Kein Geld für 6 Cent pro kW/h? Lindner kanzelt Habecks Industriestrompreis ab
05.05.2023, 14:02 Uhr Artikel anhören
Die Ampel-Partner haben es nicht lange ohne Streit ausgehalten.
(Foto: picture alliance/dpa)
Im internationalen Vergleich ist der deutsche Strompreis hoch. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine steigt er weiter an. Mit vielen Milliarden Euro will Wirtschaftsminister Habeck der deutschen Industrie unter die Arme greifen, doch im Finanzministerium stößt er auf taube Ohren.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat sein Konzept für einen Industriestrompreis vorgestellt, mit dem er international wettbewerbsfähige Produktionsbedingungen in Deutschland schaffen will. Der Grünen-Politiker schlägt staatliche Hilfen im Volumen von bis zu 30 Milliarden Euro vor, um Unternehmen und Jobs in Deutschland zu halten. Gewerkschaften und die Industrie sind erfreut. Das Bundesfinanzministerium lehnt ab.
Befürchtet wird im Wirtschaftsministerium, dass Unternehmen wegen der im internationalen Vergleich hohen Strompreise in Deutschland ihre Produktion ins Ausland verlagern. "Die energieintensiven Unternehmen sind die Basis der deutschen Industrie und damit unseres Wohlstands", heißt es in dem Papier von Habeck. Viele dieser produzierenden Unternehmen, etwa der Chemie-, Stahl-, Metall-, Glas- oder Papierindustrie, lieferten die Grundstoffe für die Produkte, mit der die deutsche Industrie international erfolgreich sei.
Deutscher Wohlstand akut gefährdet
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise habe diese Unternehmen sehr hart getroffen. "Der Energiepreisschock gefährdet akut Deutschlands Wohlstand und seine starke industrielle Basis." Es sei mit den Energiepreisbremsen gelungen, die Lage in Deutschland zu stabilisieren. "Das Erreichte dürfen wir jetzt nicht gefährden. Deutschland braucht seine Grundstoffindustrien genauso wie neue Zukunftsindustrien."
Habeck will, dass die Industrie langfristig von günstigem Strom aus erneuerbaren Energien profitiert. Maßnahmen dazu, etwa mehr Flächen für Windräder, brauchten aber Zeit, um zu wirken und dauerhaft die Versorgung energieintensiver Unternehmen mit erneuerbarem Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen zu garantieren. Deswegen soll es in einer Zwischenphase bis 2030 einen "Brückenstrompreis" geben, von 6 Cent pro Kilowattstunde (kW/h) für einen "klar definierten" Empfängerkreis, der aus öffentlichen Mitteln finanziert werden müsse. Profitieren würden Firmen im internationalen Wettbewerb, der vergünstigte Tarif soll für 80 Prozent des Basisverbrauchs gelten. Das Konzept soll spätestens 2030 auslaufen. Bedingungen sollen unter anderem Tariftreue und eine Standortgarantie sein.
"Keine Finanzmittel"
Das Geld für die Subventionen soll aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) kommen. Dieser in der Corona-Pandemie errichtete Fonds wurde in der Energiekrise reaktiviert, um deren Folgen abzufedern. Finanziert werden mit bis zu 200 Milliarden Euro vor allem die Strom- und Gaspreisbremse. Wegen sinkender Preise könnte die Finanzierung der Bremsen aber deutlich günstiger werden - und Mittel für weitere Maßnahmen freisetzen.
In der Ampel ist der Plan allerdings umstritten. Finanzminister Christian Lindner hält direkte staatliche Hilfen für "ökonomisch unklug" und für einen Widerspruch zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, schrieb er jüngst in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt". In einer neuen Stellungnahme legt das Ministerium nach: "Für dieses Vorhaben stehen keine Finanzmittel zur Verfügung", sagte eine Sprecherin des Finanzministeriums. Auch eine Umwidmung der Mittel im Krisenfonds WSF sei aus Sicht von Finanzminister Lindner verfassungsrechtlich nicht möglich.
Vom Ausland abgehängt
Die Industriegewerkschaft IG BCE begrüßt die Pläne von Habeck dagegen. Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) sprach von einem klaren Signal der Standortstärkung. Einen "Exodus" der energieintensiven Branchen könne sich Deutschland nicht leisten. "Für weite Teile der Industrie ist Energie inzwischen der größte Ausgabenposten und damit der entscheidende Standortfaktor", sagte Vassiliadis. "Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Strompreise in Deutschland zusätzlich derart in die Höhe getrieben, dass wir den Anschluss an andere Industrienationen verloren haben."
Die Strompreise in Deutschland lägen heute siebenmal so hoch wie in China, viermal so hoch wie in den USA und dreimal so hoch wie in Frankreich, das längst einen nationalen Industriestrompreis habe.
Auch die Opposition will sich den Vorschlag genau anschauen. Ein Industriestrompreis sei ein wichtiges Thema für den Industriestandort Deutschland, sagte Unionsfraktionsvize Jens Spahn. "Daher kommt es auch sehr auf die genaue Ausgestaltung an. Wir schauen uns das Konzept konstruktiv an und prüfen den Vorschlag."
Quelle: ntv.de, chr/rts/dpa