Wirtschaft

Billig-Strom für die Industrie? "Dann machen Lobbyisten Druck"

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Habeck schlägt vor, stromintensive Industrie vorübergehend zu subventionieren.

Habeck schlägt vor, stromintensive Industrie vorübergehend zu subventionieren.

(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)

Die Ampel-Koalition hat den nächsten Zankapfel gefunden: den Industriestrompreis. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will mit staatlichen Milliarden-Hilfen wettbewerbsfähige Strompreise für die Industrie ermöglichen. Er schlägt vor, bis 2030 für energieintensive Unternehmen den Preis für den Großteil des Stroms auf etwa die Hälfte des aktuellen Niveaus zu deckeln. Finanziert werden soll das durch staatliche Hilfen von bis 30 Milliarden Euro. Das von der FDP geführte Finanzministerium lehnt die Pläne strikt ab. Im Interview mit ntv.de sagt Ökonom Rüdiger Bachmann, was er von den Plänen hält.

ntv.de: Ist der Industriestrompreis eine gute oder eine schlechte Idee?

Rüdiger Bachmann: Ich kann kein eindeutiges Urteil fällen. Es gibt einiges, das daran problematisch ist. Anderes spricht aber durchaus auch für den Vorschlag.

Fangen wir mit dem ersteren an. Was spricht denn dagegen?

Der Strom, der subventioniert wird, ist ja zunächst einmal nicht grün, sondern eher braun, da er aus fossiler Energie stammt. Und das bleibt auch erstmal so. Da bekommt man auch als Ökonom Bauchschmerzen. Jetzt kann man natürlich sagen, dass man das durch beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien ohnehin ändern will. Aber wenn man das wirklich schneller schafft: Wozu braucht man dann eigentlich noch den Industriestrompreis? Es kann hier also zu gegenläufigen Effekten kommen: Einerseits könnte diese Subvention die ja notwendige Elektrifizierung beschleunigen, andererseits aber auch etwaige Anstrengungen der Industrie verhindern, schneller in eigenproduzierten Strom aus erneuerbaren Energien zu investieren. Es besteht somit die Gefahr, dass der nötige Strukturwandel in Richtung grüner Energie unnötig verlangsamt wird.

Das Bundeswirtschaftsministerium argumentiert: Es geht darum, die energieintensive Industrie bei dieser Transformation zu unterstützen und ihr während dieser schwierigen Phase zu helfen ...

Das ist ja nachvollziehbar. Doch dazu muss zunächst mal definiert werden, welche Industrie "energieintensiv" ist und welche nicht. Da wird es intensive Lobbyarbeit geben, um in den Genuss der Subventionen zu kommen. Der Industriestrompreis kann zu Wettbewerbsverzerrungen führen - nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU.

Inwiefern?

Wenn die deutsche Industrie verbilligten Strom bekommt und damit hierzulande mehr Strom nachgefragt wird, als das ohne Subventionierung der Fall wäre, hat das Konsequenzen für unsere Nachbarn. Die wollen schließlich auch Strom haben und müssen dafür aufgrund der insgesamt höheren Nachfrage dann einen höheren Preis zahlen. Andere Regierungen haben nicht unbedingt die fiskalischen Möglichkeiten wie die deutsche, um mit eigenen Subventionen dagegenzuhalten. Oder wenn sie es tun, könnte es zu einem Subventionswettlauf kommen. Hinzu kommt, dass ja auch hierzulande die Verbraucher und andere Unternehmen am Ende für diese Subvention zahlen müssen. Will man das verteilungspolitisch?

Was spricht für einen Industriestrompreis?

Rüdiger Bachmann lehrt Wirtschaftswissenschaften an der University of Notre Dame in den USA.

Rüdiger Bachmann lehrt Wirtschaftswissenschaften an der University of Notre Dame in den USA.

