
Andreas Brehme stieg mit Kaiserslautern ab.
In der Saison 1995/96 boomt die Bundesliga – und das Fernsehen berichtet fleißig. Komiker Harald Schmidt macht fiese Witze über den Bayern-Trainer und auf St. Pauli bietet man den Werder-Spielern Joints an. Und Mario Basler? Der musste auf dem Platz Wasserbomben abwehren.
Auch ein alter Hase wie Werder-Manager Willi Lemke erlebte in der Spielzeit 1995/96 in seinem Job noch Neues und Unvorhergesehenes. Als die Bremer mit ihrem Mannschaftsbus am 28. Spieltag am Millerntor zur Partie gegen den FC St. Pauli ankamen, saßen direkt am Zaun vor den Kabinen zwei junge Männer und rauchten einen Joint. Etwas verdutzt schauten die Werder-Profis zu den beiden Jungs hinüber. Vielleicht eine Sekunde zu lange, wie Lemke später erzählte, denn dann passierte das Unerwartete: "Die haben uns doch tatsächlich was angeboten!"
Die Liga boomte in dieser Saison wie nie zuvor. Kamen in der Spielzeit 1988/89 nur durchschnittlich 17.631 Zuschauer in die Stadien, waren es in dieser Saison über 30.000 Besucher pro Partie. Das Fernsehen ließ die Bundesliga bunt, fröhlich und populär erscheinen - und profitierte von der gestiegenen Aufmerksamkeit selbst in nicht unerheblichem Maße. Attraktive Geschichten, wie beispielsweise die Trainertätigkeit von Otto Rehhagel im Scheinwerferlicht der Medien-Metropole München, waren zudem das Salz in der Suppe.
"Vom Malermeister zum Meistermaler"
Dass das Abenteuer des ehemaligen Werder-Coachs an der Isar so schnell vorbei war, deutete sich spätestens Mitte Februar an. Als enttarnt wurde, dass an seinem Klingelschild in der Schwabinger "Casa Schellissima" nicht Rehhagel, sondern "Rubens" stand, titelten die Boulevardblätter spöttisch: "Vom Malermeister zum Meistermaler". Natürlich lasen auch die Bayern-Profis hier und da Zeitungen und nannten ihren Übungsleiter ab sofort nur noch "Rubens". TV-Komiker Harald Schmidt lästerte in seiner Sendung zudem über den gelernten Anstreicher und Lackierer Rehhagel: "Eines Tages Uli Hoeneß: Otto, das Training macht jetzt der Augenthaler. Du kannst schon mal die Wand streichen."
Der BVB gewann mit sechs Punkten Vorsprung auf die Münchner den Titel. Im Bundesliga-Keller kam es zu einem denkwürdigen Abstiegsendspiel zwischen Bayer Leverkusen und dem 1. FC Kaiserslautern. Acht Minuten vor Schluss schoss Markus Münch, in seiner letzten Partie für die Leverkusener, das wichtigste Tor seiner Karriere. Es war der 1:1-Ausgleich, der Bayer rettete und Lautern in die zweite Liga beförderte. Nach der Begegnung kam es im TV-Studio von "Premiere" zu herzzerreißenden Szenen. Lauterns Andreas Brehme weinte in den Armen seines Weltmeister-Kollegen Rudi Völler live vor einem Millionenpublikum bittere Tränen des Abstiegsschmerzes. Er war untröstlich. Erst als sein Trainer Eckhard Krautzun eintraf, schnäuzte sich Brehme und sprach mit verstopfter Nase und tränenerstickter Stimme einige schwer verständliche Worte ins Mikrofon. Rudi Völler, der an diesem Tag das letzte Spiel seiner Karriere bestritten hatte, hielt Brehme die ganze Zeit über tröstend im Arm.
"Leute zahlen Eintritt, da dürfen sie alles sagen"
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Nur einer behielt in dieser Spielzeit konstant die Nerven: Bremens Mario Basler nahm die Wasserbomben, die sie auf ihn in München warfen, gelassen hin: "Solange die Leute nicht mit Leuchtraketen auf mich schießen oder mit Flaschen schmeißen, ist es mir egal." Und zu den Schmähungen, die er sich 90 Minuten anhören durfte, sagte er ebenso ungerührt: "Die Leute zahlen Eintritt, da dürfen sie alles sagen." Wer so freiheitlich denkt, nimmt das Recht auf freie Entfaltung natürlich auch für sich in Anspruch. Als er im September verletzt pausieren musste, spielten seine Mannschaftskameraden im Europapokal gegen Glenavon Belfast - während Basler selbst im TV-Studio von Thomas Koschwitz' Sendung "RTL Late Night Show" saß und genüsslich an einer Zigarette zog. Dann lehnte er sich entspannt zurück und trank einen Schluck aus seinem Kölsch-Glas. Die Werder-Offiziellen reagierten beim Betrachten der Bilder nicht ganz so entspannt.
Kuriosum bei der Partie zwischen Hansa Rostock und dem 1. FC Kaiserslautern am 16. Spieltag. In der 52. Minute musste Schiedsrichter Georg Dardenne aus Nettersheim wegen eines Muskelfaserrisses verletzt ausscheiden. Nach einer 15-minütigen Spielunterbrechung übernahm für ihn Linienrichter Josef Funken den Posten an der Pfeife. Doch wer konnte für ihn den Platz an der Seitenlinie einnehmen? Peter Gabor, der offizielle DFB-Beobachter der Begegnung, veranlasste sofort eine "dringende Stadionansage", auf die sich vier Bewerber auf der Tartanbahn des Ostseestadions einfanden. Gabor entschied sich für einen gewissen Helmut Hübner aus Güstrow, den er bereits in der Oberliga Nord-Ost betreut hatte. Der DFB-Beobachter glaubte, dass dies der neutralste von allen sei.
Und tatsächlich: Helmut Hübner machte seine Sache ganz prima. Der füllige Mittfünfziger war im wahren Leben Taxifahrer und hatte nach den aufregenden 38 Minuten auf dem Rostocker Rasen nur eine Sorge: "Ich wollte um 18 Uhr zu Hause sein und ›ran‹ sehen. Meine Frau interessiert sich nicht für Fußball und wird das Interview mit mir ganz bestimmt nicht aufnehmen." Die Freude beim Aushilfslinienrichter war groß, als sich der Reporter als Mann vom ZDF vorstellte: "Bis zum Sportstudio bin ich längst zu Hause!"
Eine kleine Randnotiz zum Schluss: Borussia Mönchengladbach war der erste deutsche Verein, der im "Computernetz Internet" vertreten war. Manager Rolf Rüssmann war total begeistert von der eigenen Homepage und der Möglichkeit, bis zu 40 Mio. Menschen, "zum Beispiel Fußballinteressierte, die nicht zu uns ins Stadion kommen" (Marketingleiter Thomas Röttgermann), per Modem auf der ganzen Welt zu erreichen. Fazit: Die Zukunft hatte im Jahre 1996 die Bundesliga bereits erreicht!
Quelle: ntv.de