finde ihr Projekt interessant und spannend", sagte Ruhnert der "Sport Bild": "Aber klar ist: Ich habe bei Union einen Vertrag. Von daher gibt es jetzt im Moment auch nichts zu sagen. Alles ist Zukunftsmusik." Er schließe es nicht aus, einmal in die Bundespolitik zu gehen. Diese fände er "hochspannend", ihm sei aber "bewusst, dass ich das mit meiner jetzigen Tätigkeit bei Union Berlin zeitlich nicht vereinbaren kann". Verwundernd ist eher noch der Satz, den der 52-Jährige nachschießt. "Klar ist auch", so Ruhnert: "Wenn man in die Bundespolitik will, dann sollte man nicht noch fünf Jahre warten." Solche Sätze bringen wieder Unruhe ins Umfeld.
Und nebenbei gibt es auch noch Fußball, der wird beim Tabellenfünfzehnten ja auch noch gespielt. Am Samstag (15.30 Uhr/Sky und im ntv.de-Liveticker) steht gegen den SC Freiburg der Auftakt zur Rückrunde an. Ein neues Jahr, eine Chance auf Wiedergutmachung. Es waren dreieinhalb Wochen, die Neu-Trainer Nenad Bjelica Zeit hatte, der Mannschaft seine Idee des Spiels zu vermitteln. Wie gut das geklappt hat, wird sich zeigen. Es sind spannende Wochen in Köpenick.
Quelle: ntv.de