(Foto: Matt Cashore/University of Notre Dame)

Wenn man nur energieintensiven Industrien hilft, die man zum Beispiel aus geopolitischen Gründen unbedingt im Land halten will und die bei einem dauerhaft höheren Strompreis abwandern würden, dann wäre das ein Argument für eine Subventionierung. Das wäre dann eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die mit Steuern oder Abgaben finanziert werden müsste. Das müsste die Bundesregierung, beziehungsweise der Gesetzgeber, dann aber sehr eng und begründet definieren. Mir ist noch nicht einmal klar, ob es eine solche Industrie überhaupt gibt. Ein weiteres Argument für die Subventionierung wäre das Ziel, der Industrie vorübergehend auf dem Weg zur grünen Transformation zu helfen - also bis der Strom in Deutschland so grün und damit zumindest so günstig ist, dass deutsche Unternehmen, etwa über Qualitätsvorteile, mit Ländern konkurrieren können, die erneuerbare Energie in Hülle und Fülle haben - etwa Norwegen mit Wasser und Wind und nordafrikanische Staaten sowie Spanien mit Solarenergie. Wenn die Subvention tatsächlich nicht dauerhaft ist und es eine realistische Chance gibt, dass die geförderten Industrien auch nach dem Wegfall der Hilfe in Deutschland bleiben, dann ist der Industriestrompreis kein Teufelszeug. Denn es ergibt erstens ja keinen Sinn, an sich funktionierende Industriestrukturen wegen temporärer Probleme kaputtgehen zu lassen. Und zweitens hat man dann, wenn es doch schiefgeht, politisch das Argument gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern, dass man alles versucht hat. Aber dann erwarte ich immer noch zwei Dinge von der Bundesregierung: erstens, dass sie dieses Argument detailliert und nachvollziehbar für jede geschützte Industrie macht. Und zweitens, dass sie aufgrund verwaltungstechnischer, rechtlicher oder politischer Gründe, den Industriestrompreis für das einzig schnell gangbare Instrument hält. Denn ökonomisch, das muss man klar sagen, bleibt eine Preissubvention wie der Industriestrompreise aus den genannten Gründen problematisch.

Strom ist in Deutschland schon lange vergleichsweise teuer. Dennoch ist die Industrie immer noch hier. Wieso sollte die nun plötzlich abwandern?

Dahinter steckt natürlich auch viel Rhetorik. Sobald die Politik über Subventionen diskutiert, machen Lobbyisten Druck und sprechen von drohender Abwanderung. Und was eben besonders problematisch ist: Dieses Spiel kann man ja immer wieder spielen, und zwar zu jedem Zeitpunkt, in dem das Auslaufen des Industriestrompreises droht. Deshalb ist es politisch so schwierig, Subventionen temporär zu gestalten. Und vielleicht sollte man auch einfach mal die Wirtschaftsgeschichte zur Kenntnis nehmen. Diese ist nämlich voll von Beispielen dafür, dass sich die Produktion dort ansiedelt, wo der Preismix am günstigsten ist. Die Stahlproduktion siedelte sich im Ruhrgebiet an, weil dort die Kohle vorhanden war und nicht von anderswo herantransportiert werden musste. Die energieintensiven Betriebe, die in Deutschland produzieren, sind trotz der hohen Energiepreise hier, weil es hier beispielsweise hervorragendes sogenanntes Humankapital gibt - etwa Ingenieure - und ein attraktives, stabiles rechtliches und politisches Umfeld. Diese Vorteile bleiben weiter bestehen. Veränderungen wird es immer geben. Aber das heißt nicht, dass es zu kompletten Umwälzungen ganzer Industriestrukturen kommen muss.

Wäre es besser gewesen, den Atomausstieg weiter hinauszuzögern?

Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich kann nicht abschätzen, wie stark sich längere Laufzeiten tatsächlich auf den Industriestrompreis ausgewirkt hätten.

Mit Rüdiger Bachmann sprach Jan Gänger

Quelle: ntv.de

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