"Collinas Erben" und die Torhüter Hrádecký mit Rekord-Rot, Verrattis irres Gelb
23.01.2017, 09:52 Uhr

Trauriger Rot-Rekord für Lukáš Hrádecký. Noch nie flog ein Keeper in der Bundesliga so schnell vom Platz wie der Schlussmann von Eintracht Frankfurt.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Am letzten Hinrundenspieltag fliegen gleich zwei Torhüter von Platz – einer stellt einen Rekord auf, der andere liefert Gründe für gleich zwei rote Karten. In Paris kommt es zu einem skurrilen Rückpass, der eine seltene Entscheidung nach sich zieht.
Am Samstagabend trug sich der Frankfurter Torhüter Lukáš Hrádecký mit einem Rekord in die Annalen der Bundesliga ein – wobei er auf diese Höchstleistung ganz sicher liebend gerne verzichtet hätte. Denn noch nie in der fast 54-jährigen Geschichte des deutschen Fußball-Oberhauses flog ein Schlussmann so schnell vom Platz wie der finnische Nationalkeeper. Gerade mal zwei Minuten waren beim Gastspiel der Eintracht in der Leipziger Arena absolviert, da trugen die Hausherren einen ihrer charakteristischen blitzschnellen Konter vor. Der Pass in die Spitze auf den durchgestarteten Außenverteidiger Bernardo war eigentlich zu steil, im Normalfall hätte der aus seinem Gehäuse und dem Strafraum eilende Hrádecký den Ball problemlos klären können. Doch weil der Torwart wegrutschte, geriet er entscheidend ins Hintertreffen.
Rund 20 Meter vor dem eigenen Kasten blieben ihm deshalb letztlich nur zwei Möglichkeiten: Er konnte den alleine vor ihm auftauchenden Bernardo entweder vorbeiziehen lassen – was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Gegentor geführt hätte – oder den Ball mit den Händen unter sich begraben. Dies wiederum war nur um den Preis eines Platzverweises wegen der Verhinderung einer offensichtlichen Torchance zu haben. Hrádecký entschied sich bei der Wahl zwischen Not und Elend für Letzteres und zwang Schiedsrichter Deniz Aytekin damit dazu, die Rote Karte zu zücken. Zu allem Überfluss aus Frankfurter Sicht führte der folgende Freistoß auch noch zum 1:0 für Leipzig.
Dieser Treffer dürfte jedoch zur Folge haben, dass Hrádecký nur für ein Spiel gesperrt wird und nicht für zwei. Der DFB hat in der jüngeren Vergangenheit jedenfalls stets einen Strafnachlass von einer Partie gewährt, wenn nach der Verhinderung einer offensichtlichen Torchance durch ein Foul oder ein Handspiel und einem daraus resultierenden Platzverweis der folgende Frei- oder Strafstoß in ein Tor mündete. Denn dann habe, so die Begründung, die Unsportlichkeit letztlich doch nicht zum Erfolg geführt, weshalb man die eigentlich vorgesehene Sanktion – nämlich die Sperre für zwei Spiele – abmildern könne.
Drobný: gleich zwei Gründe für eine Rote Karte
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Lukáš Hrádecký war nicht der einzige Torhüter, der an diesem Spieltag – dem ersten des Jahres und gleichzeitig dem letzten der Hinrunde – des Feldes verwiesen wurde. Auch Bremens Keeper Jaroslav Drobný musste auf Geheiß des Unparteiischen vorzeitig in die Kabine. Er hatte in der 39. Minute den Dortmunder Marco Reus mit unfairen Mitteln zu Fall gebracht und Referee Daniel Siebert dabei gleich doppelten Anlass für eine Rote Karte geliefert: Zum einen erfüllte Drobnýs Tritt gegen Reus' Oberschenkel kurz vor der eigenen Strafraumgrenze den Tatbestand des brutalen Fouls, zum anderen verhinderte der Tscheche eine klare Torchance für den BVB. Seine Sperre dürfte deshalb deutlich länger ausfallen als die seines Frankfurter Kollegen.
Wenn ein Keeper vom Platz gestellt wird, kommt – sofern das Auswechselkontingent noch nicht erschöpft ist – stets der Ersatztorwart zum Einsatz. Dieser wird allerdings nicht für den des Feldes verwiesenen Schlussmann eingewechselt, denn das ist logischerweise nicht mehr möglich. Vielmehr behilft man sich in einer solchen Situation mit einem regeltechnischen Umweg, der wie folgt verläuft: Da ohne Torhüter nicht gespielt werden darf, müsste sich nach einer Roten (oder Gelb-Roten) Karte eigentlich einer der Feldspieler die Torwartkleidung anziehen und ins Tor gehen. Dieser Feldspieler-Torwart darf nun aber sofort gegen den Reservekeeper ausgewechselt werden – und um die Spielfortsetzung nicht unnötig zu verzögern, muss er sich nicht erst in die Torhüterklamotten werfen, bevor er das Feld verlässt. So kommt es, dass nach einem Platzverweis für einen Torwart immer auch ein Feldspieler vorzeitig Feierabend hat, wenn der Ersatztorhüter zwischen die Pfosten geschickt wird.
