Technik

Desinformierte Gesellschaft Blinder Street-View-Hass

Als gäbe es keine echten Probleme. Stolz wird vermeldet, wie viele Häuser unkenntlich gemacht wurden. Was auf den ersten Blick wie der Sieg gegen Google aussieht, ist nur das traurige Resultat von Unkenntnis.

Links ein schönes Wohnhaus in Berlin Prenzlauer Berg. Und rechts?

Links ein schönes Wohnhaus in Berlin Prenzlauer Berg. Und rechts?

Endlich ist Street View auch in Deutschland online – zumindest teilweise. Als erstes habe ich – und da bin ich sicher nicht der Einzige – die Straße besichtigt, in der ich wohne. Es ist eine sehr kurze Straße, nicht mehr als 400 Meter lang. Trotzdem sind in der Street-View-Ansicht zwei Häuser verpixelt. Prozentual liegt der Anteil der unkenntlich gemachten Gebäude in meiner Straße damit sicher weit über den Bundesdurchschnitt. Und ich frage mich jetzt, was da für Leute wohnen und welches Problem sie mit Street View haben.

Meine kleine Straße ist eine der ältesten Straßen in Prenzlauer Berg. Balkone, auf denen Hanfpflanzen oder andere Dinge zu sehen sein könnten, die besser im Verborgenen bleiben, gibt es dort nicht. Seit sie renoviert wurden, unterscheiden sich die meisten Fassaden eigentlich kaum noch. Die Dachwohnungen der reichen Zugereisten konnten Googles Kameras auch nicht erfassen. Da meine kleine Straße zum Zeitpunkt der Kamerafahrten noch als Parkplatz für alle, die in Mitte nicht zahlen wollten, diente, kann auch keine Nobelkarosse einem Haus zugeordnet werden. Parterre wohnen auch in Zeiten der fortgeschrittenen Gentrifizierung in Prenzlauer Berg keine vermögenden Schwaben. Andererseits ist es für die Kreditwürdigkeit auch nicht unbedingt von Nachteil, in meiner kleinen Straße zu wohnen. Ich bin mir zwar nicht bei allen sicher, aber ich glaube, dass die wenigsten meiner Nachbarn sich tagsüber nackt am Fenster zeigen. Und auf den sommerlichen Fotos ist auch sicher keine peinliche Weihnachtsdekoration in den Fenstern zu erkennen. Was also hat meine Nachbarn dazu bewegt, sich die Mühe zu machen, bei Google Widerspruch einzulegen?

Denken tut weh

Ich vermute, dass sie ein typisches Beispiel für die irrationalen Vorbehalte vieler Deutscher gegenüber Google und ganz speziell Street View sind. Ohne sich mit eigenen Gedanken zu quälen, übernehmen sie zum Teil dümmste Argumentationen von Politikern, die zwar ebenso schlecht informiert sind, es aber als opportun betrachten, mit dem Finger auf Google zu zeigen, weil so billig Punkte beim Wahlvolk zu machen sind. Wie blöde muss ein Volksvertreter sein, der ein "Street-View-Gesetz" fordert? Oder sollte ich besser fragen, wie skrupellos? Denn nachdem der Bundestag fest in der Hand von Juristen ist, sollte man annehmen, dass es bekannt ist, dass man keine Gesetze für oder gegen bestimmte Gruppen machen darf. Ein Geodatengesetz gibt es bereits, muss also nicht neu erfunden, sondern höchstens modifiziert werden.

Darf man denn einfach so Häuser fotografieren? Ja darf man. Und das ist gut so - Städtereisenden würden sonst die Motive ausgehen. Ja, aber darf man sie einfach im Internet veröffentlichen? Ja, auch das ist erlaubt – so lange man sich an bestehende Gesetze hält. Und sie gewähren das Recht am eigenen Bild, aber nicht an der eigenen Häuserfassade. Es erlaubt aber beispielsweise Touristen weit mehr als Google: Sie müssen Menschen vor einem Museum nicht unkenntlich machen – Google tut's.

Dumpfer Antiamerikanismus

Unweit meiner kleinen Straße ist die Kastanienalle. Sie ist eine der berühmtesten Berliner Straßen und wird jeden Tag von Hunderten Touristen besucht und fotografiert. Aber auch in dieser Straße sind zahlreiche Häuser verpixelt. Persönlichkeitsrechte werden hier durch Street View sicher nicht verletzt. Aber auch wenn die Kastanienalle inzwischen der Ballermann vom Prenzlauer Berg ist, wohnen dort noch immer einige Alt-Linke, für die technischer Fortschritt Teufelswerk ist – vor allem, wenn er aus den Vereinigten Staaten kommt. Doch sie haben nur scheinbar über den US-Daten-Satan Google gesiegt. Denn die Verpixelung der Häuser, in denen sie vielleicht nur im zweiten Hinterhof wohnen, ist lächerlich. In Google Maps oder Street View sind Dutzende Fotos zu sehen, die Nutzer hochgeladen haben. Unter ihnen auch die Häuser der rückständigen "Freiheitskämpfer".

Selbst Fotos schießen ist übrigens der einzige Weg für solche Menschen, die zum Opfer der Google-Hasser wurden. Denn in den unkenntlich gemachten Gebäuden wohnen oft Menschen, die ihr Haus liebend gerne in Street View sehen wollten. Sie aber haben keine Chance, ihre Interessen durchzusetzen. Verpixelt ist verpixelt.

In meinem Nachbarhaus wurde übrigens vor ein paar Tagen tatsächlich eingebrochen. Da aber war Street View noch gar nicht online. Die Gangster wussten aber, dass in der Wohnung neben Bargeld auch wertvoller Schmuck zu holen war. Kriminelle sind eben schlauer als Street-View-Gegner: Sie informieren sich selbst.

Quelle: ntv.de

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