Zoff um Schuldenbremse Das ist das Problem, an dem die Ampel zerbrochen ist
07.11.2024, 15:59 Uhr Artikel anhören
Christian Lindner wird nicht mehr am Kabinettstisch sitzen und bei Regierungsangelegnheiten mitreden.
(Foto: IMAGO/Frank Ossenbrink)
Kanzler Scholz machte die Lockerung der Schuldenbremse offenbar zur Bedingung für den Fortbestand der Ampel-Regierung. Christian Lindner stimmte dem nicht zu und wurde entlassen. Aber was steckt eigentlich hinter der Schuldenbremse? Warum provoziert sie so viel Streit?
Was ist die Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse begrenzt, wie sehr sich die öffentlichen Haushalte verschulden dürfen. Eigentlich sollen sie "grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen" sein, so steht es im Grundgesetz in Artikel 109. Der Staat darf also nicht mehr Geld ausgeben als er durch Steuern und andere Mittel einnimmt.
Während die Länder seit 2020 im Normalfall gar keine neuen Schulden machen dürfen, darf der Bund sich jedoch jedes Jahr in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts neu verschulden. 2023 entsprach das rund 15 Mrd. Euro. Außerdem gibt es etwas Spielraum: In wirtschaftlich schlechten Zeiten darf es mehr sein, in guten dafür im Gegenzug weniger, sodass es insgesamt ausgeglichen bleibt.
Für Notlagen sieht die Schuldenbremse aber Ausnahmen vor, die die "notwendige Handlungsfähigkeit des Bundes zur Krisenbewältigung" sichern sollen. Die Schuldenbremse kann dann temporär ausgesetzt werden. Voraussetzung ist, dass es einen Rückzahlungsplan gibt und eine einfache Mehrheit im Bundestag. Solche Krisen sind laut Artikel 115 des Grundgesetzes "Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen". Das war etwa bei der Corona-Pandemie der Fall, während der die Schuldenbremse von 2020 bis 2022 erstmals ausgesetzt wurde.
Was ist die Idee hinter der Schuldenbremse?
Eingeführt wurde das Finanzinstrument im Jahr 2009 während der Weltfinanzkrise, damals unter der Regierung von CDU-Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Finanzminister Peer Steinbrück. Ihr Ziel war es, die Neuverschuldung von Bund und Ländern klar zu begrenzen, um damit die Haushaltslage langfristig zu stabilisieren. Denn im Zuge der Bankenrettung war die öffentliche Verschuldung im Jahr 2010 auf über 80 Prozent des BIP gestiegen. Zum Vergleich: 2024 wird die Verschuldung voraussichtlich 63,6 Prozent betragen, weit weniger als der Durchschnitt des Euroraums.
Die Europäische Union hat bereits 1997 festgelegt, dass das jährliche öffentliche Defizit der Mitgliedstaaten nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen und sich der Schuldenstand insgesamt nicht auf mehr als 60 Prozent des BIP belaufen darf – eine wichtige Voraussetzung für Stabilität in der EU und im Euroraum. Wer über den drei Prozent liegt, wird mit Sanktionen belegt. Allerdings steigen die Schulden in vielen EU-Ländern trotzdem immer weiter.
Warum streitet die Politik so viel darüber?
Vor rund einem Jahr erklärte das Bundesverfassungsgericht den Nachtragshaushalt der Ampel-Koalition für verfassungswidrig. Damit fehlten im Haushalt plötzlich 60 Milliarden Euro. Dazu kommt, dass Deutschland für eine Reihe von Dingen viel Geld benötigt: So steigen etwa die Ausgaben für den Sozialstaat, der Krieg in der Ukraine fordert höhere Ausgaben für Verteidigung, Infrastruktur muss modernisiert und neue Technologien gefördert werden. Von Beginn der Ampel-Regierung an war die Schuldenbremse eins der zentralen Streitthemen, kam vor einem Jahr aber wieder verstärkt auf die Agenda – und führte nun offenbar zum Bruch der Koalition.
