Kneipensterben in Großbritannien Pubs fürchten im Winter das Aus
26.08.2022, 15:56 Uhr
Publlic viewing bei der Euro 2022: Pubs haben Wissenschaftlern zufolge eine wichtige soziale Funktion. Sie sind die Seele der "community" und ein wichtiger Kitt in der Gesellschaft.
(Foto: picture alliance / empics)
Britische Kneipenwirte bangen um ihre Existenz. Rekordhohe Inflation, steigende Energiepreise und Lieferengpässe seien ein "Weltuntergangs-Szenario", sagt ein Betroffener. Die Branche wendet sich mit einem Hilferuf an die Regierung.
Ein Stück ureigener Kultur droht aus dem britischen Straßenbild für immer zu verschwinden. Die Zahl der Pubs in Großbritannien schrumpft in atemberaubenden Tempo. Laut Branchenumfragen rechnen mittlerweile mehr als 70 Prozent der Kneipenbesitzer nicht mehr damit, den Winter zu überleben, sollte die Regierung in London keine Maßnahmen treffen, die Energiekosten zu senken.
Nach der Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns leidet das Gastgewerbe unter einer rekordhohen Inflation. Dazu spürt das Königreich immer noch die Folgen des Brexit, die einen kolossalen Personalmangel in der Gastronomie- und der Logistikbranche ausgelöst haben. Der britische "Guardian" zitiert den Geschäftsführer der Frisco Group, Heath Ball, der drei Pubs im Südosten Englands betreibt, mit den Worten, die Pubs seien mit einem "Weltuntergangs-Szenario" konfrontiert.
Die gestiegenen Energierechnungen bedeuteten für die ganze Branche eine "große Unsicherheit", wendeten sich die unabhängigen Brauer (Society of Independent Brewers - SIBA) diese Woche mit einem Hilfsgesuch an den britischen Übergangs-Finanzminister Nadhim Zahawi, aus dem die Zeitung zitiert. Zu den steigenden Energiekosten kämen Umsatzrückgänge hinzu. Die Verbraucherpreise in Großbritannien waren im Juli über die Zehn-Prozentmarke gestiegen. Die Briten sparen. Ein Ende der Teuerungsspirale ist nicht in Sicht.
Eine "der schwierigsten Zeiten für den Sektor"
Kleine Brauereien würden über doppelt bis dreimal zu hohe Energierechnungen klagen, was ihre Möglichkeit überhaupt noch zu brauen gefährde, heißt es in dem Brief weoter. Erschwerend hinzu kommen der Mangel an Material und Rohstoffen wie Fässer, Dosen und CO2-Gas sowie eine schlechte Hopfenernte, der die Preise in allen Bereichen treibt.
Die Regierung müsse eingreifen, um weiteren Schaden von Brauerein und Kneipenbetreibern abzuwenden. Zu den Maßnahmen, die gefordert werden, zählen die Senkung der Mehrwert- und der Unternehmenssteuer, Obergrenzen für Energiepreise - zumindest für kleine Unternehmen - sowie Zuschüsse für erneuerbare Technologien, um den Energieverbrauch der Kneipen zu senken.
Es sei eine "der schwierigsten Zeiten für den Sektor" fassen die Brauer die Lage zusammen. Angeblich wird sie dadurch verschlimmert, dass es Versorger gibt, die ihnen keine neuen Verträge mehr anbieten, weil sie befürchten, dass die Brauereien und Kneipen nicht in der Lage sein könnten, ihre Rechnungen zu begleichen. Offiziellen Angaben zufolge mussten seit Ausbruch der Corona-Pandemie bereits 200 Brauereien schließen.
Pubs sind der soziale Kitt
Da Pubs als Seele der "community" in den Gemeinden gelten, kommt dem Schrumpfprozess eine besondere Bedeutung zu. In den Kneipen gibt die Chance auf Geselligkeit. Hier treffen sich Freunde und Familien zum Sonntagsbraten, und Kollegen und Sportgruppen genießen nach getaner Arbeit noch gemeinsam ein Feierabendbier.
Die Denkfabrik Localis wies bereits im vergangenen Jahres auf die zentrale Rolle der Pubs für die Menschen hin. Für viele sei die Aussicht auf Zeit mit Freunden und Nachbarn die Motivation, die Wohnung zu verlassen. Einsamkeit und soziale Isolation würden vermieden. Gingen die Pubs vor allem auf dem Land verloren, könne dies den sozialen Kitt gefährden, warnte Localis.
Die Inflation in Großbritannien fällt durch den Brexit deutlich heftiger aus, als in anderen Industrienationen. Forscher der Universität York gehen davon aus, dass die Hälfte der britischen Haushalte im kommenden Winter von einer Energiearmut betroffen sein werden. Der britische Gesundheitssektor warnte auch vor humanitären Krisen, wegen der rasant steigenden Lebenshaltungskosten. Auch zivile Unruhen und Boykotte sind nach Angaben der "Wirtschaftswoche" ein mögliches Szenario.
Quelle: ntv.de, jdr