Diese Krise wird von Dauer sein Über der deutschen Autoindustrie zieht ein Orkan auf
24.11.2024, 09:58 Uhr Artikel anhören
Stellenabbau, Kurzarbeit, Sparkurs: Nicht nur Volkswagen steckt in einer schweren Krise. 2023 erwirtschaftete die gesamte Autobranche rund 70 Prozent ihres Umsatzes im Ausland.
(Foto: picture alliance / M.i.S.)
Obwohl der globale Automarkt gesund und munter ist, hat die seit Jahrzehnten erfolgsverwöhnte deutsche Autoindustrie schwer zu kämpfen. Kommt es zu einem Zollkrieg mit den USA und China, ist ihr Geschäftsmodell tot.
Binnen eines Jahres hat sich die Lage in der deutschen Autoindustrie um 180 Grad gedreht. Im Jahr 2023 noch historische Rekordumsätze und -gewinne, Wachstumsoptimismus und Champagner allerorten. Dieses Jahr Absatz- und Gewinneinbrüche in zweistelliger Größenordnung und düstere Zukunftsperspektiven. In den Vorstandsetagen macht sich Panik breit.
Batterie-Elektroautos (BEV) sind zu Ladenhütern geworden. Weil es an Nachfrage fehlt, sind die Lager der Händler voll. Die Autobauer mussten ihre Produktion drastisch schrumpfen. Das gilt sowohl für Stromer als auch für Luxusautos mit beiden Antriebsarten - also batteriebetrieben und mit Verbrennungsmotor, die für den Export bestimmt sind. Die Fabriken sind teils nur noch zu 50 Prozent oder weniger ausgelastet. Schichten werden gestrichen, ganze Werke stehen auf der Kippe, Massenentlassungen sind angekündigt. Besonders dramatisch: Die Misere der großen Autobauer zieht Hunderte kleinere und mittlere Zulieferer mit in den Abgrund. Und das, obwohl die Lust der Autofahrer auf Neuwagen weltweit in den vergangenen Jahren wieder deutlich gestiegen ist.
Zum ersten Mal seit Wirtschaftswunderzeiten hat ausgerechnet die erfolgsverwöhnte deutsche Autoindustrie zu kämpfen. Und das, obwohl der globale Automobilmarkt gesund und munter ist. Aber der Motor der deutschen Wirtschaft stottert - und damit auch der Automobilstandort Deutschland.
Die fetten Jahre sind vorbei
Plakative Industrie- und Autogipfel vor dem Ampel-Aus und Rufe nach staatlicher Unterstützung waren in der Lösungssuche sinnlos, weil verantwortliche Politiker und Autogewerkschaften mit ihren sieben Prozent Lohnforderungen den Ernst der Lage völlig verkannten. Das Fass zum Überlaufen brachte eine nicht mehr beschlussfähige Regierung, weil die Ampel-Fortschritts-Koalition die Flinte ins Korn warf.
Unterm Strich eine folgenschwere Entwicklung, die der Oberbürgermeister der Audi-Metropole Ingolstadt, Christian Scharpf, folgendermaßen auf den Punkt brauchte: "Die fetten Jahre sind vorbei!" Dem kann man nur zustimmen.
Wie konnte das passieren?, fragt man sich. Und mit Blick auf den Zollstreit mit China und die neue Regierung in den USA, die sich unter Donald Trump formiert: Welche Belastungen drohen zusätzlich für die deutschen Autohersteller?
Eins ist gewiss: Hat die heimische Autoindustrie den Schnupfen, befällt die deutsche Volkswirtschaft die Grippe. Wie schon einmal, bevor Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Ruder griff. Eine Gewitterfront ist aufgezogen, die sich zum Orkan auswachsen könnte, wie es die deutsche Wirtschaft in dieser Form und Stärke seit Kriegsende noch nicht gesehen hat.
Denn anders als bei den Schocks der Ölkrise oder Weltfinanzkrise in der Vergangenheit werden die Belastungen nicht vorübergehend sein, sondern einen Trend setzen. Es ist eine bittere Erkenntnis, wenn man weiß, dass Deutschlands Wirtschaft zu rund einem Fünftel von der Wertschöpfung in der Autobranche abhängt.
Viel Sand im Getriebe
Der Sturm über der Autoindustrie hat viele Gründe. Die Klagen über schlechte Standortqualität sind hinreichend bekannt. Sie belastet die exportabhängigen und stark dem internationalen Wettbewerb ausgesetzten deutschen Autohersteller - vor allem die Zulieferer - in ganz besonderem Maße. Aber sie ist nicht allein an der Schieflage schuld. Den einen Grund, wie früher bei den Ölkrisen, gibt es nicht.
