Wieder ein Tag der Entscheidung Griechen stehen zwischen Einigung und Pleite
18.06.2015, 07:39 Uhr
Das Schicksal Griechenlands steht auf Messers Schneide. Dem Land droht die Staatspleite - wenn nicht doch noch eine Lösung im Schuldenstreit gefunden wird. Heute geht das Drama bei einem mit Spannung erwarteten Treffen der Euro-Finanzminister in Luxemburg weiter.
Die Finanzminister der Euroländer kommen heute Nachmittag in Luxemburg zu neuen Beratungen über den Schuldenstreit mit Griechenland zusammen. Sie machen sich aber keine großen Hoffnungen auf eine schnelle Lösung. "Die Chance, dass wir uns mit Griechenland noch heute einigen, ist sehr klein", sagte der Chef der Eurogruppe, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem vor dem Treffen. Athen bleibe den Geldgebern weiterhin einen vernünftigen Reformvorschlag schuldig.
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Aus den USA kamen erneut Warnungen vor weitreichenden ökonomischen Folgen, sollten sich Athen und die Geldgeber nicht auf eine Lösung einigen. Es sei im Interesse aller, "diese Situation zu lösen, bevor es entscheidende negative Folgen für die Weltwirtschaft gibt", sagte Regierungssprecher Josh Earnest in Washington.
Proteste in Athen
Derweil demonstrierten Tausende in Athen und anderen griechischen Städten gegen die Sparpolitik und für eine harte Haltung gegenüber den Gläubigern. Die Demonstration vor dem Parlamentsgebäude in Athen stand unter dem Motto: "Wir nehmen die Situation in die eigene Hand - Wir reißen die Austerität (den harten Sparkurs) nieder".
Regierungschef Alexis Tsipras sprach nach Angaben aus Kreisen seiner Regierung erneut mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Griechische Medien spekulierten, Juncker taste ab, ob Athen zu einer neuen Verhandlungsrunde mit seinen Gläubigern bereit sei.
Mit scharfen Worten reagierte Tsipras unterdessen auf Kritik an seiner Verhandlungsführung. "Wer behauptet, deutsche Steuerzahler kämen für die Löhne, Renten und Pensionen der Griechen auf, lügt", schrieb Tsipras in einem Beitrag für den "Tagesspiegel". Seine Regierung habe bereits mehrere Vorschläge zur Reform des Rentensystems gemacht.
Bei dem Streit zwischen Athen und den Geldgebern geht es um ein Reformprogramm, das Voraussetzung ist für die Auszahlung blockierter Hilfen von 7,2 Milliarden Euro. Am 30. Juni muss Athen 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds zurückzahlen.
Hier ein Überblick über die möglichen Szenarien
Einigung im Juni: Noch ist der Gesprächsfaden zwischen der griechischen Links-Rechts-Regierung und den Geldgebern von Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission nicht abgerissen. Allerdings macht das, was von der Krisendiplomatie auf höchster Ebene nach außen dringt, immer weniger Hoffnung. Am vergangenen Sonntag brach Juncker einen Vermittlungsversuch schon nach kurzer Zeit ab: Die Vorstellungen beider Seiten liegen noch zu weit auseinander, welche Reformen Griechenland im Gegenzug für weitere Hilfen umsetzen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass noch vor Auslaufen des aktuellen, bereits verlängerten Hilfsprogramms Ende Juni eine Lösung gefunden wird, schätzen Volkswirte auf 35 Prozent.
Fauler Kompromiss: Pokern Tsipras und sein betont salopp auftretender Finanzminister Yanis Varoufakis nur, weil sie sich sicher sind, dass keiner der Partner letztlich den Geldhahn zudrehen wird und Griechenland in die Pleite taumeln lässt - mit unkalkulierbaren Folgen? "Ein fauler Kompromiss mit Griechenland ist wahrscheinlicher als ein Grexit", meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Schließlich müsse Bundeskanzlerin Angela Merkel im Falle eines Scheiterns den Wählern in Deutschland erklären, "dass die Hilfskredite an Griechenland verloren sind und die Rettungspolitik gescheitert ist", sagt Krämer.
