Wirtschaft

"Atmend", risikoavers, familiär "BMW hat die Probleme von VW nicht"

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Die Autokonjunktur ist im Sinkflug. Auch der Münchener Autobauer ist dagegen nicht gefeit. Der operative Gewinn von VW, Mercedes-Benz und BMW brach im dritten Quartal auf Jahressicht annähernd um die Hälfte ein.

Die Autokonjunktur ist im Sinkflug. Auch der Münchener Autobauer ist dagegen nicht gefeit. Der operative Gewinn von VW, Mercedes-Benz und BMW brach im dritten Quartal auf Jahressicht annähernd um die Hälfte ein.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Stellenabbau, Werksschließungen, Verlagerungen ins Ausland: Die Stimmung in der Autoindustrie steht auf einem Tiefpunkt. Kaum ein Tag vergeht ohne eine weitere Hiobsbotschaft. Die rigorosen Sparpläne bei VW führen zu lautstarken Protesten. Warnstreiks, Tausende Beschäftigte auf der Straße, turbulente Betriebsversammlungen: davon ist aus der BMW-Zentrale in München nichts zu hören. Wie geht es BMW? Was unterscheidet den Konzern von seinen Konkurrenten? Kommt er leichter aus der Krise? Und welche Rolle spielen die Quandts als Großaktionäre? ntv.de fragt den Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer.

ntv.de: Diese Woche wurde bekannt, dass Norbert Reithofer im Mai an der Spitze des Aufsichtsrats durch Nicolas Peter ersetzt werden soll. Reithofer war 25 Jahre lang im Vorstand und Aufsichtsrat aktiv. Von 2006 bis 2015 war er BMW-Chef. Ein Vierteljahrhundert ist eine beispiellose Zeitspanne für einen deutschen Konzern. Was bedeutet der Wechsel?

Ferdinand Dudenhöffer: Die Personalie ist vor allem interessant, weil Peter - der auch schon sehr lange bei BMW ist - Jurist ist. In der Vergangenheit haben Ingenieure den Konzern vorangetrieben. Reithofer und die anderen Bosse der vergangenen Jahrzehnte kamen alle aus der Produktion. Ihnen ist es zu verdanken, dass BMW eines der flexibelsten Produktionssysteme weltweit in der Autoindustrie hat. Damals hieß es: Wenn man Kapazitätsauslastungen zwischen 95 Prozent oder mehr schafft, dann schreibt man auch gute Margen. BMW hat sich sehr stark darauf fokussiert. Peter hat andere Fähigkeiten. Er kann Vertrieb und Finanzen. Der Wechsel ist auf jeden Fall - so wie alles bei BMW - sehr langfristig angelegt.

Peter gilt als scharfer Analytiker. Als Leiter des Konzerncontrollings soll er in der Finanzkrise 2009 dafür gesorgt haben, dass BMW in den schwarzen Zahlen geblieben ist. Ist es der Krise geschuldet, dass ein Finanzmann und kein Ingenieur berufen wird?

Zahlen sind wichtig, aber mit Zahlen allein kann man das Unternehmen nicht retten. Der Finanzverstand von Peter hat in der Finanzkrise sicherlich eine Rolle gespielt, aber nach meiner Einschätzung war es das flexible Produktionssystem, das BMW stabilisiert hat. Mercedes hat sehr lange gebraucht, um gegenzusteuern. Mit dem Erfolg, dass Autos gebaut wurden, die dann mit hohen Rabatten verkauft werden mussten.

Die gesamte Branche ist in Aufruhr. Von Personalabbau über Werksschließungen bis hin zu Verlagerungen ins Ausland wird viel versucht, um dieser Krise etwas entgegenzusetzen. BMW kürzt bislang nur Bonuszahlungen, Weihnachtsgeld und Investitionen. Reicht das?

