VW will Glaubwürdigkeit reparieren "Das ist kein Feigenblatt"
28.04.2016, 18:35 Uhr
VW-Chef Matthias Müller
(Foto: picture alliance / dpa)
Volkswagen bemüht sich in der Abgasaffäre nach "bestem Wissen und Gewissen", beteuert Vorstandschef Müller. Nach der verheerendsten Bilanz der Firmengeschichte versucht er, Kraft und Zuversicht zu vermitteln.
Volkswagen sei "stark", "gesund" und "quicklebendig", versichert Konzernchef Matthias Müller bei der Jahrespressekonferenz in Wolfsburg. Attribute, die einem nicht in den Sinn kommen, wenn man die vergangenen acht Monate Revue passieren lässt. "Wir sind keine Wagenburg", wehrt sich Müller auch gleich zum Auftakt gegen die ständigen öffentlichen Vorwürfe, Wolfsburg würde bei der Aufklärung der Abgasaffäre mauern.
Die Führungsriege ist in der Defensive und bemüht sich auf großer Bühne um Schadensbegrenzung. Keine leichte Aufgabe. Die Bilanz 2015 ist die verheerendste aller Zeiten. Wegen der "Diesel-Thematik" - die Wörter "Affäre", "Betrug" oder "Skandal" vermeidet der Vorstand in der offiziellen Sprachregelung tunlichst - findet die Bilanz-PK später statt als gewohnt. Es soll eine Ausnahme bleiben, sagt Müller.
Der Vorstand muss alle Register ziehen, dazu gehört auch Sühne zu zeigen. Es seien "Grenzen und Regeln überschritten" worden, räumt der Vorstandschef zu Beginn ein. "Wir haben Menschen enttäuscht, die uns vertraut haben. Das schmerzt uns." Müllers Sätze sind vor allem an die Mitarbeiter gerichtet. Die Menschen bei Volkswagen seien sein "persönliches Highlight". Er habe mit vielen gesprochen. "Ich habe allen Grund Danke zu sagen, für ihren unermüdlichen Einsatz, ihre Hingabe, ihre Loyalität und ihr Tun." Bei seinen Worten bleibt sein Blick auf das Blatt geheftet. Augenkontakt vermeidet Müller tunlichst.
Eine "neue Denkweise"
Fixkosten, Effizienz, Einkaufsleistungen, Sondereinflüsse, Abschreibungen, Aufwendungen sind nach der gepfefferten Bilanz vergangene Woche nicht mehr die Dinge, die so sehr interessieren. Die Frage ist, wie sollen Mitarbeiter, Kunden, Aktionäre diesem Unternehmen noch trauen? Wie soll es weitergehen? Was haben die Wolfsburger zu bieten, um ihre Glaubwürdigkeit zu reparieren?
Wichtig ist Müller für die Zukunft eine "systematische Wertediskussion". Bisher sei das als "bloßer Reflex wegen der Abgas-Thematik missverstanden" worden. Aber der Vorstand wolle einen nachhaltigen "Kompass für die tägliche Arbeit", der tief im Unternehmen verankert sei. "Wir brauchen einen Kodex der Kooperation, der Leitplanken setzt." Geplant ist demnach ein externer Nachhaltigkeitsbeirat aus sieben bis neun internationalen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Gesellschaft. Dies sei kein "Feigenblatt", noch eine "Symbolveranstaltung".
Volkswagen sei "mehr als Krise", beharrt Müller weiter. "Wir wissen: 2016 wird für den Volkswagen Konzern noch einmal ein sehr anspruchsvolles Jahr." Europas größter Autobauer müsse jetzt nicht nur die Folgen von "Dieselgate" schultern, sondern gleichzeitig die Neuausrichtung auf umweltschonendere Antriebe bewältigen und die Digitalisierung der Produktion einleiten, räumt er ein. Zudem werde der Wettbewerb weltweit immer härter. Müller spürt, dass die Konkurrenz Kapital aus der Krise von VW schlagen will.
Boni bleiben das Reizthema
Eigentlich wäre jetzt die Zeit zu investieren, doch bei Volkswagen regiert absehbar der Rotstift. Erste Budgets sind bereits gekappt, mehr als 3000 Büro-Jobs bei VW sollen wegfallen - sozial verträglich, wie es heißt. Die Zeiten sind hart. Andererseits müsse ein Unternehmen aber auch erst einmal so viel verdienen, um sich so einen Skandal und Rückstellungen von 16 Milliarden Euro leisten zu können, ist die Botschaft, die hängenbleiben soll. "Unser Kerngeschäft ist kerngesund" prangt auf einer Folie über den Köpfen der Vorstandsriege.
Die Wolfsburger wollen sich nicht von der Krise lähmen lassen, betont Müller fast trotzig. Die Situation fordere dem Konzern alles ab. Doch: "Insgesamt haben wir aus heutiger Sicht gute Chancen, uns 2016 im operativen Geschäft solide zu entwickeln." Der Konzern mit seinen zwölf Marken habe eine starke finanzielle Substanz und eine "stolze Tradition". Und Tradition sei "auf Beharrlichkeit begründet". Den Ehrgeiz habe man nicht verloren. Die Pipeline von Volkswagen sei gut gefüllt: Rund 60 Fahrzeuganläufe seien geplant.
Äußerst empfindlich reagiert der Vorstandschef auf Nachfragen zu den Boni der Vorstände. Dass der Streit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat in den vergangenen Wochen in aller Öffentlichkeit ausgetragen wurde, schmeckt ihm sichtlich nicht. Teilweise war wegen des Dieselskandals und der Milliardenlasten für den Konzern ein völliger Verzicht im Gespräch. De facto streicht VW seinen Top-Managern nun aber nur 30 Prozent ihrer Boni. Je nachdem wie der Konzern den Skandal bewältigt, ist ab 2019 jedoch sogar die rückwirkende Auszahlung möglich.
"Wie stehen zur sozialen Verantwortung"
An Einsparungen kommt der Konzern nicht vorbei. Die Frage ist, inwieweit die Belegschaft davon betroffen ist. Müller beteuert, in "auch in harten Zeiten zu unserer sozialen Verantwortung für die Mitarbeiter" zu stehen. Das unterscheide Volkswagen von manch anderem Unternehmen.
Gewissheit wird es vermutlich im Juli geben, wenn der Konzernchef seine neue Strategie bis 2025 präsentieren will. VW-Markenchef Herbert Diess muss dafür die Axt an viele Wolfsburger Gewohnheiten legen. Er soll die schwächelnde Kernmarke VW, die für die Hälfte des Umsatzes steht, bei der Rendite auf Kurs bringen. 2015 blieben bei der Marke mit dem VW-Logo nur knapp zwei Prozent Betriebsgewinn vom Umsatz hängen.
Der Betriebsrat befürchtet in dem Zusammenhang einen Stellenabbau und geht bereits auf Konfrontationskurs. Müller versucht, die Wogen zu glätten. "Es ist unser Ziel, die Stammbelegschaft zu halten." Ihm gehe es darum, "Menschen und Mitarbeiter mitzunehmen". Eins ist klar: Ohne sie ist der Umbau der Marke nicht zu stemmen.
Nach der offiziellen Präsentation folgt die Fragerunde. Wie schlimm es noch werden kann, weiß keiner zu beantworten. Die US-Kanzlei Jones Day ist mit ihrem Untersuchungsbericht erst Ende des Jahres fertig. Ob die gut 16 Milliarden Rückstellungen ausreichen werden, ist auch offen. Dies sei eine Rechnung "nach bestem Wissen und Gewissen".
Quelle: ntv.de