Neuwahlen in Griechenland: Die harte Haltung der seit viereinhalb Monaten amtierenden Regierung wird auch für die griechische Bevölkerung zu einer nervenaufreibenden Hängepartie. In einer Anfang dieser Woche veröffentlichten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GPO sprachen sich rund 70 Prozent der Griechen für einen Verbleib ihres Landes im Euroraum aus - auch wenn dies mit harten Sparmaßnahmen verbunden wäre. Sollte der Geduldsfaden der Menschen in Griechenland reißen, wäre ein politischer Neuanfang denkbar. 25 Prozent Wahrscheinlichkeit sieht Holger Schmieding von der Berenberg Bank für ein solches Szenario.
Allerdings ist Tsipras' Syriza der GPO-Umfrage zufolge nach wie vor die führende politische Kraft im Land: Fände an diesem Sonntag eine Parlamentswahl statt, würde die Linkspartei sie mit 35,1 Prozent gewinnen. Bei der Parlamentswahl am 25. Januar hatte Syriza 36,3 Prozent erreicht.
Staatspleite: Griechenlands Staatskasse ist leer, die Banken des Landes hält die EZB durch Notkredite (Ela) am Leben. Bis zum 30. Juni muss Athen rund 1,5 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen. Und das ist längst nicht alles: Am 20. Juli werden griechische Anleihen im Volumen von etwa 3,5 Milliarden Euro fällig, die die EZB hält. "Gelingt auch bis zu diesem Zeitpunkt keine Einigung, ist der Zahlungsausfall ... praktisch nicht mehr abwendbar", schreibt DZ-Bank-Analyst Daniel Lenz.
Grexit: In den EU-Verträgen ist der Austritt eines Landes aus dem gemeinsamen Währungsraum mit seinen derzeit 19 Mitgliedstaaten nicht vorgesehen. Allerdings könnte Griechenland dazu gezwungen sein, wenn die Euro-Notkredite gestoppt werden und das Land keinen Zugang mehr zu frischem Geld hat. Würde Griechenland statt des "harten" Euro wieder eine "weiche" Drachme einführen, könnte die heimische Wirtschaft mit einer billigen eigenen Währung ihre Produkte viel günstiger anbieten. Denkbar wäre zudem, dass der Staat Gehälter und Renten in Schuldscheinen auszahlt, um die Staatskasse kurzfristig zu entlasten. Die Wahrscheinlichkeit für einen "Grexit" ist nach Einschätzung von Ökonomen auf 50 Prozent gestiegen.
Folgen eines Grexits: Verlässlich abschätzen kann das niemand. Fachleute warnen jedoch: Hauptverlierer wäre die griechische Bevölkerung. Importe wie Energie und Arzneimittel etwa dürften sich massiv verteuern, viele Unternehmen könnten wegen eines Anstiegs ihrer Auslandsverschuldung gezwungen sein, Mitarbeiter zu entlassen. Firmen aus dem Ausland dürften noch zurückhaltender werden, in dem Mittelmeerland zu investieren.
Die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe schreiben in einem gemeinsamen Papier: "Gegebenenfalls wäre das erste Jahr der neuen Währungsselbstständigkeit durch ein humanitäres Hilfsprogramm zu begleiten, um die unmittelbaren sozialen Härten des Ausstiegs abzumildern." Die fundamentalen Probleme jedoch blieben: "Die Ausgabe von Schuldscheinen, Parallelwährungen oder ein vorübergehender Austritt Griechenlands aus dem Euro im Zuge einer griechischen Zahlungsunfähigkeit sind nur Scheinlösungen", meint Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Dass die griechische Wirtschaft im Grunde nicht wettbewerbsfähig ist und die Verwaltung des Landes dringend reformiert werden muss, würde nur in die Zukunft verschoben.
Quelle: ntv.de, ppo/AFP/dpa/rts