Es hilft, aber es reicht nicht aus. Das behält die Kosten zwar im Ruder und sorgt dafür, dass Verluste nicht so groß werden. Damit baut man aber noch keine neuen Autos. Die große Frage ist derzeit: Wo muss man die Autos entwerfen, die die Käufer wollen? Kann man ein softwaregetriebenes Auto wirklich in München entwickeln oder muss man dafür nach China gehen? BMW hat ein sehr großes Entwicklungszentrum in China. Aber ist das groß genug? Meiner Einschätzung nach kann man das Auto der Zukunft nur in China bauen, weil dort Technologieunternehmen wie Huawei, CATL oder BYD sind, die eine fast unendliche Dynamik versprühen. Amerika ist keine Alternative. Dort gibt es zwar starke Techkonzerne und Software, aber auf den Straßen fahren immer noch Verbrenner.

VW steckt mitten in einem flächendeckenden Arbeitskampf. Das Management will Personal und Überkapazitäten rigoros eindampfen. Wie sieht es bei BMW aus?

BMW hat die Probleme der Wolfsburger nicht. Die VW-Probleme sind dem Aktienbesitz des Landes Niedersachsen geschuldet. BMW ist ein freies Unternehmen und hat seine Kapazitäten und Arbeitsplätze immer sehr stark am Markt ausgerichtet. Man kann auch sagen, BMW ist eine atmende Organisation. Mal wird mehr produziert, mal weniger. Zur BMW-Strategie gehört die langfristige Stabilität. Genauso wie die Zusammenarbeit mit den Betriebsräten und dem Personal. Bei VW gab es immer Konflikte mit der Gewerkschaft. So etwas gab es in München nie.

BMW ist der Elektroignorant in der Branche. Warum hat man sich für Technologieoffenheit als Strategie entschieden?

BMW ist konservativer in seiner Technik und Ausrichtung als seine Konkurrenten. Man sichert sich mehr ab. Das hat aber auch seinen Preis. Wenn man für alles offen ist, ist das wie eine Versicherung. Dafür wird dann aber eine Prämie fällig. Jeder macht es anders. Elon Musk hat sich dagegen entschieden. Der chinesische Autobauer BYD sagt, wir gehen mit Hosenträger und Gürtel rein. Wir haben Plug-in-Autos und E-Autos. Die Frage ist, wie viel Absicherung man will und was sie einem wert ist.

War es rückblickend die bessere Entscheidung, nicht vollständig auf E-Mobilität gesetzt zu haben?

Pauschal kann man das nicht sagen. Eine Entscheidung gilt immer nur für eine Region. In China verkaufen sich die E-Autos von BMW genauso schlecht wie die von VW und Mercedes. Mit Wasserstofffahrzeugen hat man auf dem Pkw-Markt kaum Chancen. Für Europa kann man sagen, dass BMW wegen des Hin und Her der Politik um den Green Deal, der dann praktisch ein Black Deal wurde, durch seine Technologieoffenheit tatsächlich besser aufgestellt war als Daimler und VW, die auf "Electric Only"- gesetzt haben. Das gilt auch für Amerika.

BMW bringt nächstes Jahr neue E-Autos auf den Markt, die sogenannte Neue Klasse. Wird das ein Gamechanger?

Interessant ist, dass BMW seine Batteriestrategie geändert hat. Statt viereckiger Zellen, also prismatischer Zellen ist man - wohl auch aus Sicherheitsgründen und den Tesla-Erfahrungen - zu Rundzellen übergegangen. BMW hat viel investiert. Jetzt kommt es darauf an, welche Verbesserungen damit möglich sind und welcher Preis sich daraus ergibt. Diese neue Modellfamilie soll ab 2026 in Shenyang in China gebaut werden. Die Frage ist, wie stark die Chinesen dann sind. Der Handyhersteller Xiaomi hat ein Auto gebaut, das zwischen 40.000 und 50.000 Euro kostet und einem Porsche Taycan ähnelt. Das ist China. Ein Nachteil für BMW dürfte die höhere Kostenstruktur in der Produktion sein. BMW arbeitet nicht mit Aluminiumdruckguss, einer Technologie, die Musk gerne Giga-Casting nennt. Musk lässt große Karosserieteile von Druckgussmaschinen in einem Arbeitsgang fertigen. Dabei wird Flüssigaluminium mit dem Druck von mehr als 13.000 Tonnen in eine Form gepresst. Das geht schnell und spart 40 bis 50 Roboter. Xiaomi hat solche Maschinen, BMW nicht. Interessant wird auch, wie BMW mit der Digitalisierung klarkommt. Die neuen Benchmarks setzen chinesische Tech-Giganten wie Huawei, Tencent oder Baidu. So was haben wir in Europa bedauerlicherweise nicht.

