Tarif-Streit legt das Land lahm So weit liegen Gewerkschaften und Arbeitgeber auseinander
24.03.2023, 11:34 Uhr
Besonders die Deutsche Bahn und ihre Reisenden sind von dem Streik am Montag betroffen. Das Unternehmen glaubt, der EVG-Gewerkschaft ein gutes Angebot unterbreitet zu haben.
(Foto: picture alliance/dpa)
Verdi und EVG pochen in den Tarifverhandlungen auf deutlich mehr Gehalt pro Monat für alle Beschäftigten - und das sofort. Die Arbeitgeber bieten auf der anderen Seite monatliche Gehaltssteigerungen und Einmalzahlungen an. Vor allem an denen stoßen sich die Gewerkschaften.
Wegen des Tarifkonflikts im öffentlichen Dienst und bei der Bahn drohen am Montag die umfangreichsten Streiks seit vielen Jahren in Deutschland. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) riefen Hunderttausende Beschäftigte im Verkehrsbereich zu "einem ganztägigen Arbeitskampf" auf. Die Deutsche Bahn stellt deswegen am Montag den gesamten Fernverkehr ein. Auch im Nah-, Flug-, Schiffs- und Straßenverkehr werden massive Beeinträchtigungen erwartet. Die Fronten im Tarifstreit sind verhärtet. Doch was fordern die Gewerkschaften überhaupt - und was wird geboten?
Deutsche Bahn findet ihr Angebot gut, die EVG sieht Tricksereien
Die EVG führte die erste Runde der Tarifverhandlungen mit rund 50 Unternehmen in der Eisenbahn- und Verkehrsbranche. Die Gewerkschaft will mindestens 650 Euro mehr Lohn im Monat für alle und bezeichnet die Gehaltssteigerung als "soziale Komponente". Keines der Unternehmen soll sich jedoch daran orientiert haben, kritisiert die EVG.
Für Bahnreisende hierzulande ist vor allem die Deutsche Bahn (DB) wichtig. Die Gewerkschaft fordert die Lohnerhöhung von monatlich 650 Euro oder alternativ 12 Prozent mehr Gehalt für alle, bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Zuvor solle noch der Stundenlohn bei der DB in den untersten Lohngruppen auf den gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro- ohne jede Verrechnung oder Zuschüsse- angehoben werden. Weiterhin wird die Beseitigung regional unterschiedlicher Löhne gefordert.
Die Deutsche Bahn bietet eine 2500 Euro steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung sowie eine lineare Erhöhung. Die Löhne der Beschäftigten sollen demnach laut "Tagesschau" in zwei Schritten um insgesamt fünf Prozent steigen: ab dem 1. Dezember 2023 um drei Prozent und ab dem 1. August 2024 noch einmal um zwei Prozent. Insgesamt würde sich laut DB in den ersten 12 Monaten ein Plus von 11 Prozent ergeben. Man sei laut eigenen Angaben "auf zentrale Forderungen der Gewerkschaft" wie einen tariflichen Bahn-Mindestlohn von 13 Euro die Stunde und die Angleichung regionaler Entgelte eingegangen.
Für die EVG ist jedoch vor allem die unmittelbare Lohnerhöhung von monatlich 650 Euro oder 12 Prozent wichtig. Sie hält von dem Angebot der Bahn nichts und unterstellt Tricksereien: "Die Arbeitgeber versuchen, sich möglichst billig davonzustehlen: mit einer Inflationsausgleichsprämie. Mag sich verlockend anhören, bringt aber nichts. Die Beschäftigten brauchen keine kurzfristigen Beruhigungspillen, sondern langfristig Sicherheit. Eine Einmalzahlung verpufft, während die Preise auf absehbarer Zeit hoch bleiben. Wir stehen für eine dauerhafte Entlastung und die muss tabellenwirksam sein."
Der nächste reguläre Verhandlungstermin soll Ende April stattfinden. Zu spät, findet die Bahn. "Jetzt streiken und dann vier Wochen lang nicht verhandeln, das kann nicht der Ernst der Gewerkschaft sein", heißt es von Personalvorstand Martin Seiler.
Das fordert Verdi
Bleiben noch die Forderungen der Gewerkschaft Verdi. Sie möchte in der laufenden Tarifrunde für die Angestellten von Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Gehalt erreichen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten.
Ende Februar hatten die Arbeitgeber bei den zweitägigen Verhandlungen in Potsdam ein Angebot vorgelegt, das eine tabellenwirksame Erhöhung von drei Prozent Ende 2023 und zwei Prozent Mitte 2024 über eine Laufzeit von 27 Monaten vorsieht. Dazu kommt eine Inflationsausgleichsprämie in zwei Raten von 1500 und 1000 Euro. Ähnlich wie die EVG, kritisiert auch Verdi die Prämie. Gewerkschafts-Vorsitzender Frank Werneke sagte: "Die Preise bleiben auch dann noch hoch, wenn die Prämien längst nicht mehr wirken." Die Verhandlungen werden nun in der dritten Runde am 27. bis 29. März 2023 in Potsdam fortgesetzt.
Mittelstand zeigt sich besorgt
Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) blickt derweil tief besorgt auf den Verkehrs-Warnstreik, der Auswirkungen auf Unternehmen in ganz Deutschland haben wird. Kleine und mittelständische Unternehmen würden bereits unter Lieferkettenproblemen, steigenden Energie- und Rohstoffpreisen und mangelnder Verfügbarkeit von Arbeits- und Fachkräften leiden.
"Unternehmen und Bevölkerung dürfen nicht in Geiselhaft genommen werden für Forderungen, die in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nicht zielführend sind", sagte BVMW-Chef Markus Jerger in Berlin. "Erzwungene hohe Lohnabschlüsse, die die Unternehmen an den Rand der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit bringen, rauben jede Motivation, sich zusätzliche Kosten für die eigene Transformation aufzubürden."
Quelle: ntv.de