Wirtschaft

Die Ampel kommt Lindner ist die Sollbruchstelle

Die neue Koalition startet als ein sehr ambitioniertes Experiment. Ob der Versuch gelingt, wird sich an Christian Lindner zeigen. Denn der künftige Finanzminister befindet sich dort, wo künftig die heftigsten Konflikte ausgetragen werden.

"Modernisierung", "Aufbruch", "Fortschritt" - die Ampel hat sich viel vorgenommen. Da lässt es sich leicht vergessen, dass die Koalition aus SPD, Grünen und FDP als Zweckbündnis an den Start geht. Das Versprechen, dass da mehr draus wird, wird von einer Person besonders stark verkörpert: Christian Lindner.

Der neue Finanzminister ist die Sollbruchstelle der Ampel. Wenn die Koalition scheitert, wäre das zwar nicht seine Schuld. Lindner nimmt aber die Position ein, wo die Konfliktlinien der drei Partner zusammenlaufen. Ein Scheitern wäre das Eingeständnis, dass eine Ampel auf Bundesebene nicht funktionieren kann.

Für die Wähler der FDP - und nicht nur für sie - steht Lindner für solide Finanzen und als Korrektiv zu Rot-Grün. Wenn es der Koalition gelingt, das mit konsequentem Klimaschutz zu vereinbaren, ist sie erfolgreich - wenn nicht, dann scheitert sie. Dann wird das mittlerweile ikonografische Selfie als eine lediglich geschickte Inszenierung in Erinnerung bleiben.

Es geht allerdings nicht um den vermeintlichen Gegensatz: Während die einen mit Geld um sich werfen wollen, muss das der andere verhindern. Klimaschutz, gute Wirtschafts- und Finanzpolitik schließen sich nicht aus. Es gilt, das miteinander zu verbinden.

"Progressive Mitte"

Verkörpert wird das auch durch Robert Habeck, der aller Voraussicht das Wirtschaftsressort führen wird, in dem der Klimaschutz angesiedelt wird. Wenn die Koalition Erfolg haben will, muss sie sich als ein gemeinsames Projekt sehen.

Lindner lässt öffentlich keinen Zweifel daran, dass das gelingen wird. Der FDP-Chef, der seine Partei gerne als "bürgerlich" von den Grünen abgrenzte, spricht nun von "progressiver Mitte". Die Koalition sei angelegt, wiedergewählt zu werden. Vom Umgang miteinander scheint das durchaus der Fall zu sein. Es ist auffällig, wie diskret verhandelt und wie betont respektvoll der Koalitionsvertrag vorgestellt wurde.

Hier kann man einwenden: stimmt, der Ton macht die Musik. Doch beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf.

Das gilt allerdings für jede Koalition. Und es ist deshalb nur konsequent, wenn die FDP das Finanzministerium übernimmt. Solide Finanzen ohne neue Schulden und Steuererhöhungen, das gehört zum Markenkern der Liberalen. Ohne das mächtige Ministerium wäre es unmöglich gewesen, das in der Ampel - in der in der Regel sowieso zwei gegen eins gespielt wird - durchzusetzen.

Kreativität erforderlich

Doch auch mit Lindner als Finanzminister wird das schwer. Es dürfte jede Menge Kreativität erfordern, die gewaltigen Ankündigungen zu finanzieren. Denn an die Schuldenbremse will sich die Koalition ab 2023 wieder halten. Und Steuererhöhungen soll es nicht geben. Lindner hat allerdings bewiesen, dass er flexibel sein kann. Wenn es der Koalition gelingt, Geld an der Schuldenbremse vorbei für den Klimaschutz locker zu machen, wird sie viel erreichen.

Immerhin hat Lindner einer Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro zugestimmt, - eine Herzensangelegenheit der SPD - an der unabhängigen Mindestlohnkommission vorbei. Macht das Beispiel Schule, dann kann das allerdings durchaus zu einer gefürchteten Lohn-Preis-Spirale beitragen. Und das, obwohl Lindner im Wahlkampf eine "Inflationsbremse", also den "Stopp von politisch verursachter Inflation" gefordert hat.

Insofern ist es für die Ampel ein besonderer Vorteil, dass Lindner Finanzminister wird. Er ist ein durchsetzungsstarker Verfechter des liberalen Markenkerns. Wenn er Ausgaben seinen Segen gibt, kann dies der Koalition zu breiter Akzeptanz verhelfen - immerhin hätte Lindner dann Schlimmeres verhindert. Dabei ist hilfreich, dass sowohl er als auch Habeck keinen Zweifel daran lassen, dass sie es in den Verhandlungen auch sehr laut geworden sei und beide in vielen Dingen völlig anderer Meinung sind.

Das ist so gesehen auch die Rolle, die Bundesbank-Präsident Jens Weidmann in der EZB eingenommen hat: In der deutschen Öffentlichkeit wird er vor allem als Gegner der lockeren Geldpolitik wahrgenommen, der für stabile Preise kämpft. Tatsächlich gehört er mit seinem ordnungspolitischen Denken zur Minderheit im EZB-Rat. Gleichzeitig war er allerdings ein Teamplayer, der bei aller Skepsis die allermeisten Beschlüsse mittrug und sie öffentlich verteidigte.

Lindner wird in der Koalition sehr viel mehr Macht und Einfluss haben als Weidmann im EZB-Rat, und er wird sich sehr häufig durchsetzen können. Wenn es ihm aber gelingt, bei großen Zugeständnissen dennoch auch als der Weidmann des Ampel-Kabinetts wahrgenommen zu werden, kann aus dieser Koalition sehr viel mehr als ein Zweckbündnis werden.

Quelle: ntv.de

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