Fußball

DFB-Team in der Einzelkritik Zwei Tore, die alles auf den Kopf stellen

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Gegen Nordmazedonien gelingt in der ersten Halbzeit kein Treffer. Timo Werner hat einfach sehr viel Pech. Dann platzt der Knoten. Erst bei der DFB-Elf und später bei Werner. Im Mittelfeld fällt ein Bayern-Star ab und der Kopf der Mannschaft ist endgültig zurück.

Unter Hansi Flick läuft es einfach. Spiele, die in den bleiernen letzten Jahren unter Joachim Löw mit einem 1:1 geendet wären, gewinnt die Nationalmannschaft plötzlich locker und hochverdient mit 4:0. Als erstes Team weltweit gelingt zudem die Qualifikation für das große Weltturnier in Katar im kommenden Jahr. Jetzt gibt es Frühbucherrabatt bei Qatar Airways. Gegen Nordmazedonien baute die DFB-Elf, die niemand mehr "Die Mannschaft" nennt, einfach so lange Druck auf, bis das Tor fiel. Mit dem ersten Angriff der zweiten Halbzeit. Es dauert so lange, wie es eben dauert.

"Man hat heute auch wieder gesehen, welche Mentalität auf dem Platz stand. Natürlich hat nicht alles zu 100 Prozent geklappt, natürlich hat das eine oder andere an Präzision gefehlt. Aber trotzdem muss man auch sagen: Wir haben nie nachgelassen", analysierte Bundestrainer Flick das Spiel und warnte vorsorglich alle Länder, die sich noch überhaupt nicht für Katar qualifiziert haben. Er sagte: "Mit dieser Mentalität ist einiges machbar." Diese Spieler bewiesen in Skopje Mentalität:

Manuel Neuer: Hatte, was zu erwarten war, wenig zu tun. Wenn, dann war er da. So wie beim Versuch von Eljif Elmas (26.), der im März das entscheidende Tor erzielt hatte. Spielte sonst auch mit. Wurde noch einmal von Thilo Kehrer gefordert. Kassierte, anders als Marc-André ter Stegen, kein Gegentor gegen Nordmazedonien. Hat neulich angekündigt, noch lange Jahre spielen zu wollen. Das sind keine guten Nachrichten für den Barcelona-Keeper ter Stegen, der den größten Teil seiner Zukunft nun auch bereits hinter sich hat.

Lukas Klostermann: War von Hansi Flick für die Restverteidigung eingeplant. Die hatte Jonas Hofmann gegen Rumänien noch vernachlässigt. Da Flick jedoch nicht mit zwei sehr offensiven Außenverteidigern spielen wollte, verschwand der Gladbacher mit viel Lob auf der Bank. Und der Leipziger erfüllte diese Aufgabe mehr als solide. Grätschte, fing Bälle ab und gab sie weiter. Seine langen Pässe erreichten fast alle das Ziel und er fiel durch seine Unauffälligkeit auf. Wurde nach hinten raus etwas unaufmerksamer.

Niklas Süle: War bei gegnerischen Ecken nicht immer orientiert. Ließ einmal Darko Velkovski aus den Augen. Probierte es vorne mit Hackentricks und versuchte auch wieder seine tiefen Läufe in die gegnerische Hälfte. Dort wirkte er etwas hilflos. Jedoch hat der Münchener sich in Abwesenheit von Antonio Rüdiger, der "Rücken hatte", als sehr solider Abwehrchef etabliert.

Thilo Kehrer: Süle marschierte, Raum flankte und Kehrer putzte und blockte. Unter Flick ist Verteidiger von Paris St. Germain vorerst gesetzt. Wenn über die linke Seite gewirbelt werden soll, steht er in der Mitte parat. Prüfte einmal Neuer (48.) mit einem komplizierten Zuspiel. Eine seiner Grätschen lief ins Leere. Ganz zum Schluss. Aber Schalke-Star Darko Churlinov setzte den Ball weiter übers Tor.