In Augsburg bezweifelte man derweil, dass der zweite Treffer für die Gäste aus Hoffenheim regulär war. Geschehen war dies: Kerem Demirbay hatte einen Pass in die Spitze gespielt, wo Sandro Wagner aus klarer Abseitsposition in Richtung Ball startete, kurz vor dem Erreichen der Kugel jedoch abstoppte und sie seinem Mitspieler Mark Uth überließ, der sie vor das Augsburger Tor passte, wo Andrej Kramaric den Ball schließlich über die Linie drückte. Schiedsrichter Markus Schmidt gab das Tor – und lag damit richtig. Denn nach der derzeit gültigen Regelauslegung wird eine Abseitsstellung nur geahndet, wenn der Angreifer entweder den Ball spielt oder die Möglichkeit eines Gegners beeinflusst, das Spielgerät zu erreichen – etwa, indem er ihn in einen Zweikampf verwickelt oder ihn behindert. Das war hier jedoch nicht der Fall, denn der einzige Augsburger, der sich in Wagners Nähe befand – nämlich Paul Verhaegh –, lief unbeeinträchtigt an Wagner vorbei zu Uth durch, um die Hereingabe zu unterbinden oder zu klären. Somit war der Treffer korrekt – und sowohl dem Unparteiischen als auch seinem Assistenten gebührt ein großes Lob dafür, in dieser komplexen und äußerst kniffligen Situation richtig entschieden zu haben.
Kurioses aus Paris: Verratti und die Rückpassregel
Zu einer kuriosen Szene kam es unterdessen in der höchsten französischen Liga bei der Partie zwischen dem FC Nantes und Paris Saint-Germain (0:2). Da nämlich legte sich der ballführende Gästespieler Marco Verratti urplötzlich an der eigenen Strafraumgrenze auf den Boden und spielte die Kugel in einer skurril anmutenden Aktion mit dem Kopf zurück zu seinem Torhüter Kevin Trapp. Der erkennbar überraschte Schiedsrichter Johan Hamel ließ die Begegnung zunächst weiterlaufen, unterbrach sie nach einigen Sekunden aber schließlich doch, zeigte Verratti die Gelbe Karte und gab einen indirekten Freistoß für Nantes. Sehr zum Unmut der Pariser, die vehement beim Referee protestierten und nicht verstehen wollten, was der Unparteiische da entschieden hatte.
Dabei lag der Spielleiter völlig richtig. Laut Regel 12 (Fouls und unsportliches Betragen) darf der Torwart den Ball bekanntlich nicht mit den Händen berühren, wenn er ihn von einem Mitspieler absichtlich mit dem Fuß zugespielt bekommt. Tut er es trotzdem, dann hat das einen indirekten Freistoß für den Gegner zur Folge. Verboten ist es gemäß der Regel 12 aber auch, absichtlich einen Trick zu nutzen, "um den Ball mit dem Kopf, der Brust, dem Knie etc. zum Torhüter zu passen und so die Rückpassregel zu umgehen". Ein solcher Trick – wie ihn Verratti zeigte – wird sogar noch schärfer geahndet, denn dieser Umgehungsversuch wird als Unsportlichkeit gewertet und zieht deshalb nicht nur einen Freistoß für das gegnerische Team nach sich, sondern auch eine Gelbe Karte für denjenigen, der ihn unternommen hat. Und das unabhängig davon, ob der Torwart den Ball mit den Händen berührt oder nicht, denn wesentlich ist der Umgehungsversuch als solcher.
Die im allgemeinen Sprachgebrauch oft "Rückpassregel" genannte Bestimmung wurde 1992 ins Regelwerk eingeführt. Bis dahin durften die Torhüter jegliche Zuspiele von Mitspielern uneingeschränkt mit den Händen aufnehmen, was eine unansehnliche und nervtötende Zeitverzögerungstaktik erheblich begünstigte. Die Regeländerung zwang die Keeper dazu, den Ball entweder schnell wieder abzugeben oder das Risiko eines Ballverlustes einzugehen – was das Torwartspiel über die Jahre geradezu revolutionierte. Weil man nicht zu radikal sein wollte, erlaubte man die technisch anspruchsvolleren Rückgaben zum Torhüter per Kopf, Brust, Oberschenkel oder Knie weiterhin, wenn sie aus dem Spiel heraus geschehen. Sie dürfen aber nicht – das legte man schnell fest – auf unkonventionelle Weise ausgeführt werden, das heißt, zur Umgehung der Regel wie bei Verratti.
Warum der Italiener auf die schräge Idee kam, seinem Keeper den Ball bei einer 1:0-Führung nach knapp einer halben Stunde Spielzeit auf diese Art und Weise zuzuspielen, ist ohnehin fraglich – zumal weit und breit kein Gegenspieler in der Nähe war. Die Regeln kannte Verratti jedenfalls offenkundig nicht gut genug. Dass der Schiedsrichter einen Moment brauchte, um die richtige Entscheidung zu treffen, ist wiederum nachvollziehbar: Knapp 25 Jahre nach der Einführung der "Rückpassregel" rechnet man einfach nicht damit, dass es immer noch Spieler gibt, die nicht wissen, dass man ihr nicht legal ausweichen kann.
Quelle: ntv.de