Deutsche Medaillenhoffnung Eine Knieverletzung führt sie zu Olympia
07.08.2024, 11:03 Uhr
Allen Grund zur Freude hatte die Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye im Juni bei den Deutschen Meisterschaften 2024 in Braunschweig. Die Mannheimerin wurde mit 19,25 Metern deutsche Meisterin.
(Foto: IMAGO/Eibner)
Yemisi Ogunleye ist aktuell Deutschlands beste Kugelstoßerin. Im Frühjahr stößt Ogunleye bei den Hallenweltmeisterschaften in Glasgow erstmals über 20 Meter. Mit einer Weite von 20,19 Metern wird sie hinter der Kanadierin Sarah Mitton Vizeweltmeisterin. Bei den Olympischen Spielen in Paris will die 25-Jährige wieder über 20 Meter stoßen und ihre Bestleistung noch übertreffen. Damit macht sie Hoffnung auf eine deutsche Medaille beim Kugelstoß-Finale am 9. August. Im Interview mit ntv.de spricht sie über ihre Ziele, Ängste und die Liebe zur Musik und zum Tanzen.
ntv.de: Bald starten Sie in Ihre ersten Olympischen Spiele. Wie fühlen Sie sich?
Yemisi Ogunleye: Ich bin dankbar, dass ich das erste Mal an den Olympischen Spielen teilnehmen kann. Wenn mir andere Athleten über ihre Erfahrungen bei vergangenen Olympischen Spielen erzählen, da kommt bei mir große Vorfreude auf.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Ich freue mich enorm auf die Stimmung im olympischen Dorf. Es kommen Athleten verschiedener Sportarten, unterschiedlichster Nationen zusammen. Genau diese gemeinschaftliche Atmosphäre hebt die Olympischen Spiele von anderen Wettkämpfen ab. Schon allein die Menschen, denen ich im Deutschen Haus begegne. Uns alle verbindet die Leidenschaft für den Leistungssport. Das macht die Olympischen Spiele aus.
Und auf welche Begegnung freuen Sie sich besonders?
Für mich ist es eine einzigartige Erfahrung, die Frauen-Nationalmannschaft im Fußball oder auch im Basketball zu treffen. Ich freue mich sehr auf das Miteinander. Aber ich möchte auch die Atmosphäre als Zuschauerin genießen. Nach meinem Wettkampf will ich mich ins Publikum auf die Tribüne setzen und die Athleten in anderen Sportarten angucken und unterstützen.
Welche Bilder haben Sie im Kopf, wenn Sie von Olympia träumen?
Ich denke daran zurück, wie das kleine Mädchen Yemi vor dem Fernseher sitzt und bei den Olympischen Spielen zuguckt. Am liebsten habe ich Turnen und Leichtathletik geguckt. Dass dieses Mädchen, das damals mit großen Augen vor dem Fernseher die Wettkämpfe verfolgt hat, heute das erste Mal selbst dort mitmachen darf, ist für mich unglaublich. Für mich ist es nicht selbstverständlich, bei den Olympischen Spielen im Ring zu stehen - die Teilnahme ist ein Geschenk. Viele Athleten träumen von Olympia, aber müssen wegen Hundertsteln oder einem Zentimeter zu Hause bleiben. Für mich geht schon mit der Teilnahme ein Traum in Erfüllung.
Wie sind Sie zum Kugelstoßen gekommen?
Ich bin über meine Knieverletzung zum Kugelstoßen gekommen: Ich habe lange geturnt und bin dann zum Siebenkampf gewechselt. Dann habe ich mich am Knie verletzt. In dieser herausfordernden Lebensphase habe ich gemerkt, dass ich nicht nur ein gewisses Talent für das Kugelstoßen, sondern auch Freude daran habe. Das wollte ich ausbauen. Meine Verletzungsphase war für mich die lehrreichste Zeit meines Lebens.
Inwiefern?
In dieser Zeit habe ich realisiert, dass es auch ein Leben außerhalb vom Sport gibt. Ich habe gemerkt, dass ich nicht nur springen, sprinten, werfen und stoßen kann. Ich habe mir jenseits vom Leistungssport etwas aufbauen können. Ich bin als Mensch weit gereist und habe meinen Horizont erweitert.
Wie meinen Sie das?
Ich möchte nicht darauf beschränkt werden, wie weit eine Kugel fliegt. Ich habe erkannt, dass ich unabhängig vom Leistungssport genug bin und geliebt werde. Meine Familie und meine Freunde lieben mich, egal welche Farbe meine Medaille hat und ob ich überhaupt eine Medaille habe. Und alles, was da hinzukommt, ist für mich ein Bonus und ein Geschenk. In der Verletzungsphase habe ich gelernt, jeden Moment zu genießen. Weil mir die Verletzung vor Augen geführt hat, dass von heute auf morgen mit dem Leistungssport Schluss sein kann. Deshalb möchte ich, dass die Menschen wissen, wer ich in allen meinen Facetten bin.
Welche zum Beispiel?
