"Collinas Erben" finden Irren okay Koo phantomiert und Chicharito ist zu fix
19.09.2016, 10:25 Uhr

Augsburgs Ja-Cheol Koo hatte beim Spiel gegen Mainz Pech.
(Foto: imago/Eibner)
In Augsburg unterläuft dem Schiedsrichterteam ein kurioser Fehler, der keine gravierenden Folgen hat. Das Spiel in Frankfurt ist ein wahres Fest für Regel-Nerds. In Hamburg feiert ein Unparteiischer mit Doktortitel eine geglückte Premiere.
Markus Häcker ist ein überaus erfahrener Schiedsrichter-Assistent. Seit neun Jahren schon ist der 42-Jährige in der Bundesliga an der Seitenlinie unterwegs, am Sonntag hatte er bereits seinen 147. Einsatz im deutschen Oberhaus. Auch bei internationalen Spielen ist Häcker regelmäßig mit von der Partie, zuletzt am vergangenen Mittwoch als Helfer von Fifa-Schiedsrichter Deniz Aytekin beim Champions-League-Hochkaräter zwischen Juventus Turin und dem FC Sevilla. Der Mitarbeiter des Kataster- und Vermessungsamtes in Waren an der Müritz wird nicht zuletzt wegen seiner Akkuratesse und Zuverlässigkeit geschätzt, seine Fehlerquote ist ausgesprochen gering, auch in schwierigen, engen und unübersichtlichen Situationen liegt er mit seinen Fahnenzeichen fast immer richtig.
Dass selbst einer solch bewährten Kraft mal ein verblüffender Fauxpas unterläuft, ist selten, aber so menschlich wie der fatale Fehlschuss des millionenschweren Mittelstürmers, der aus drei Metern das leere Tor nicht trifft, oder der peinliche Patzer des Weltklassekeepers, der einen haltbaren Ball durch die Finger flutschen lässt. Markus Häcker hatte einen solchen Moment zum Vergessen, als er in der 15. Minute des Spiels zwischen dem FC Augsburg und dem 1. FSV Mainz 05 mit seiner Fahne ein vermeintliches Abseits des Augsburgers Ja-Cheol Koo anzeigte. Das Problem dabei war: Der Koreaner hatte den Ball aus dem Einwurf eines Mitspielers erhalten - und bei Einwürfen ist das Abseits aufgehoben, genauso wie beim Abstoß und beim Eckstoß.
Schuster fair, Rodriguez brutal
Natürlich weiß Häcker das, aber er war offenkundig einen Augenblick lang unkonzentriert oder unaufmerksam. Der Unparteiische Bastian Dankert hätte den Lapsus zwar noch korrigieren können, doch er verließ sich auf seinen routinierten Helfer an der Linie und unterbrach augenblicklich die Partie. Erst die recht massiven Proteste der Augsburger machten dem Schiedsrichterteam seine Panne bewusst. Dankert nahm die Abseitsentscheidung schließlich zurück und setzte das Spiel, wie nach eingestandenermaßen irrtümlichen Pfiffen üblich, mit einem Schiedsrichterball fort - nicht ohne vorher dem aufgeregten Trainer der Gastgeber, Dirk Schuster, freundlich und ausführlich die Sachlage erläutert zu haben. Coach und Referee gaben sich schließlich die Hand - eine gute und faire Geste, mit der diese für das Gespann der Unparteiischen unangenehme Situation ohne Gesichtsverlust beendet wurde.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Alles andere als fair verhielt sich dagegen der Mainzer José Rodriguez in der Nachspielzeit der Begegnung, die sein Team mit 3:1 gewann. Keine sieben Minuten nach seiner Einwechslung traf der Spanier bei seinem Bundesliga-Debüt den Augsburger Dominik Kohr bei einer rüden und völlig sinnfreien Grätsche im Mittelfeld mit gestrecktem Bein, der Sohle voraus und hoher Intensität im Bereich des Schienbeins und verletzte ihn erheblich. Referee Dankert war sofort am Tatort und sorgte mit entschlossenem Dazwischengehen dafür, dass es nicht zu Tätlichkeiten der aufgebrachten Augsburger gegen Rodriguez kam. Als sich die Lage einigermaßen beruhigt hatte, zeigte der Schiedsrichter dem Mainzer vollkommen zu Recht die Rote Karte. Durch seine Präsenz und sein gutes Entscheidungsmanagement hatte er wesentlich zur Deeskalation beigetragen.
