"Collinas Erben" kritisieren Bochums Torwart Riemann setzt das falsche Zeichen
29.08.2022, 07:27 Uhr

Riemann zupft, Sallai fällt - Elfmeter nach Videostudium.
(Foto: dpa)
Ein kapitaler Fehler des Bochumer Torhüters in Freiburg führt erst zum Foul, dann zum Strafstoß und schließlich zum Tor. Doch der Keeper zweifelt die Berechtigung des Elfmeters an - und liegt damit daneben. Auch im Bundesliga-Topspiel entscheidet der Unparteiische in einer wichtigen Situation richtig.
Schlechter hätte die zweite Hälfte des Spiels zwischen dem SC Freiburg und dem VfL Bochum (1:0) für die Gäste kaum beginnen können: Bereits nach wenigen Sekunden missriet ihrem Torhüter Manuel Riemann im strömenden Regen nach einer weiten Flanke in seinen Strafraum beim Stand von 0:0 der Versuch, den Ball zu fangen. Der Schlussmann ließ die Kugel durch die Handschuhe gleiten, und als der in unmittelbarer Nähe postierte Freiburger Roland Sallai sie erobern wollte, zeigte Riemann sich ungleich zupackender als kurz zuvor: Er hielt den Gegner an der Hose fest. Sallai fiel, der Bochumer Dominique Heintz schlug den Ball derweil aus dem Strafraum - und Schiedsrichter Marco Fritz ließ weiterspielen.
Dabei blieb es jedoch nicht, denn Video-Assistent Guido Winkmann schaltete sich ein und empfahl dem Unparteiischen ein On-Field-Review. Offenkundig hatte Fritz den Griff des Bochumer Keepers an die Hose von Sallai gar nicht wahrgenommen. Der Referee entschied schließlich auf Strafstoß für die Gastgeber - und zwar völlig zu Recht. Denn auch wenn Sallai einige Theatralik in seinen Sturz legte: Das klare und offensichtliche Halten sorgte erkennbar dafür, dass der Freiburger keine Chance mehr hatte, an den Ball zu gelangen - und das auch noch in der Nähe des Tores. Wie Sallai stürzte, ist deshalb unerheblich, selbst wenn er auf den Beinen geblieben wäre, hätte ein Foulspiel vorgelegen.
Riemann zeigt sich uneinsichtig
Manuel Riemann mochte das allerdings nicht einsehen. Nach dem Spiel räumte er auf seiner Instagram-Seite zwar ein, einen Fehler begangen zu haben, als er den Ball fallen ließ. Die Berechtigung des Elfmeterpfiffs zog er jedoch in Zweifel. Sallai sei "mit beiden Beinen" abgesprungen und nach vorne gefallen, obwohl er nach hinten gezogen worden sei. Das sei "kein normaler Bewegungsablauf für ein Foulspiel". Riemann findet es "falsch, für so etwas Elfmeter zu geben", denn sonst müsse es bald "nach jeder Ecke Elfmeter geben". Mit der Entscheidung sei "ein falsches Zeichen für unseren so tollen Sport" gesetzt worden.
Dabei war es offenkundig, dass der Torhüter versucht hatte, nach seinem Patzer das Schlimmste - nämlich ein Gegentor - notfalls mit unfairen Mitteln abzuwenden. Mit dem Entschluss, das nicht zu erwähnen und stattdessen Gegner und Schiedsrichter zu kritisieren, hat Riemann selbst ein falsches Zeichen gesetzt. Das Regelwerk gibt in solchen Situationen nicht nur "vielleicht einen Elfmeter her", wie der Keeper mutmaßte, sondern sogar ganz gewiss. Natürlich ist nicht jeder kleine Zupfer am Trikot in einer statischen Situation ahndungswürdig, aber hier trug das Festhalten maßgeblich dazu bei, dass Heintz vor Sallai an den Ball kam.
Strafbares Handspiel von Sallai? Kommt darauf an
Die Szene barg noch weiteres Diskussionspotenzial. Denn Sallai hatte den Ball mit der Hand berührt, bevor Riemann ihn festhielt. Strafbar war dieses Handspiel jedoch erst einmal nicht: Die Armhaltung des Spielers war für diese Situation normal, er vergrößerte seine Körperfläche nicht unnatürlich und war vielmehr ersichtlich darauf aus, einen möglichen Zusammenprall mit Riemann abzufedern. Der Ball, den der Torwart überraschend nicht festhielt, fiel Sallai von oben auf die Hand, Absicht wird man dem Freiburger hier sicherlich nicht unterstellen können. Damit gab es keinen Grund, das Handspiel zu ahnden.
