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Was bringen Noten im Job? "Viele Mitarbeiter überschätzen ihre Leistung"

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"Die schlimmste Bestrafung für gute Mitarbeiter ist, einen schlechten zu tolerieren", sagt Psychologin Laura Klimecki.

"Die schlimmste Bestrafung für gute Mitarbeiter ist, einen schlechten zu tolerieren", sagt Psychologin Laura Klimecki.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Das SAP-Management will offenbar die "Performance" seiner Beschäftigten strenger bewerten. Arbeitspsychologen halten Feedback für wichtig. Bei standardisierten Bewertungen ist allerdings Vorsicht geboten - für beide Seiten.

SAP würde seine Angestellten einem Medienbericht zufolge gern in drei Gruppen einteilen: Leistungsbringer oder "Performer", die auf höhere Boni hoffen können; darunter kämen "Achiever", die die Erwartungen erfüllen; sowie letztens "Improver", die sich verbessern müssen. Arbeitnehmervertreter kritisieren, so steige der Arbeitsdruck und das Vertrauensverhältnis zwischen Managern und Mitarbeitern werde auf die Probe gestellt. Selbst der scheidende Personalchef distanziert sich. Wirtschaftspsychologen haben ebenfalls Fragezeichen.

Arbeitspsychologe Ludwig Andrione hält Feedback und Verbesserungsvorschläge grundsätzlich für wertvoll, gerade in unserer individualisierten Gesellschaft. Entscheidend sei aber das Wie und das Ziel dahinter, erklärt er im Gespräch mit ntv.de. Misstrauen und die Vorstellung vieler Arbeitgeber, Mitarbeiter seien faul, hält Andrione für unangebracht. "Wir denken zu oft, es liegt an einer Person, unterschätzt werden die Umgebungsvariablen", sagt der Leiter der Sektion Wirtschaftspsychologie des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen.

"Wir meinen, das Individuum muss sich ändern, zum Beispiel durch Workshops, aber vielleicht liegt mangelnde Leistung nicht an der Person", erläutert Andrione. "Manchmal müssen sich die Umgebungsvariablen ändern." Teilweise haben die vermeintlich Leistungsschwachen sogar selbst schon Vorschläge dazu gemacht, diese blieben aber bei Vorgesetzten stecken. Der Aufwand, Arbeitsbedingungen zu ändern, könne sich jedoch lohnen, sagt Andrione. "Wem es gut geht, der arbeitet besser." Erreichen lässt sich das laut dem Wirtschaftspsychologen neben Feedback durch Wertschätzung, Vertrauen in die Mitarbeiter, gemeinsame Lösungsfindung und Qualifikation.

Bis zur Null-Bock-Haltung ist meist viel passiert

"Bewertungssysteme sind außerdem oft zu eng, um komplexen Lebenssituationen gerecht zu werden", findet der Psychologe. Umstände wie die Chancen einer Person oder Belastungen wie etwa eine Erkrankung finden dabei wenig Berücksichtigung. Andrione sieht zudem eine gewisse Gefahr, durch ein Notensystem auch engagierte Mitarbeiter zu verprellen. Und selbst für die Arbeitskraft von weniger Einsatzbereiten müsse erst einmal Ersatz gefunden werden, wenn ein Unternehmen sie auf diesem Weg loswird.

Bis zu einer Null-Bock-Haltung von Angestellten ist meist viel passiert, wie Andrione erläutert. Selten habe sich jemand für eine Stelle beworben, um sich einen faulen Lenz zu machen. "Wer so eine Einstellung hat, wurde meist verprellt, zum Beispiel weil Versprechen nicht eingehalten wurden, die Unterstützung der Kollegen fehlt oder jemandem immer mehr aufgebürdet wird." Selbst jemand, der im Job alles gibt, trete dann irgendwann auf die Bremse. Das ist dem Psychologen zufolge im Grundsatz sogar richtig: "Man muss auf sich selbst achten."

Psychologin Laura Klimecki, die Führungskräfte und Unternehmer berät, findet ein Bewertungssystem für Mitarbeiter trotzdem hilfreich - sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer. Denn Unternehmen können sich ihrer Ansicht nach nur verbessern, wenn sie ihre Leistung messen, wie sie im Gespräch mit ntv.de erklärt. "Ein Notensystem bringt an sich aber nichts, wenn ich Mitarbeitern nicht aufzeige, wie sich der Einzelne entwickeln und verbessern kann." Wer zum Beispiel bei der Note drei liege, müsse Schritt für Schritt erklärt bekommen, wie er auf eine zwei kommen kann, und dabei unterstützt werden.

