Wirtschaft

Wunsch nach mehr Freizeit Sind die Deutschen zu faul?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Nicht nur junge Menschen wollen mehr Freizeit.

Nicht nur junge Menschen wollen mehr Freizeit.

(Foto: IMAGO/Panthermedia)

In Teilzeit arbeiten viele Deutsche - und das mit steigender Tendenz. Wirtschaftsvertreter warnen: Unser Wohlstand ist bedroht. Doch der Wunsch nach mehr Freizeit wächst.

Deutschland ist eine Teilzeitrepublik. Immer mehr Deutsche wollen immer weniger arbeiten - selbst wenn das mit Einkommenseinbußen verbunden ist. Wirtschaftsvertreter schlagen Alarm und fordern: In Deutschland müsse wieder mehr gearbeitet werden, um den Wohlstand zu erhalten.

Stimmt das? Fast 30 Prozent arbeiten hierzulande in Teilzeit - das bedeutet Platz 4 in der Europäischen Union und rund 10 Prozent mehr als im EU-Durchschnitt. Im Jahr 2022 - das sind die aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts- arbeiteten alle Erwerbstätigen, also sowohl Voll- als auch Teilzeitkräfte, im Schnitt 34,7 Stunden pro Woche. Der europäische Durchschnitt liegt bei 37 Stunden. Die gewöhnliche Wochenarbeitszeit hat demnach seit 1991 um 3,8 Stunden abgenommen. Gleichzeitig hat sich der Anteil von Teilzeit-Erwerbstätigen in etwa verdoppelt.

Während die durchschnittliche Arbeitszeit Erwerbstätigen - auch wegen der weit verbreiteten Teilzeit - sinkt, ist das Arbeitsvolumen, also die Zahl aller geleisteten Arbeitsstunden, 2023 aber auf ein Rekordwert gestiegen.

Das liegt vor allem an zwei Gründen. Zum einen gehen mehr Frauen als früher einer Erwerbstätigkeit nach. Zum anderen ist auch die Erwerbstätigkeit von Älteren gestiegen. "Im Jahr 2000 waren von den 60- bis 64-Jährigen noch 10 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt - heute sind es 50 Prozent", sagt Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kürzlich im Gespräch mit ntv.de.

Wunscharbeitszeit wird kleiner

Es arbeiten also mehr Menschen als früher, im Schnitt aber weniger Stunden. Problematisch wird das vor allem durch zwei Entwicklungen, die zusammenhängen: Fachkräftemangel und demographischer Wandel. Weber geht davon aus, dass durch die Alterung der Gesellschaft bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte verloren gehen. Drei Gegenmaßnahmen könnten dem entgegenwirken: mehr Zuwanderung von Fachkräften, höhere Erwerbsbeteiligung vor allem von Frauen und eine längere Arbeitszeit.

Doch der Wunsch nach mehr Freizeit nimmt zu. Einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge ist bei den jüngsten Beschäftigten bis zum Alter von 25 Jahren die Wunscharbeitszeit von 2007 bis 2021 um gut 3 auf rund 35 Wochenstunden gesunken. Bei den 26- bis 40-Jährigen ging sie um rund 2 auf knapp 34 Wochenstunden zurück, bei den über 40-Jährigen um knapp 3 auf 32 Wochenstunden. Die IW-Untersuchung stützt sich auf regelmäßige Umfragen unter Zehntausenden Beschäftigten für das Socio-Oekonomische Panel mit seinem großen sozialwissenschaftlichen Datenbestand. Die Wunscharbeitszeit wurde im Panel mit dem Hinweis erfragt, dass sich mit der Verringerung der Arbeitszeit der Lohn entsprechend ändern würde.

Es ist nicht so, dass weniger Arbeitsvolumen zwangsläufig weniger Wohlstand bedeutet. Produktivitätsfortschritte können das ausgleichen. Ein Beispiel: In Deutschland ist etwa seit der Einführung der Fünftagewoche das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf kräftig gestiegen. Allerdings lässt die Dynamik der Arbeitsproduktivität - ein Maß, wie Leistungsfähigkeit eine Volkswirtschaft ist - hierzulande nach. Ihre Entwicklung bestimmt wesentlich den materiellen Wohlstand.

Dennoch wird es auch in Zukunft die Arbeit durch Produktivitätsfortschritte effizienter, etwa durch Künstliche Intelligenz. Doch das kann insgesamt weniger Erwerbstätigkeit nicht unbegrenzt ausgleichen. "Wenn in Deutschland alle Vollzeitbeschäftigten nur noch vier Tage die Woche arbeiten würden, gingen uns dadurch zwölf Prozent Arbeitskapazität verloren, sagt Weber. "Klar ist: Weniger Arbeitskapazität heißt weniger Wertschöpfung und weniger Wohlstand. In der Konsequenz sinkt das Gesamteinkommen der Volkswirtschaft."

"Wir müssen abwägen"

Mit Künstlicher Intelligenz könne man die Produktivität steigern, sagt Weber. Das bringe Fortschritt und mehr Wohlstand. Auf dieser Basis "kann die Entscheidung getroffen werden, ob einem dieser Wohlstand ausreicht und man entsprechend weniger arbeiten möchte. Was sich aber auch durch den Einsatz von KI nicht ändern wird: Wenn ich mehr arbeite, verdiene ich mehr Geld."

Für viele Menschen ist aber nicht allein wichtig, wie viel Geld sie haben. Etwa die eigene Gesundheit oder Zeit für die Familie spielen auch eine große Rolle. Sie entscheiden sich bei der Alternative zwischen mehr Freizeit oder mehr materiellem Wohlstand deshalb häufig für das letztere.

"Wir sollten uns überlegen: Welches Modell ist gesellschaftlich wirklich sinnvoll?, so Weber. "Möglichst viel materieller Wohlstand und möglichst wenig Freizeit können nicht das Ziel sein. Wir müssen abwägen: Wie viel Arbeitszeit möchte ich zu welchen Bedingungen einsetzen? Und diese Abwägung, die kann niemand für die Menschen treffen, die können sie nur selbst treffen."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen