Ein Deal mit Merkel wäre perfekt Tsipras' letzte Chance
16.12.2016, 07:55 Uhr
Athen hat sich mit seinen Geldgebern schon immer über die Spar- und Reformvorgaben gestritten. Jetzt liegen aber auch noch IWF und die EU-Institutionen über Kreuz. Die Chance von Tsipras, einen Deal auszuhandeln, liegt trotzdem woanders.
Sollte Athen eher etwas mehr oder doch etwas weniger sparen, um finanziell wieder auf die Füße zu kommen? Athen war immer gegen das große Sparen. Inzwischen scheiden sich aber auch bei den Geldgebern die Geister. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat diese Woche lautstark gefordert, die Auflagen für Griechenland zu lockern.
Die EU-Institutionen waren empört, denn sie sind dagegen. Der Streit über die Sparvorhaben kocht ausgerechnet zu dem Zeitpunkt hoch, als der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras nach Berlin reist. In Athen haben die Geldgeber zudem gerade ihre Gespräche zur zweiten Reformüberprüfung begonnen. Dass der IWF ausgerechnet jetzt seinen Standpunkt veröffentliche, überrasche, sagte ein Sprecher des Rettungsfonds ESM. "Wir hoffen, dass wir zur Praxis zurückkehren können, Verhandlungen über das Programm mit der griechischen Regierung vertraulich zu führen."
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, heißt es. Tsipras dürfte der Streit der Institutionen in die Hände spielen, könnte man meinen. Abgeschnitten vom Kapitalmarkt und unter der Knute der internationalen Geldgeber hangelt sich das marode Euroland seit fast sieben Jahren von einer Geldtranche zur nächsten. Die Regierungen wechseln, das Prozedere bleibt dasselbe: Athen muss eisern sparen. Geld gibt es nur im Gegenzug für Reformen.
Tatsächlich bringt Tsipras die jüngste Fehde in dieser Endlosschleife aber wenig. Denn auch der IWF pocht auf Reformen. Er verlangt zum Beispiel ein Sozialhilfesystem nach europäischen Standards. Der Fonds mag nicht einer Auffassung mit der EU sein, aber auf der Seite Athens steht er nicht. Die Chance von Tsipras, Erleichterungen herauszuschlagen, mit denen er bei seinen Wählern wieder punkten kann, liegt woanders.
Schulden und Flüchtlinge
"Es ist nicht auszuschließen, dass Tsipras versuchen wird, die Themenkomplexe Schulden und Flüchtlinge miteinander zu verknüpfen, um für sich einen Deal bei der Schuldenfrage auszuhandeln", sagt DIW-Ökonom Alexander Kritikos. Ab März sollen EU-Staaten Flüchtlinge, die über Griechenland kommen, wieder zurückschicken können. Die Zustände im griechischen Asylsystem hätten sich gebessert. Deshalb könne das sogenannte Dublin-Verfahren schrittweise wieder anlaufen, entschied die EU-Kommission. Tsipras werde das bei Merkel sicherlich ansprechen, sagt Kritikos.
Tsipras hat in Griechenland nicht mehr viel zu verlieren. Umfragen zeigen, dass die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia von Kyriakos Mitsotakis mit Abstand stärkste Fraktion werden würde, wenn heute gewählt würde. Mit seinen jüngsten Geschenken an die Bevölkerung - einer dreizehnten Monatsrente für Rentner und der Aussetzung der Mehrwertsteuererhöhung für die Inseln der Ostägäis, wo die Bevölkerung die Last des Flüchtlingszustroms trägt, wie Tsipras argumentiert - ist er bewusst auf Konfrontationskurs zur EU gegangen. In Berlin wird das Kräftemessen fortgesetzt. Es könnte eine seiner letzten politischen Kraftanstrengungen werden.
Kommt Tsipras mit leeren Händen nach Hause, dürfte es bald Neuwahlen geben. Tsipras werde auch das in die Waagschale werfen, sagt Kritikos. Eine Drohkulisse sei es jedoch nicht. "Was Tsipras völlig falsch einschätzt, ist, wenn er mit Neuwahlen droht." Derartige Provokationen habe die deutsche Regierung schon früher mit Schulterzucken abgetan. Auch Tsipras' Vorgänger Antonis Samaras machte seine Erfahrung damit. Das Ergebnis war Tsipras.
Hoffen auf eine wahre Reformregierung
Nach Einschätzung des DIW-Ökonomen wäre die griechische Bevölkerung erleichtert, wenn sie die Gelegenheit bekäme, ein neues Parlament zu wählen. "Wenn Mitsotakis als Ministerpräsident gewählt werden sollte, haben manche die Hoffnung, eine Reformregierung zu bekommen. Vielleicht wäre es die letzte Chance für Griechenland."
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will an Tsipras' Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bewusst nicht teilnehmen. Vorgesehen sei, dass die Finanzlage Athens nur "am Rande" besprochen werde, heißt es. Im Kern soll es um "internationale und europapolitische Fragen" gehen.
Auch wenn die Positionen von EU und IWF vielleicht nicht so weit auseinanderliegen, wie es zunächst scheint. Mehr Einigkeit in der Sache wäre in anderer Hinsicht auf jeden Fall hilfreich. Die deutsche Regierung hat ihre Unterstützung für das dritte Hilfspaket für Griechenland an die IWF-Beteiligung geknüpft. Der Weltwährungsfonds vergibt aber schon seit mehr als zwei Jahren keine Kredite mehr nach Athen. Er nimmt nur eine beobachtende Rolle bei der Umsetzung von Reformen ein.
Erst nach Abschluss der jetzigen Überprüfungen will er entscheiden, ob er sich weiter finanziell beteiligen wird. Das könnte allerdings ins nächste Jahr fallen. Und damit wären wieder nur die Juristen gefragt. In der Sache geht es damit nicht voran.
Quelle: ntv.de