Technik

Liebe aus dem Netz Chats als soziales Lernfeld

Andrea und Andreas sind gerade zusammengezogen. Kennen gelernt haben sie sich im Internet, im Chatraum für Flirts. "Wir planen unsere Zukunft zusammen", schreibt Andrea in der Rubrik "Erfolgsstorys" auf der Internetseite des mitgliederstärksten Online-Flirt-Anbieters, Friendscout24.de. So wie Andrea und ihrem Andreas geht es immer mehr Menschen. Der begeisterte Chatter Frank (23) aus dem hessischen Hattersheim glaubt: "Man nimmt sich im Chat viel mehr Zeit, gegenseitig herauszufinden, ob man wirklich miteinander zurechtkommt, bevor man sich zum ersten Mal trifft."

Auch Wissenschaftler bekommen langsam ein positiveres Bild von der Liebe aus dem Netz. Lange Zeit waren Psychologen der Meinung, zu viel Kommunikation via Internet führe zu Vereinsamung. 31 Prozent der deutschen Internet-Benutzer halten nach einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) das Internet für den geeigneten Ort zum Kennenlernen. Andrea und Andreas gehören gar zu jenen 14 Prozent, die auf diesem Weg den Traumpartner gefunden haben. Das Internet rangiert als Flirt-Ort inzwischen bei vielen vor Kneipen und Discotheken.

Virtuelle Identität ist keine Scheinidentität

Für die Kommunikationswissenschaftlerin Nicola Döring, Autorin des Buches "Sozialpsychologie des Internets" und Professorin an der Technischen Universität im thüringischen Ilmenau, stellt das Internet ein "soziales Lernfeld" dar. Im zunächst anonymen Chat könnten Menschen im Alltag oft verborgene Qualitäten ausspielen oder geheime Wünsche und Fantasien ausdrücken. "Diese kennen zu lernen und zu ihnen zu stehen, kann der eigenen Selbstentwicklung dienen." Positive Erfahrungen im Netz könnten zudem dazu führen, dass man außerhalb der Cyber-Welt mutiger und offener auf andere Menschen zugehe. "Die virtuelle Identität ist also keine Scheinidentität, sondern eine weitere Facette des realen Menschen."

Menschen in Chats offener

Der britische Psychologe Jeff Gavin hat herausgefunden, dass im Internet begonnene Beziehungen "mindestens so haltbar, wenn nicht gar haltbarer als traditionell begonnene" sind. In Chaträumen gingen Männer oft offener mit ihren Gefühlen um als in der Realität, Frauen hingegen falle es leichter, über sexuelle Fantasien zu sprechen. Er befragte für seine Studie 42 regelmäßige Chatraum-Nutzer im Alter von 17 bis 28 Jahren. Die Hälfte von ihnen hatte über einen Kontakt im Chat eine langfristige Liebesbeziehung aufgebaut.

Zudem befragte Gavin 300 australische Schüler im Alter von 17 und 18 Jahren. Diese Umfrage ergab, dass die Hälfte von ihnen ihre erste wirkliche Liebes-Beziehung zu jemandem hatten, den sie online kennen gelernt hatten. Der Forscher ist der Meinung, dass die Anonymität des Netzes es den Kontaktsuchenden erlaube, von Anfang an offener über Persönliches zu reden.

Internet-Fan Frank geht dank seiner Online-Flirts nicht mehr so viel aus wie früher. Heute seien eher in der Disco, als im Internet "die komischen Leute", glaubt er. Der Hesse gibt zu, dass im Internet "geschönt" wird: "Natürlich macht man sich etwas attraktiver. Keiner geht einfach online und sagt:, Alle mal herhören: Ich bin klein, dick und ziemlich hässlich. Wer will mit mir chatten?' So läuft das nicht." Das sei eben wie im wirklichen Leben: "Wer in die Disco geht, macht sich auch vorher schick. Genau das passiert im Internet auch."

Von Gregor Tholl, dpa

Quelle: ntv.de

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