Computerspielexperte zu Taliban-Diskussion "Viele verstehen das Medium nicht"
05.10.2010, 13:18 Uhr
Bald wird "Medal of Honor" veröffentlicht - ein Computerspiel, bei dem Spieler in Afghanistan auch US-Soldaten töten können. Nach massiver Kritik hat Electronic Arts die Fraktion der Taliban umbenannt. "Das ist Humbug", sagt Experte Mark Butler im Gespräch mit n-tv.de – auch wenn vermeintliche Authentizität die Verkaufszahlen in die Höhe treibt.
n-tv.de: Herr Butler, welche Rolle übernehmen Computerspiele bei kriegerischen Auseinandersetzungen - wie derzeit in Afghanistan?
Mark Butler: Computerspiele funktionieren wie andere Medien auch - sie verleihen dem Imaginären solcher Konflikte eine Gestalt. Wie ein Buch oder ein Film regen sie die Fantasie an. Es gibt einen auffälligen Unterschied zwischen der Nutzung von vergangenen und aktuellen Konflikten als Setting für ein Computerspiel: Es ist kein Skandal wenn ältere Kriegsschauplätze inszeniert werden, bei neueren schon. Der Zweite Weltkrieg etwa ist für Shooter sehr populär. Es regt sich jedoch niemand darüber auf, dass man etwa einen Wehrmachtssoldaten spielen kann. Nazis sind offenbar kein Problem. Taliban schon. Genau daran entzündet sich bei "Medal of Honor" diese "moral panic", wie es im Englischen heißt.
Warum ist das so?

Der Kulturwissenschaftler Mark Butler ist auf Computerspiele spezialisiert. Ab November ist er am Zentrum für Computerspielforschung in Potsdam beschäftigt.
Das aktuelle Kriegsgeschehen in Afghanistan erregt noch viele Gemüter, deswegen wird seine Modellierung als Spiel von vielen als moralisch verwerflich angesehen. Dabei muss aber auch betonen, dass diese Kritik nicht von allen geteilt wird, auch nicht von allen Angehörigen der US-Streitkräfte. Viele spielen gern etwas, in dem ihre Erfahrungen inszeniert werden. Und viele haben überhaupt kein Problem damit, dass man im Multiplayer-Modus die gegnerische Seite steuern kann. Es ist im Shooter-Genre normal, dass beide Seiten spielbar sind. Wie bei Räuber und Gendarm. Oder eben beim Klassiker Counterstrike, bei dem der Spieler entweder auf der Seite der "Terroristen" oder der "Anti-Terror-Einheit" steht.
Wie ist die Umbenennung einzuordnen?
Die Entscheidung von Electronic Arts, Taliban als "Opposing Force" zu titulieren, ist nur Kosmetik. Am Spiel hat sich nichts geändert, weder am Spielaufbau noch an der visuellen Inszenierung. Und obwohl die Gegenspieler zum US-Militär nicht Taliban heißen, kann jeder Mensch der Nachrichten guckt die Assoziation herstellen.
Trotzdem regen sich hochrangige Politiker - wie der britische Verteidigungsminister - über Medal of Honor auf.
Seit 2002 werden Shooter auch vom US-Militär für Marketing genutzt. So wie "America's Army", wo Spieler die Gegenseite nicht spielen können. Auch nicht im Multiplayer-Modus, wo sich beide Mannschaften selbst als amerikanische Soldaten und die Gegner als feindliche Kämpfer sehen. Das ist natürlich absurd.
Ist es für den Spieler ein Unterschied, ob er als Taliban oder als "Aufständischer" spielt?
Es ist totaler Humbug. Die Bezeichnung "Taliban" hat für die Identifikation des Spielers mit seiner Figur überhaupt keine Bedeutung. Es geht um das Spiel, um gewinnen und verlieren. Im Einzelspielerpart ist das anders: In der Kampagne gibt es eine Geschichte, der Spieler erfährt etwas über seine Figur und hat mehr Zeit, sich mit ihr zu identifizieren. Im Mehrspielermodus geht dafür alles viel zu schnell.
Worum geht es dem Spieler also?
Um die Spielmechanik. Viele derer, die sich über Computerspiele aufregen, verstehen das Medium nicht. Sie unterschätzen zudem die Kompetenz der Konsumenten, zwischen virtuell und nicht virtuell zu unterscheiden. Spieler haben häufig ein distanziertes Verhältnis dazu, was auf dem Schirm geschieht. Sie sind sich darüber bewusst, dass es eine symbolische Simulation ist, die von Nullen und Einsen generiert ist, die bestimmte Handlungen zulässt und andere ausschließt. Das gilt besonders in Multiplayer-Modi von Shootern.
Im Film ist so etwas nie ein Problem - wie etwa bei "Letters from Iwo Jima" oder "Flags of our Fathers" von Clint Eastwood, wo ein Konflikt aus der Perspektive beider Seiten erzählt wird.
Computerspiele können im Vergleich zum Film oder Büchern relativ wenig erzählen. Es geht vielmehr um Handlungen. Was tue ich als Figur? Beim Shooter ist das ausweichen, zielen und schießen. Da braucht es keine Charaktertiefe und keine komplexe Psychologie. Die Tiefe bei Spielen wird über animierte Sequenzen generiert, in denen ich keine Kontrolle über meine Figur habe. Diese Abschnitte fallen sind bei einem Mehrspieler-Shooter kaum vorhanden.
Trotzdem sind die visuellen Komponenten teilweise sehr ähnlich.
Computerspiele bedienen sich sehr stark beim Film, besonders was die Kameraperspektiven betrifft. Das gilt auch für die visuelle Inszenierung des Geschehens. Umgekehrt fühlen sich viele sehr actionlastige Filme wie Spiele an. Eben weil sie auf eine Charakterentwicklung größtenteils verzichten und an der Oberfläche der Handlung bleiben.
Welche Bedeutung hat ein realistisches Setting für das Shooter-Genre?
Die Handlungen des Spielers werden in ein kulturelles Skript eingearbeitet. Dadurch bekommt das Spiel eine Aura des aktuellen, authentischen und relevanten. Bei Konsumenten gibt es eine starke Sehnsucht nach Authentizität. Das ist auch an den scheinbar unzähligen Reality-TV-Shows zu erkennen. Oder eben an solchen Computerspielen wie Medal of Honor, bei dem das Versprechen nach Authentizität ein Verkaufsargument ist. Spätestens seit America's Army wird bei Spielen mit dieser Eigenschaft geworben: Etwa das die Waffen den echten nachempfunden sind, dass Gespräche mit echten Soldaten gehalten wurde, dass Geräusche echt sind, und so weiter.
Wie glaubwürdig sind solche Behauptungen?
Sie sind sehr irreführend. Bei Computerspielen von einer authentischen Kriegserfahrung zu sprechen ist vermessen. Es fehlt der Dreck, der Schweiß, die Ermüdung, die Verletzung, das Ausgeliefertsein, der Gestank, das Blut, der Tod; alle Soldaten, die solche Titel spielen, weisen immer wieder darauf hin, dass es bei weitem nicht an eine reale Erfahrung heranreicht.
Sind sie verharmlosend?
Dazu sind die Aussagen sehr unterschiedlich. Es kommt darauf an, wie Tod und Töten inszeniert wird. Das kann verharmlosend sein, aber auch grausam. Jedes Spiel muss einzeln betrachtet werden. Sicher ist: Das Versprechen auf Authentizität ist ein Alleinstellungsmerkmal, das vermarktet wird.
Mit Mark Butler sprach Roland Peters
Quelle: ntv.de