Gipfel der offenen Fragen Industrie und Politik lassen Bürger im Stich
02.08.2017, 19:55 Uhr
Die gastgebenden Minister Alexander Dobrindt und Barbara Hendricks.
(Foto: dpa)
Umrüstung, Umtauschprämie und Mobilitätsfonds: Auf dem Autogipfel in Berlin werden große Pläne verkündet. Die für die Bürger und Autobesitzer entscheidenden Fragen bleiben jedoch offen - oder werden gar nicht erst angesprochen.
Vertreter der Autoindustrie, der Gewerkschaften sowie der Bundes- und Landesregierungen wollten beim Dieselgipfel "Lösungen" finden, hieß es. Sie wollten Fahrverbote für die Autofahrer verhindern, die Luftverschmutzung in extrem belasteten Städten schnell auf ein gesetzeskonformes Maß zurückführen und gleichzeitig die Interessen der Branche und ihrer mehr als 800.000 Beschäftigten berücksichtigen. Wie das gelingen soll, ist nach dem Treffen allerdings mindestens so unklar wie vorher. Die wichtigsten Fragen, die Politik und Unternehmen den Bürgern jetzt beantworten müssen:
Können Fahrverbote verhindert werden?
Darüber werden wohl am Ende Gerichte und nicht Politiker entscheiden. In 16 Städten sind entsprechende Klagen anhängig, und in ihren bisherigen Entscheidungen haben die Richter klargestellt: Wenn weiter Grenzwerte überschritten werden, sind Fahrverbote unumgänglich. Dass das auf dem Gipfel zugesagte Software-Update für 2,5 Millionen Dieselfahrzeuge ausreicht, um die Grenzwerte einzuhalten, ist mehr als fraglich.
Zum einen ist nur die Nachrüstung von neueren Euro 5 und Euro 6 Dieseln vorgesehen und nicht von Millionen älteren Fahrzeugen. Außerdem wird auch nach dem Update die Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen - vor allem im Winter, wenn das Verschmutzungsproblem etwa in Stuttgart besonders akut ist - heruntergeregelt. Und schließlich: Die ersten Fahrverbote drohen schon im kommenden Winter, in wenigen Monaten. Bis dahin ist die Umrüstung von Millionen Autos ohnehin nicht zu schaffen.
Werden die Autohalter ihre Autos umrüsten?
Im Zuge des Dieselskandals versucht das Kraftfahrtbundesamt, die betroffenen Halter dazu zu zwingen, ihre Autos nachrüsten zu lassen. Dagegen wehren sich manche Besitzer, da sie befürchten, Lebensdauer und Leistung ihres Motors könnten beeinträchtigt werden oder der Verbrauch steigen. Die Frage, ob ihre Fahrzeuge zwangsweise stillgelegt werden dürfen, ist von den Gerichten noch nicht entschieden.
Die nun von der Industrie angebotenen weiteren Nachrüstungen sollen freiwillig sein. Die betroffenen Wagen sind schließlich legal zugelassen. Wie die Unternehmen ihre Kunden überzeugen wollen, an der Umrüstung teilzunehmen, ist völlig unklar. Die Unternehmen behaupten, weder Verbrauch noch Lebensdauer der Motoren würden durch das Update beeinträchtigt. Nach jahrelanger Abgasschummelei dürfte die Bereitschaft der Kunden allerdings begrenzt sein, den Herstellern zu vertrauen.
Kommen auf die Besitzer wirklich keine Kosten zu?
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) verspricht, "dass durch die Nachrüstung keine Kosten für die Halter entstehen" und darüber hinaus die Nachrüstung keinen Einfluss auf Motorleistung, Verbrauch oder Lebensdauer haben werde. Doch selbst wenn die Unternehmen das Aufspielen des Softwareupdates bezahlen, könnten auf manche Halter erhebliche wirtschaftliche Belastungen zukommen. Taxi-Unternehmen etwa sorgen sich wegen möglicher Einnahmeausfälle während der Werkstattbesuche. Erheblichen Schaden befürchten viele Halter vor allem aber wegen des sinkenden Wiederverkaufswerts von Diesel-Fahrzeugen.
Was ist mit den Besitzern älterer Fahrzeuge?
Die angebotene Nachrüstung betrifft nur die Diesel der Euro-5- und Euro-6-Generation. Auf Deutschlands Straßen sind allerdings noch mehr als sechs Millionen ältere Fahrzeuge unterwegs mit einem oft noch höheren Schadstoffausstoß. Kommen Fahrverbote, haben die Besitzer dieser Autos keine Chance, denn ihre Wagen können oder sollen nicht nachgerüstet werden.
VW, Daimler, BMW und wohl auch Ford und Opel wollen "Umtauschprogramme" für ihre älteren Dieselfahrzeuge anbieten. BMW etwa zahlt "bis zu" 2000 Euro, wenn ein Kunde einen alten Diesel-BMW beim Kauf eines neuen Hybrid-, Elektro- oder Euro-6-Diesel-Wagens in Zahlung gibt. Ob das für alle alten Diesel gilt und für viele Besitzer älterer Fahrzeuge eine attraktive Option ist, bleibt abzuwarten.
Was passiert, wenn die beschlossenen Maßnahmen keine ausreichende Wirkung zeigen?
Die teilnehmenden Politiker betonten mehrfach, dass man sich genau ansehen werde, wie wirksam die beschlossenen Maßnahmen seien. Vielen Experten zufolge dürfte sich dabei herausstellen, dass sich die Luftqualität in Stuttgart und andernorts nicht signifikant verbessert. Falls es dafür einen Plan B gibt, behielten ihn die Gipfelteilnehmer für sich. Die anwesenden Konzernchefs jedenfalls schlossen Hardware-Umrüstungen an ihren Autos kategorisch aus. Handhabe, die Autohersteller zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen oder auch nur die Einhaltung der bereits gemachten Zusagen einzuklagen, hat die Politik ohnehin nicht.
Quelle: ntv.de