Ausbeutung in Italien verbreitet Produzieren Arbeiter ohne Gehalt Dior-Luxushandtaschen?
16.06.2024, 09:22 Uhr Artikel anhören
Dior ist ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten.
(Foto: picture alliance / imageBROKER)
In der Modeindustrie gibt es immer wieder Berichte über Ausbeutung - auch in den Werkstätten von international gefeierten Luxus-Modehäusern. So auch bei Dior. Die Staatsanwaltschaft in Mailand geht der Sache nun nach. In Italien ist das kein Einzelfall.
Und wieder steht ein Modehaus im Visier der Mailänder Staatsanwaltschaft. Diesmal geht es um die Manufactures Dior, ein Unternehmen, das zum Luxusmodehaus Christian Dior Couture gehört und ausschließlich dieses beliefert. Im Fokus der Ermittler steht die Ausbeutung von Arbeitskräften.
Der LVMH-Tochter wird vorgeworfen, die Herstellung eines Teils der Taschen- und Accessoire-Kollektion 2024 externen Unternehmen in Auftrag gegeben zu haben. Diese sollen sie ihrerseits an andere Kleinbetriebe weitergeleitet haben, weil sie nicht über die nötigen Produktionskapazitäten verfügten - zum Beispiel an die Ledermanufaktur Pelletteria Elisabetta Yang mit Sitz in Opera, einer Gemeinde gleich außerhalb von Mailand.
In der Werkstatt dieser Ledermanufaktur stießen die Ermittler auf 23 Arbeitskräfte, davon 18 aus China, 5 aus den Philippinen. Einige von ihnen waren illegal im Land. Sie alle sollen keinen Arbeitsvertrag gehabt und weit über acht Stunden gearbeitet haben, und das, wie einer der Arbeiter sagte, ohne Gehalt. Sie sollen lediglich Essen und einen Schlafplatz gleich über der Werkstatt bekommen haben, um rund um die Uhr als Arbeitskräfte zur Verfügung zu stehen. Das Personal habe "unter hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen gelebt und gearbeitet, die unter dem für einen ethischen Ansatz erforderlichen Minimum liegen", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters aus einem Dokument. Unter anderem soll dort eine Tasche mit dem internen Code PO312YKY hergestellt worden sein. Die Produktionskosten wurden wohl auf 56 Euro gedrückt, im Geschäft wird das Modell für 2.600 Euro verkauft.
Bestürzung und Unverständnis immer wieder aufs Neue groß
Es ist nicht die erste Nachricht dieser Art aus der Modebranche. Auch bei Auftragnehmern von Armani und Alviero Martini wurden Verstöße gegen den Arbeitsschutz festgestellt. Trotzdem sind Bestürzung und Unverständnis immer wieder aufs Neue besonders groß. Immerhin handelt es sich um international gefeierte Modehäuser, auf die solche Nachrichten ein ganz besonders schlechtes Licht werfen.
Mittlerweile steht Manifactures Dior unter gerichtlicher Verwaltung. Was das genau bedeutet, erklärt Emilio Santoro, Professor für Rechtsphilosophie an der Universität Florenz und Koordinator der Forschungsgruppe Altro Diritto. Die Gruppe erstellt jedes Jahr zusammen mit dem Gewerkschaftsobservatorium Placido Rizzotto einen Bericht über die Ausbeutung von Arbeitskräften und den Schutz der Opfer.
"Das Vorgehen ist Folgendes: Die Staatsanwaltschaft teilt dem Unternehmen mit, dass in seiner Produktionskette unlautere Arbeitsverhältnisse entdeckt wurden und beruft jemanden, der sich dem Unternehmen an die Seite stellt und erklärt, wie die Kontrolle der ganzen Produktionskette funktioniert", erklärt der Professor ntv.de.
Und das ist alles? Folgt keine Verurteilung? Die Antwort lautet nein. Solange man dem Unternehmen, das am Anfang der Produktionskette steht, nicht nachweisen kann, dass es von der Ausbeutung wusste und eventuell daraus auch Profit geschlagen hat, verfüge die Staatsanwaltschaft nur über das Instrument der Gerichtsverwaltung. Doch obwohl die Maßnahme vielen zu mild erscheinen mag, sollte man nicht den Imageschaden nach solchen Schlagzeilen vergessen. "Der ist für diese Unternehmen nicht ohne", fügt Santoro hinzu.
Erst 2011 Gesetz verabschiedet
Das Phänomen der Ausbeutung von Arbeitern ist zwar global verbreitet, in Italien gehört es jedoch zu den Missständen, die das Land seit eh und je besonders plagen. Daran erinnert auch der Name des Observatoriums. Placido Rizzotto war ein sizilianischer Gewerkschafter und Politiker, der 1948 von der Mafia entführt und ermordet wurde, weil er die Proteste der Bauern gegen die miserablen Arbeitsbedingungen unterstützte.
Obwohl es sich in dem Land um ein endemisches Problem handelt, wurde erst 2011 das erste Gesetz zur Bekämpfung des "Caporalato" verabschiedet. Der Begrifft leitet sich von dem Wort "Caporale" ab. Es bezeichnet den Mittelsmann zwischen Arbeiter und Arbeitgeber. Der "Caporale" nutzt die Arbeiter alleine aus oder zusammen mit dem Unternehmer. Das Gesetz aus dem Jahr 2011 sah nur die Strafbarkeit des "Caporale" vor.
2016 folgte ein weiteres, das den Stein schließlich doch ins Rollen brachte. Seit es in Kraft getreten ist, wurden insgesamt 834 Ermittlungen eingeleitet. Wobei vor allem in den letzten zwei Jahren die Zahl rapide gestiegen ist. Alleine zwischen 2022 und 2023 sind 378 neue Ermittlungen hinzugekommen.
Kein rein süditalienisches Problem
Anders als vielleicht vermutet, betreffen die Untersuchungen mehr Unternehmen in Nord- und Mittelitalien, was dem gängigen Klischee widerspricht, das Problem sei ein vornehmlich süditalienisches und nur in der Landwirtschaft ein Thema. Während sich in Süditalien das "Caporalato" vor allem in der Landwirtschaft eingenistet hat, findet man es in Mittelitalien im Manufakturgewerbe, und in Norditalien vor allem in der Dienstleistungsbranche.
Dass in Nord- und Mittelitalien die Zahl der Ermittlungen höher ist (456) als im Süden (378), lässt unterschiedliche Interpretationen zu: Entweder wird dort mehr ermittelt oder es gibt mehr Fälle von Ausbeutung. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es laut Santoro nicht. Und dann wäre da noch eine letzte Frage: Hat die gestiegene Zahl der Ermittlungen auch damit zu tun, dass die Opfer selbst mehr Anzeigen erstatten?
"Auch diese Frage ist schwer zu beantworten", erwidert Santoro. "Es kommt darauf an, was Arbeitnehmern so ein Schritt bringt. Wenn die wahrscheinlichste Folge die ist, dass das Unternehmen geschlossen wird und man sich eine neue Arbeit suchen muss, vielleicht wieder unter miserablen Bedingungen, dann lässt man es lieber bleiben." Sie brauchten die Sicherheit, nach der Anzeige nicht alleine gelassen zu werden.
Immerhin zwei Großprojekte, die sich dafür einsetzen, dass die Opfer anderswo eine Arbeit und auch einen gesellschaftlichen Anschluss finden, gibt es schon. Der Handlungsbedarf ist damit aber bei Weitem nicht gedeckt.
Quelle: ntv.de