David Raum: Hansi Flick beschrieb den 23-jährigen Hoffenheimer vor dem Spiel als deutsche Offensivhoffnung. "Links soll die Post abgehen", sagte der Bundestrainer bei RTL. Raum versuchte dann auch alles. Anfangs mit ein paar Problemen. Die Nordmazedonier stießen bei ihren wenigen Umschaltsituationen immer wieder in die Räume hinter Raum. Der Startelfdebütant brauchte Zeit. Wusste aber mit Kehrer einen Ausputzer neben sich. Brachte starke Flanken in den Strafraum. Bereite so Chancen für Werner (26.) und Gnabry vor (30.). Brachte aber auch sehr viele nicht so starke Flanken in den Strafraum. Insgesamt kam er auf zehn. Durfte bereits Freistöße schießen. Könnte sich zum Flick-Spieler entwickeln, wenngleich er nicht das Tempo eines Alphonso Davies hat. Der Kanadier hatte diese Position beim FC Bayern unter Flick überragend interpretiert. Ist aber Kanadier.

Kimmich kämpfte nicht nur gegen Nordmazedonien, sondern auch gegen einen Laserpointer.

Kimmich kämpfte nicht nur gegen Nordmazedonien, sondern auch gegen einen Laserpointer.

(Foto: picture alliance/dpa)

Joshua Kimmich: Nicht mehr Kapitän. Aber weiterhin dynamisch. Hatte die erste Chance (2.), aber Torhüter Stole Dimitrevski bekam seine Hände an den Kopfball aus spitzem Winkel. War giftig, wie man sagt, arbeitete nach vorne, strukturierte das Spiel und ging dazwischen, wenn er dazwischengehen musste. Ließ sich immer wieder zwischen die Abwehr fallen. Schloss in der ersten Halbzeit bei eigenen Ecken Freundschaft mit einem lästigen Laserpointer aus den Reihen der nordmazedonischen Fans. Das störte ihn nicht weiter. Im Kopf-an-Kopf-Duell mit Boban Nikolov machte er RTL-Experte Lothar Matthäus glücklich. Seine Gestik erinnerte an Matthäus' legendäres Mimimi-Gespräch mit Andreas Möller. Im Spielaufbau blieb er aber nicht ohne Fehler. Das fällt gegen Nordmazedonien weniger ins Gewicht. Doch es werden andere Gegner kommen.

Leon Goretzka: Spielte früh viele tolle Pässe. Auf Werner und auf Havertz, damit löste er Chaos im Strafraum aus. Verschwand kurzzeitig. Wurde von den Nordmazedoniern aus dem Spiel genommen. Zur Pause hatte er gerade einmal 32 Ballkontakte zu Kimmichs 66. Fiel deutlich ab. Wurde folgerichtig früh ausgewechselt. Sein Ersatz: Florian Wirtz (ab 61.): Legte in der Mitte des Strafraums stehend auf Werner ab und verhalf dem Chelsea-Stürmer so zu seinem Doppelpack. Hatte in 30 Minuten Spielzeit 27 Ballkontakte und ein Assist, spielte zwei wichtige Pässe und ist nichts weiter als die Zukunft des deutschen Fußballs.

Serge Gnabry spielte einen Sensations-Pass, vergaß aber auch mal den Ball.

Serge Gnabry spielte einen Sensations-Pass, vergaß aber auch mal den Ball.

(Foto: picture alliance / GES/Marvin Ibo G?ng?r)

Serge Gnabry: Abgefälschte Torchance von der Seite (17.), weitere Torchance aus der Distanz nach 25. Minuten. Immer wieder semi-gefährlich in der ersten Halbzeit. Verdaddelte eine Kontersituation (30.), indem er schneller als der Ball war. Wirkte etwas unentschlossen, ließ sich nicht hängen. Schleppte viele Bälle. War aber sehr besonders, als er vor dem 1:0 den Platz hinter der Kette sah und vertikal auf Müller spielte. Gefiel sich danach als Spielgestalter mit langen Pässen. Das ist jedoch nicht unbedingt seine Stärke. Außer vor dem 1:0. Durfte nach 71 Minuten vom Platz. Für ihn kam Jonas Hofmann (ab 71.): Fiel in den 20 Minuten nicht auf und nicht ab. Die große Frage bleibt: Wird Flick das Experiment Hofmann als Rechtsverteidiger weiterführen oder doch abbrechen?