Anders hätten die Dinge allerdings gelegen, wenn Sallai den Ball erreicht und gleich danach ein Tor erzielt hätte. Dann wäre das Handspiel doch strafbar gewesen - weil es im unmittelbaren Zusammenhang mit der Torerzielung desselben Spielers gestanden hätte, dem das Handspiel unterlaufen ist. Und das heißt auch: Eine offensichtliche Torchance von Sallai hat Manuel Riemann schon deshalb nicht vereitelt, weil der Freiburger ein gültiges Tor nicht unmittelbar hätte erzielen können. Hinzu kam, dass Sallai vor dem Foulspiel keine Kontrolle über den Ball hatte und mit Dominique Heintz ein Gegner in der Nähe war. Das waren ebenfalls Argumente gegen eine Bewertung des Foulspiels als "Notbremse". Marco Fritz beließ es dann auch bei einer Gelben Karte.
Was sonst noch wichtig war:
- Im Topspiel zwischen dem FC Bayern München und Borussia Mönchengladbach (1:1) hielt der überragende Gästetorwart Yann Sommer beinahe alles, doch nach 34 Minuten musste auch er sich geschlagen geben, als Sadio Mané nach einem präzisen Zuspiel von Thomas Müller ins Tor traf. Den zunächst gegebenen Treffer annullierte Schiedsrichter Daniel Schlager jedoch nach einem Eingriff von VAR Tobias Reichel und dem folgenden On-Field-Review. Denn Leroy Sané befand sich bei Müllers Pass im strafbaren Abseits: Dadurch, dass er eine Ausweichbewegung weg vom Ball unternahm und dabei ins Hohlkreuz gehen musste, um nicht getroffen zu werden, wurde er regeltechnisch eindeutig aktiv. Zudem verdeckte er im entscheidenden Moment die Sichtlinie der gleich neben ihm befindlichen Gegenspieler Nico Elvedi und Ko Itakura zum Ball. Beides beeinflusste die Möglichkeit der beiden Gladbacher, den Ball spielen zu können. Somit war die Entscheidung, das Tor abzuerkennen, korrekt.
- Schon nach vier Minuten gab es in der Begegnung RB Leipzig gegen den VfL Wolfsburg (2:0) einen Handelfmeter für die Hausherren. Nicht wenige dürften sich dabei gewundert haben, warum Schiedsrichter Bastian Dankert, der zunächst ein Abseits gegen Leipzig gepfiffen hatte, diese Entscheidung auf einen Hinweis von VAR Daniel Siebert korrigierte, ohne zuvor die Review Area aufgesucht zu haben, wie es in solchen Fällen obligatorisch ist. Für Aufklärung sorgten zwei Tweets des offiziellen Accounts der DFB-Schiedsrichter. Dankert habe "das strafbare Handspiel durch den Wolfsburger Verteidiger" - gemeint war Maxence Lacroix - "wahrgenommen, aufgrund des Fahnenzeichens seines Assistenten jedoch auf Abseits entschieden", hieß es dort. Bei der Überprüfung habe der VAR dann festgestellt, dass keine strafbare Abseitsposition vorlag. "Die Handspiel-Entscheidung wurde hingegen bestätigt, sodass kein On-Field-Review durch den Schiedsrichter erforderlich war."
- Vor der Saison wurden die Schiedsrichter im deutschen Profifußball von ihrer sportlichen Leitung dazu angehalten, gegen unsportliches Verhalten von Spielern und Teamoffiziellen konsequenter vorzugehen als zuletzt. Und die Referees setzen diese Direktive bislang gut um. Beispiele von den Partien am Sonntagabend: In der phasenweise hitzigen Begegnung des 1. FC Köln gegen den VfB Stuttgart (0:0) verwarnte der starke Unparteiische Harm Osmers den Stuttgarter Trainer Pellegrino Matarazzo nach 57 Minuten und schickte ihn eine Viertelstunde später mit Gelb-Rot auf die Tribüne. Der Übungsleiter der Schwaben hatte jeweils übermäßig und außenwirksam gegen Osmers' Entscheidungen protestiert. Zudem wurde der Stuttgarter Enzo Millot in der Nachspielzeit wegen Ballwegschlagens verwarnt. Im spektakulären Spiel Werder Bremen - Eintracht Frankfurt (3:4) zeigte der souverän leitende Schiedsrichter Patrick Ittrich dem Frankfurter Kevin Trapp in der 75. Minute wegen Spielverzögerung die Gelbe Karte. Diese Sanktion ereilte auch den Eintracht-Trainer Oliver Glasner in der Nachspielzeit, nachdem er seine Coachingzone verlassen hatte, um heftig zu reklamieren. Dass die Referees bei solchen Verhaltensweisen klare Grenzen setzen, ist gut und richtig.
Quelle: ntv.de