BMW wird nach eigenen Regeln geführt. Großaktionäre sind die Geschwister Susanne Klatten und Stefan Quandt. Sie besitzen fast die Hälfte der Anteile an BMW. Wie sehr mischen sie sich ein?

Das ist eine Familie, die mit sehr langen Zügeln arbeitet. Die sehr viel Vertrauen hat und dem Management relativ wenig reinredet, so wie ich es kennengelernt habe. In der Vergangenheit war es immer so, dass die Aufsichtsratsvorsitzenden in sehr engem Austausch mit der Familie standen und die Strategie erklärt haben. Und die Familie hat diese Strategie dann immer mitgetragen.

Ferdinand Dudenhöffer ist Leiter des privaten Bochumer Instituts Center Automotive Research (CAR)

Ferdinand Dudenhöffer ist Leiter des privaten Bochumer Instituts Center Automotive Research (CAR)

Aus dem Führungszirkel dringt auffällig wenig nach draußen. Gibt es keine Diskussionen in diesen harten Zeiten?

BMW ist das völlige Gegenteil von VW. Während man sich in Wolfsburg bekämpft, herrscht in München ein harmonisches Verhältnis. Es gab eigentlich nur einen großen Crash bei BMW. Das war die Zeit, als Pischetsrieder und Reitzle wegen des Streits um Pischetsrieders Englandabenteuer mit Rover rausgeschmissen wurden. Das hätte den Konzern fast in den Ruin getrieben. Das war das einzige Mal, wo es einen Riesenclash bei BMW gab. Ansonsten läuft alles sehr ruhig. Die Kultur ist sehr familiär. Vom Klima her ist BMW ein Mittelding zwischen Porsche und Mercedes, so würde ich es beschreiben.

Institutionelle Anleger lassen wegen dieses familiären Verhältnisses lieber die Finger von BMW, was sich negativ auf die Marktkapitalisierung auswirkt. Die Geschäftsführung sei eher der Familie und den Arbeitnehmern verpflichtet als den Aktionären, heißt es. Das ist ein schwerer Vorwurf. Was ist da dran?

Die Familie hat sich tatsächlich auch schon mal über Corporate Governance-Regeln hinweggesetzt. Als Reithofer als Vorstandsvorsitzender in den Aufsichtsrat gewechselt ist, hat er beispielsweise keine Ruhephase zwischen den beiden Ämtern eingelegt. Das zeigt schon, dass man bei BMW seinen eigenen Weg geht. Der Aktienkurs ist wichtig, aber die Familie leitet das Unternehmen nicht danach. Die Strategie von BMW war immer, nicht in Spitzen und damit auch nicht ins Risiko zu gehen. Deshalb hat BMW auch nie Spitzenmargen gemacht. BMW hat immer gesagt, wir wollen 9 oder 10 Prozent und keine 25 Prozent. Das nennt man risikoaverse Strategie und das Gegenteil von dem, was Elon Musk macht.

2026 läuft der Vertrag von Oliver Zipse aus. Peter wird als neuer Aufsichtsratschef diese Spitzenpersonalie in den Blick nehmen müssen. Laufen sich bereits Kandidaten warm?

Wenn der Posten intern vergeben wird, kommt wohl der derzeitige Produktionsvorstand Milan Nedeljković in die engere Wahl. Er ist jung genug und macht einen guten Job. Mit Ilka Horstmeier gibt es auch eine Frau im Vorstand. Aber wegen ihrer Rolle, die sie bisher im Unternehmen gehabt hat, kommt sie weniger infrage. Sie verantwortet das Ressort Personal- und Sozialwesen. Der Technikvorstand Frank Weber macht eher einen blassen und scheuen Eindruck. Das wird kein Reithofer oder Zipse. Ein Externer ist bisher nie Vorstandsvorsitzender geworden. Aber ausschließen würde ich das auch nicht.

Mit Ferdinand Dudenhöffer sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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