Drei Vergehen binnen weniger Sekunden
In Frankfurt hatte der Unparteiische Christian Dingert derweil im Spiel der Eintracht gegen Bayer 04 Leverkusen gleich mehrere knifflige Szenen aufzulösen, die erste davon unmittelbar nach der Pause: Sofort nach dem Anstoß zur zweiten Spielhälfte überrumpelten die Gäste die Hausherren mit einem schnellen Angriff durch die Mitte, den der Frankfurter Makoto Hasebe kurz vor dem Strafraum beendete, indem er den durchgebrochenen Charles Aránguiz umriss - eine klare "Notbremse", wie es zunächst schien. Der Referee pfiff jedenfalls und griff bereits an seine Gesäßtasche, um die Rote Karte hervorzuholen und sie Hasebe zu zeigen. Doch dann hörte Dingert über sein Headset einen Einwand seines Assistenten Arne Aarnink.
Der nämlich hatte etwas gesehen, das selbst in der Zeitlupe extrem schwer zu erkennen war: dass nämlich Aránguiz, kurz bevor er von Hasebe gefoult wurde, den Ball absichtlich mit der Hand gespielt hatte. Da dieses Vergehen eindeutig zuerst stattfand, war die Verhinderung der klaren Torchance durch Hasebe schließlich ohne Belang. Der Schiedsrichter ließ die Rote Karte deshalb stecken und entschied stattdessen auf Freistoß für Frankfurt. Was die Szene noch komplexer - und in der Realgeschwindigkeit nahezu unüberschaubar - machte, war, dass es einen Wimpernschlag vor Aranguiz' Handspiel auch noch ein kurzes Halten des Eintracht-Verteidigers David Abraham gegen Chicharito gegeben hatte.
Letztlich kam es also innerhalb weniger Augenblicke zu gleich drei Vergehen: erst zum Foulspiel eines Frankfurters, dann zum Handspiel eines Leverkuseners und am Ende zu einem weiteren Foul eines Eintracht-Spielers. Da in solchen Fällen die Reihenfolge ausschlaggebend ist, wäre ein Freistoß für die Gäste am Ort des ersten Vergehens (also dort, wo Chicharito von Abraham regelwidrig gestoppt wurde) eigentlich die korrekte Spielfortsetzung gewesen - was allerdings erst nach mehreren Zeitlupen, die dem Unparteiischen bekanntlich nicht zur Verfügung stehen, deutlich wird. Am wichtigsten war in dieser Situation jedoch, dass es nicht zum Platzverweis (also zur härtestmöglichen persönlichen Strafe) gegen Hasebe kam. Denn eine "Notbremse" lag wegen des vorangegangenen Handspiels von Aránguiz ja nicht vor, wie Assistent Aarnink mit Adleraugen erkannt hatte.
Dingert aufmerksam, Chicharito unglücklich
In der 86. Minute setzte dann der Frankfurter Timothy Chandler im eigenen Strafraum zu einem Tackling gegen den davongeeilten Julian Brandt an. Der Einsatz war robust und riskant, ein bisschen berührte Chandler den Ball, aber es kam auch zu einem deutlichen Kontakt, durch den Brandt zu Boden ging. Ein Grenzfall, in dem Christan Dingert auf Strafstoß für die Leverkusener entschied. Dass Chandler lediglich die Gelbe Karte sah, obwohl er - wenn man sein Tackling denn als Foul wertet - eine klare Torchance verhindert hatte, liegt daran, dass "Notbremsen" im Strafraum, bei denen der Ball gespielt werden konnte und sollte, seit dieser Saison nur noch eine Verwarnung nach sich ziehen.
Den Elfmeter setzte Chicharito an den Pfosten - und weil der Mexikaner den von dort zurückspringenden Ball erneut spielte, obwohl ihn zwischenzeitlich kein anderer Spieler berührt hatte, verhängte der aufmerksame Referee den indirekten Freistoß, den die Regeln für jede Doppelberührung im Zuge einer Spielfortsetzung vorsehen.
Ein gelungenes Debüt als Unparteiischer in der Bundesliga feierte unterdessen Robert Kampka bei der Partie zwischen dem Hamburger SV und RB Leipzig. Der 34-Jährige - im Hauptberuf als Truppenarzt bei der Bundeswehr tätig und einer von drei Bundesliga-Referees, die einen Doktortitel haben (neben Felix Brych und Jochen Drees) - leitete das Spiel souverän, selbstbewusst und mit viel Umsicht. Der Strafstoß für Leipzig nach einem Foulspiel des Hamburger Torwarts René Adler an Timo Werner in der 65. Minute war berechtigt, bei den Gelben Karten handelte Kampka angemessen und konsequent. Auch mit seiner Körpersprache wusste der Mainzer zu überzeugen. So etwas nennt man einen Einstand nach Maß.
Quelle: ntv.de