Während SPD und Grüne die Schuldenbremse mithilfe der Ausnahmeregelung lockern wollten, war die FDP dagegen. Damit blieben alle Parteien auf ihren ursprünglichen Standpunkten. Die Grünen hatten sich sogar schon beim Beschluss der Schuldenbremse im Jahr 2009 dagegen ausgesprochen. Der entlassene Finanzminister Christian Lindner sprach am Mittwochabend gar davon, Scholz hätte "ultimativ" eine Aussetzung der Schuldenbremse verlangt. Dem hätte er nicht zustimmen können, weil er dafür seinen Amtseid hätte verletzen müssen – also entgegen der Verfassung hätte handeln müssen.
Was spricht für die Einhaltung der Schuldenbremse?
Ein wesentlicher Grund für den Staat, sich nicht übermäßig zu verschulden, ist, die Zinslast gering zu halten. Je mehr Schulden der Staat macht, desto mehr Geld muss er für Zinsen ausgeben – Geld, das an anderer Stelle fehlt. Berechnungen der Bundesbank zufolge sparte der Bund durch seine geringe Schuldenlast zwischen 2008 und 2018 368 Milliarden Euro ein.
Dem Ifo-Institut zufolge belegen auch Studien, dass wirksame Schuldenregeln ökonomische Vorteile haben und sogar ein höheres Wirtschaftswachstum fördern. Länder mit geringeren Schulden mussten demzufolge weniger Zinsen für Anleihen bezahlen. "Dies bedeutet, dass die Finanzpolitik weniger öffentliche Mittel zur Zinstilgung auf Staatsschulden bereitstellen muss und die Mittel für andere Vorhaben verwendet werden können, wie beispielsweise Investitionen in den Klimaschutz", schreiben die Studienautoren des Ifo-Instituts.
Schulden belasten den Haushalt außerdem langfristig, was den Handlungsspielraum zukünftiger Generationen einschränken kann. Dazu senken wachsende Schuldenberge die Kreditwürdigkeit eines Staates und führen wiederum zu höheren Zinsen. Eine instabile Haushaltslage kann dazu Investoren abschrecken.
Was spricht für die Lockerung der Schuldenbremse?
Eine Lockerung der Schuldenbremse würde dem Staat dringende Zukunftsinvestitionen ermöglichen. Diejenigen, die die Schuldenbremse lockern wollen, argumentieren, dass die Schuldenbremse diese Investitionen ausbremse. Die ökologische und technologische Transformation sowie die Modernisierung der Infrastruktur könnten nicht gelingen, wenn man an der Schuldenbremse festhalte – und gehe man diese Probleme nicht an, sei das ebenso eine Belastung für zukünftige Generationen wie die Zinslast.
Nicht nur die Politik, auch Ökonomen sind bei diesem Thema gespalten. So sah Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die Begrenzung der Verschuldung bisher weder empirisch noch theoretisch begründet, anders als das Ifo-Institut. "Investitionen in die Transformation der deutschen Wirtschaft werden vor allem den künftigen Generationen nutzen", sagte Hüther ntv.de in Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. "Deshalb halte ich es für legitim, wenn die künftigen Generationen auch an der Finanzierung beteiligt werden." Allerdings geht es ihm ausdrücklich nicht darum, die Schuldenbremse zu lockern, um beispielsweise größere Spielräume in der Sozialpolitik oder für andere konsumtive Ausgaben zu schaffen, die eigentlich aus dem normalen Haushalt finanziert werden müssten.
Um das zu vermeiden, fordern viele deshalb zwar, an der Schuldenbremse festzuhalten, sie aber zu reformieren. So könnte eine Ausnahme explizit für Investitionen geschaffen werden. Für eine solche Änderung des Gesetzes bräuchte es aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag.
Quelle: ntv.de