BVB-Coach bürdet sich viel auf Warum der Schürrle-Irrsinn Perspektive hat
22.07.2016, 14:19 Uhr
Thomas Tuchel und André Schürrle erlebten in Mainz zusammen eine sehr erfolgreiche Zeit - beim BVB soll es nun das Revival geben.
(Foto: imago sportfotodienst)
Es gibt wohl nicht viele BVB-Fans, die sich darauf ein Pils gönnen: Die Borussia verpflichtet André Schürrle – für etwa 30 Millionen Euro. Eine irre Summe für einen zuletzt Unscheinbaren. Dennoch kann sich der Transfer schnell lohnen.
Seinen besten Moment bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich hatte André Schürrle…, ähm…, nunja, egal, seinem Marktwert hat das Wirken als fast teilnahmsloser Schattenmann jedenfalls nicht geschadet. Auf rund 30 Millionen Euro hat sich der 25-Jährige während der Tage im DFB-Basecamp in Évian hochtrainiert. Bei Borussia Dortmund waren sie davon offenbar - Obacht, Ironie - so angetan, dass sie jetzt die Reißleine gezogen und sich Schürrle geschnappt haben, bevor der nach seinem Urlaub wieder ins Training einsteigt und unbezahlbar wird.

55 Mal spielte Schürrle bereits für die Nationalmannschaft, doch zuletzt wurden seine Einsatzzeiten immer geringer.
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Doch so richtig Jubel brandet an den Dortmunder Trinkhallen nicht auf, die wichtigsten Zapfsäulen der Stadt müssen ihre pilsernen Notreserven noch nicht aus dem Vorrat holen. Nach Anstoßen ist vielen BVB-Fans nicht zu Mute. 30 Millionen Euro, damit einen Großteil jener Summe, die der Klub durch den Abgang von Mats Hummels zum FC Bayern (38 Millionen) eingenommen, reinvestiert in einen, der mindestens seit zwei Jahren zu einem heftig kriselnden Fußballer geworden ist. Oder ein wenig positiver ausgedrückt: In einen, der seit dem Weltmeisterschaftstriumph 2014 in Brasilien, als er in der Jokerrolle überzeugte und den Titeltreffer von Neu-Teamkollege Mario Götze vorbereitete, sein Talent beharrlich verschweigt.
Das Comeback des Bruchweg-Boys?
Dass er das hat, ist allerdings unbestritten. Und erkannt hat es einst der aktuelle BVB-Trainer Thomas Tuchel, vor sieben Jahren in Mainz. Als Teil der legendären Bruchweg-Boys verzauberte Schürrle damals mit Lewis Holtby und Adam Szalai die Bundesliga – das alle mittlerweile mehr Mitläufer als Hoffnungsträger sind, ist schon irgendwie bittere Ironie. Dennoch glaubt Tuchel offenbar weiter an die Qualitäten seiner einstigen A-Jugend-Entdeckung - und daran, dass sie dem BVB in der Offensive hilft. Selbst eine hohe Ablöse und anhaltende Formschwäche schrecken ihn nicht - genauso wenig, wie auch beim zweiten viel diskutierten BVB-Transfer dieser Tage, dem von Mario Götze. Und das hat gute Gründe. Denn das viele Geld, in etwa soll viel hatte auch Wolfsburg für Schürrle im Winter 2015 an Chelsea überwiesen, können sich tatsächlich schnell rentieren, auch wenn diese These im schwarzgelben Lager derzeit belächelt wird.

Erfolgreicher Bundesligastart: Als Teil der legendären Bruchweg-Boys mischte Schürrle mit den Kollegen Lewis Holtby und Adam Szalai die Liga auf.
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Borussia Dortmund verabschiedet sich mit Beginn der neuen Saison endgültig vom Klopp-Fußball und seinen balltretenden Protagonisten: Mats Hummels, Ilkay Gündogan (Manchester City) und Henrikh Mkhitaryan (Manchester United) haben den Klub verlassen. Die neuen Hauptdarsteller sind mit Ausnahme von Rückkehrer Mario Götze und Sebastian Rode (beide FC Bayern) jung und international noch überwiegend unerfahren - selbst wenn Raphaël Guerreiro mit Portugal gerade erst Europameister geworden ist. Dafür stehen die Neuzugänge aber für Technik, Tempo, sind damit prädestiniert für das aggressive Pressing, das sich Tuchel als Klopp-Erbe bewahrt hat.
Der Druck der Ablöse ist das Risiko
All das kann auch Schürrle: Er ist extrem schnell, hat eine exzellente Schusstechnik, kann in vorderer Reihe spielen, oder auf der linken Außenbahn und ist mit seiner starken Physis, ein Typ der den Pressingdruck auf die gegnerischen Reihen hoch halten kann. Sein zusätzliches Plus: Er ist trotz seines jungen Alters bereits sehr erfahren: Hat 55 Mal für die Nationalmannschaft gespielt, ist Weltmeister, kennt den europäischen Fußball durch seine Zeit bei Bayer Leverkusen, dem FC Chelsea und dem VfL Wolfsburg auch auf Vereinsebene bestens.
Dennoch geht der Klub freilich ein großes Risiko ein, denn Schürrle muss sofort funktionieren. Hohe Ablösen werden nur durch starke Leistungen gerechtfertigt. So ist das Geschäft, ob fair oder nicht. Diesen Druck muss der Neuzugang aushalten. In Wolfsburg gelang ihm das in den vergangenen anderthalb Jahren nur selten. Darüber können selbst die neun Tore in der Rückrunde 2016 nicht hinwegtäuschen: Fünf davon erzielte er nämlich gegen die Absteiger Hannover (3) und Stuttgart (2), einen unwichtigen noch bei der 1:5-Niederlage gegen den BVB. Und anders als bei den "Wölfen" wird der 25-Jährige im Ruhrgebiet auch führen müssen. Denn die Mannschaft hat den gewaltigsten Umbruch der vergangenen Jahre vor sich. Bei allem hinzugekauften Talent muss vieles erst nach und nach zusammenwachsen. Erfahrenere Spieler wie die beiden Weltmeistermacher stehen da zwangsläufig in der Pflicht.
Tuchel traut sich und seinem (zumindest finanziell) Königstransfer Schürrle - und natürlich auch Götze - den Umbruch zu. Gelingt es ihnen, wird's vielleicht demnächst doch wieder kuschelig-eng an den heimischen Trinkhallen. Wobei, ein Frustbier geht ja auch immer.
Quelle: ntv.de