Ich spiele Klavier sowie Gitarre und ich singe in einem Gospelchor. Das kommt mir zugute, wenn ich die Kugel stoße.
Inwiefern?
Ich stoße mit der Drehstoßtechnik, die auf Schnellkraft basiert. Da helfen mir das gute Körper- und Rhythmusgefühl. Es braucht ein gewisses Rhythmusgefühl, die Kugel perfekt zu treffen. Ich bin zwar keine gute Tänzerin, aber ich habe mir durch die Musik und das Tanzen Rhythmusgefühl angeeignet. Ich sage immer, ich tanze durch den Ring. Ich weiß ganz genau, wo ich meine Füße hinsetzen muss und welche Schritte ich in welchem Winkel wie machen muss, um die Kugel optimal zu treffen.
Haben Sie Vorbilder?
Nein.
Und unabhängig vom Sport?
In meinem Glauben finde ich ein Vorbild. Der Charakter von Jesus ist für mich ein Vorbild.
Und was sind Ihre sportlichen Ziele für Olympia?
Mein Ansporn ist es, durch die Qualifikation zu kommen, also mich für das Finale zu qualifizieren. Auf dem Höhepunkt im Finale möchte ich in meiner besten Form sein - wir nennen das einen Peak setzen. Ich will einfach an dem Tag in Topform sein: mental und körperlich. Mein Ziel ist Bestleistung. Das bedeutet, ich will über 20 Meter stoßen. Ich möchte zeigen, was ich draufhabe und mal sehen, wofür es am Ende reicht.
Und wie bereiten Sie sich vor?
Ich versuche, mich auf alle möglichen Situationen vorzubereiten. Das Training läuft gut und ich bin gesund. In der Vorbereitungsphase ist es zudem wichtig, sich auch mental auf die Spiele einzustellen. Im Großen und Ganzen laufen die Vorbereitungen optimal.
Sie hatten im Vorfeld wieder Probleme mit dem Knie. Haben Sie diese überwunden?
Es ist besser geworden.
Sie standen schon einmal vor einem Karriere-Ende im Leistungssport. Wie gehen Sie damit um, zu scheitern?
Scheitern ist immer auch Teil von Erfolg. Bevor ich dieses 1 Prozent Erfolg habe, muss ich erst zu 99 Prozent durch harte Zeiten durchgehen und scheitern. Von außen sehen viele nur die Erfolge und die gewonnenen Medaillen. Aber der Weg zum Erfolg ist mit Hürden und Herausforderungen gepflastert, das vergessen viele.
Haben Sie auch Angst?

Ogunleye mit ihrer Trainerin Iris Manke-Reimers bei den Europameisterschaften 2024 in Rom. Mit einem Stoß über 18,62 Meter gewann Ogunleye Bronze.
(Foto: picture alliance / DeFodi Images)
Jeder Mensch hat Ängste und Zweifel - auch Menschen, die keinen Leistungssport machen. Ich habe realisiert, dass Olympia die größte Bühne sein wird, auf der ich jemals gestanden habe. Davor habe ich Respekt, es macht mir aber keine Angst. Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch. Ich versuche, negative Gedanken und Gefühle wie Angst mit positiven Dingen auszutauschen. Ich selbst versuche, mir immer positiv zuzusprechen. Zudem bin ich ein gläubiger Mensch. Meine Taktik ist: Ich bete meine Sorgen weg.
Wie funktioniert das genau?
Das ist ein Prozess: Ich sage mir, das sind die Sorgen, die ich habe. Und dann lege ich sie ab. Ich will mich nicht über meine Sorgen definieren, denn sie machen mich nicht aus. Sie sagen nichts darüber aus, wer ich bin. Ich sage mir, ich habe es verdient, hier zu sein und ich kann das. Ich spreche mir selbst Gutes zu, das hilft. Und meine Trainerin Iris Manke-Reimers und meine Familie sind vor Ort und stärken mir den Rücken. Und natürlich meine Freundin und Kollegin Alina Kenzel. Sie hat sich ebenfalls für Olympia qualifiziert und wird mir vor Ort Halt geben und mich ermutigen.
Aber Alina Kenzel ist doch ebenfalls Kugelstoßerin, Sie sind also Konkurrentinnen und treten gegeneinander an.
Trotzdem halten wir zusammen. Alina Kenzel ist außerhalb des Sports eine sehr gute Freundin von mir. In unserer langjährigen Freundschaft haben wir viele Hürden gemeinsam gemeistert. Das schweißt zusammen. Im Ring sind wir zwar Konkurrenz, aber das hat keinen Einfluss auf die Freundschaft. Wir unterstützen uns und tragen uns gegenseitig durch den Wettkampf. Wenn eine von uns Panik hat, kann die andere ihr ansehen, wie sie sich fühlt und hat sofort die richtigen Worte der Ermutigung parat. Es gibt mir eine gewisse Ruhe und Gelassenheit, zu wissen, dass sie an meiner Seite ist. Das ist ein großes Plus im Wettkampf.
Mit Yemisi Ogunleye sprach Rebecca Wegmann
Quelle: ntv.de