Stattdessen ist es das historisch einmalige Zusammenwirken vieler unterschiedlicher externer wie hausgemachter interner Belastungsfaktoren. Da sind die wachsenden internationalen Spannungen und Kriege sowie die fortschreitende De-Globalisierung durch Zölle und Abschottungen. Das ist nicht nur Gift für den Export, sondern auch Gift für den Import von notwendigen Rohstoffen. EU-Einfuhrzölle gegen chinesische Autos verschlimmern diesen Trend.
Dann sind da die politischen Fehlentscheidungen in der Energie- und Klimapolitik in Berlin und Brüssel durch das Verbrennerverbot ab 2035 und die hohen CO2-Strafzahlungen ab 2025. Alle Hersteller mussten auf einen Elektrozug aufspringen, der heute aber leider auf einer Nebenstrecke gelandet ist, wie Absatzrückgänge von bis zu 25 Prozent bei E-Autos in allen großen Automärkten - mit Ausnahme Chinas - zeigen.
Wenig hilfreich waren gravierende hausgemachte Fehlentscheidungen in den unterschiedlichen Konzernzentralen durch die einseitige Konzentration auf E-Autos, in völliger Verkennung der Kundenbedürfnisse. Das gilt vor allem für die "Branchenleuchttürme" wie VW und Mercedes (Stichworte: "electric only" und "luxury only").
Am allerschlimmsten jedoch ist, dass in China alle deutschen Hersteller gleichermaßen mit ihren Premium-Verbrenner- wie E-Auto-Angeboten in der Absatz- und Gewinnfalle stecken. Der inzwischen weltgrößte Automarkt China (2023 gab es hier 26,06 Millionen neu zugelassene PKW; davon waren rund 5,5 Millionen deutsche Fabrikrate) hatte in der Vergangenheit für rund ein Drittel ihres Gesamt-Absatzes und zum Teil für mehr als die Hälfte ihres Gewinns gesorgt.
Zollkriege mit den USA und China wären der Gau
Das Blatt hat sich gewendet: Inzwischen haben chinesische Hersteller wie BYD den Markt mit kleinen und billigen Elektroautos mit 60 Prozent Marktanteil zurückerobert. Und die Chinesen sind weiter auf dem Vormarsch, sogar beim Verbrenner schwindet der Wettbewerbsvorsprung der Deutschen. All das geht zulasten der deutschen Autohersteller, die im 3. Quartal bereits heftige Umsatz- und Gewinneinbrüche verkraften mussten.
Ein möglicher Handels- und Zollkrieg mit den USA und China würde das Fass zum Überlaufen bringen. Sollte der künftige US-Präsident Donald Trump Einfuhrzölle auf deutsche Importautos - wie angekündigt - von 20 Prozent und mehr erheben, und würde China Zölle auf deutsche Premium-Importe erheben, würde das die deutsche Autoindustrie über die Klippe schieben. Drastische Produktions- und Beschäftigungseinbrüche über die gesamte Wertschöpfungskette wären die Folge. Einen Exportausgleich über Drittmärkte als Ausgleich gibt es nicht.
Wie brisant die Lage der Autobranche ist, zeigen einige wenige Schlüsselzahlen:
- Die PKW-Inlandsproduktion hängt zu rund 75 Prozent am Export. Von 4,1 Millionen Autos waren das 2023 rund 3,1 Millionen Autos. Seit 2016 ging die Produktion bereits um 1,3 Millionen zurück.
- Laut Automobilverband VDA verblieben von den gesamten deutschen PKW-Exporten 2023 in Europa 1,8 Millionen (Anteil rund 60 Prozent), in der EU 1,2 Millionen (rund 40 Prozent).
- In die USA wurden aus Deutschland 2023 rund 400.000 Fahrzeuge, nach China 216.000 exportiert. Anders als in Europa bestanden die Autoexporte in diese Länder zu rund 96 Prozent aus hochpreisigen Premium-Fahrzeugen.
- Zur Ergänzung: Ins bevölkerungsreiche Indien gingen 2023 knapp 10.000 Neuwagen, nach Afrika insgesamt 40.000; in Afrika dominiert der Absatz von gebrauchten Verbrenner-Autos.
Kurz gesagt: Ohne florierende Exporte nach China und in die USA ist das Geschäftsmodell der Autoindustrie am Standort Deutschland am Ende.
Quelle: ntv.de