Männer überschätzen sich tendenziell

In den Augen der Unternehmensberaterin ist es nicht nur gegenüber dem Arbeitgeber, sondern auch für die Beschäftigten "nur fair", wenn Leistung bewertet wird. "Die schlimmste Bestrafung für gute Mitarbeiter ist, einen schlechten zu tolerieren. So demotiviere ich die, die sehr gut performen." Klimecki bezweifelt, dass es sich bei denen, die ihre Leistung verbessern müssten, um einen niedrigen einstelligen Prozentsatz handelt. "Meine Vermutung ist, dass der Anteil höher ist." Die Verteilung sei jedoch branchenabhängig.

Bei einer Bewertung handelt es sich laut der Psychologin zunächst einmal um einen Abgleich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Der kann nicht selten unangenehm ausfallen: "Viele Menschen überschätzen ihre eigene Leistung", sagt Klimecki. Ähnlich wie in der Fahrschule, wo viele Schüler meinen, gut vorbereitet zu sein, dann aber mehr als ein Drittel durch die Theorieprüfung fallen. Dabei zeigen sich laut Klimecki Geschlechterunterschiede: "Tendenziell überschätzen Männer ihre eigene Leistung eher, während Frauen sie tendenziell unterschätzen."

Ohne Realitätscheck können sich diejenigen, die sich selbst überschätzen, auch nicht verbessern, meint Klimecki. Wenn sich herausstellt, dass ein Angestellter nicht die erwünschte Leistung bringt, kann der Grund jedoch nicht nur Faulheit oder fehlende Qualifikation sein. Eine Bewertung kann auch aufzeigen, dass Prozesse im Unternehmen nicht gut organisiert sind. Eine Option: Jemand hat zu viele Aufgaben. "Wenn ich die Leute überfordere, dann performen sie halt auch nicht", sagt Klimecki.

"Performer haben keine Angst vor Bewertung"

Ein anderer Grund für mangelnde Leistung: Zu viele Beschäftigte arbeiten an einem Projekt. So habe sich etwa gezeigt, dass sich Menschen weniger anstrengen, je mehr Kollegen am selben Projekt arbeiten. Auch das kann gleichzeitig zu einem Gefühl der Überforderung beitragen, etwa weil jemand zu viele E-Mails in CC erhält. "Manchmal ist es sinnvoller, die Zahl der Projektmitarbeiter zu reduzieren, um die Leistung und Qualität zu erhöhen", sagt die Expertin.

Bei einer standardisierten Bewertung kann sich aber auch herausstellen, dass ein Mitarbeiter inhaltlich überfordert ist. Dann sollte er in Klimeckis Augen eine Chance bekommen, sich weiterzuentwickeln, beispielsweise durch eine Weiterbildung. Wenn der oder die Betroffene die Leistungsanforderungen nach einer gewissen Zeit immer noch nicht erfüllt, liege ein menschliches Problem vor, so Klimecki. Dann gilt es ihrer Meinung nach zu klären, ob jemand sich nicht anstrengt oder ob derjenige zum Beispiel von Krankheit oder privaten Krisen geschwächt ist.

Eine "Kultur der Angst" infolge eines Notensystems befürchtet Klimecki nicht. "Wer gute Leistung bringt, hat vor einer Bewertung keine Angst", sagt die Psychologin. "Performer haben ein anderes Mindset: Sie erwarten bei einer Bewertung ein Feedback, durch das sie noch besser werden können." Sorgen machten sich diejenigen, die ihre Leistung selbst als gut einstufen, aber befürchten, dass der Arbeitgeber das anders sieht.

Standardbewertung als Start für Verbesserung

Problematisch findet die Beraterin die Haltung "Du musst mich nehmen, wie ich bin - ich ändere mich nicht". Denn in unserer Gesellschaft "überlebten" die, die sich am besten an die aktuellen Gegebenheiten anpassen können. Schulnoten sind dabei nicht immer fair, doch nach Klimeckis Ansicht helfen sie, "erst einmal ein Gefühl für eine Situation zu bekommen und diese zu quantifizieren". Ein Bewertungssystem sei ein Instrument, um Problemfelder zu identifizieren.

Ein standardisiertes System ist womöglich nicht die ideale Form, um die Leistung zu steigern. Doch eine individuelle Bewertung jedes Einzelnen würde deutlich mehr Zeit kosten, meint Klimecki. "Die haben Unternehmen oft nicht." Ein Standardsystem sei ein guter Startpunkt. "Ich muss als Arbeitgeber ja erst einmal sehen, wo ich stehe."

Quelle: ntv.de

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