Thomas Müller: Vor dem Spiel war der Kampf um die "Zehn" ausgerufen worden. Was Quatsch ist. Weil Deutschland Müller und auch Reus braucht. Wenn beide ihre Rolle akzeptieren. Müller ist der Kopf der Mannschaft, Reus eine wertvolle, weil ebenso erfahrene Ergänzung. Müller wuselte viel. Eroberte Bälle. Stieg einmal stark hoch, eroberte einige Bälle im Gegenpressing und bewahrte sich seinen besten Moment für die zweite Halbzeit auf. Nahm Gnabrys Sensationspass auf, lief ein paar Meter und legte auf den mitgelaufenen Havertz ab. Kein Müller-Moment, aber ein sehr guter. Der kam vor dem 2:0. Müllerte den Ball in die Luft springend zu Werner. Technisch anspruchsvoll, unterhaltsam anzuschauen. Das kann nur er. Müllers seltsame Demotage unter Löw wird für immer ein Rätsel bleiben. Er ist Flicks verlängerter Arm auf dem Feld. Er muss nicht mehr 90 Minuten spielen und wurde folgerichtig kurz vor Schluss ausgetauscht. Für ihn kam Florian Neuhaus (ab 80.): Durchlebt eine schwierige Phase in Verein und in der Nationalmannschaft. Forderte in seinen zehn Minuten Spielzeit den Ball, hat aber ein wenig den Anschluss verloren.

Kai Havertz: War, wie von Flick gefordert, direkt variabel. Tauchte auf links auf, hob den Ball einmal quer über die Abwehr auf Kimmich. Sorgte von dort für Gefahr. Havertz ist ein verdammt eleganter Spieler, der mit seiner Erhabenheit glänzen kann, wenn er will. Wollte häufig. Bespielte hin und wieder die Halbräume und ermöglichte Müller und Gnabry ständige Positionswechsel. Die nahmen es mal an und mal nicht. Was zur Folge hatte, dass Havertz wieder vermehrt auf der Raum-Seite stand. Von dort erzielte er nach einem Konter die verdiente Führung. Spielte einen guten No-Look-Pass. Holte sich aber kurz darauf eine überflüssige Gelbe Karte ab, ist im nächsten Spiel gesperrt. Ging nach einer Stunde vom Feld. Sein Ersatz: Karim Adeyemi (ab 61.): Hätte nach 76 Minuten treffen müssen, aber seine Direktabnahme segelte über das Tor. Fing einen Ball ab, schaltete schnell um, steckte den Ball auf Musiala. Der traf. Seinem Marktwert hat der Kurzauftritt nicht geschadet.

Timo Werner: Hatte den ersten Ballkontakt. Spielte den Ball auf Kimmich. Die Fans der Nordmazedonier pfiffen, aber das machten sie ohnehin gerne. Stand einmal mit weit aufgerissenen Augen im Strafraum. Alles war an diesem Abend auf eine weitere Runde Werner-Bashing angelegt. "Es muss ja abperlen", sagte der Chelsea-Stürmer später. Da hatte er sich seinen Frust von der Seele geschossen. Fünf Treffer in fünf Einsätzen unter Flick, der an ihm festhält und vielleicht dafür belohnt wird. "Ich brauche dieses Vertrauen von außen, das gibt er mir zu 100 Prozent", sagte Werner. Hat den Bann gebrochen. War nicht Depp of the Day, sondern plötzlich Man of the Match. Nach seinem herrlichen Schlenzer zum 3:0 durfte er auf der Bank Platz nehmen. Für ihn kam Jamal Musiala (ab 74.): Der machte da weiter, wo Werner aufgehört hatte. Deutschlands nächster Weltfußballer, das sagt sein Jugendtrainer, erzielte seinen ersten Länderspieltreffer und machte mit dem 4:0 aus einem gewöhnlichen Sieg einen außergewöhnlichen. Jüngster Torschütze der DFB-Elf seit über 100 Jahren.

Quelle: ntv.de

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