Piëch ist weg, die Probleme bleiben Die Stunde von Martin Winterkorn
29.04.2015, 14:48 Uhr
Martin Winterkorn muss zeigen, wo es lang geht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Quartalszahlen von Volkswagen überzeugen. Der Aktienkurs steigt. Alles wieder gut? Mitnichten. Konzern-Chef Winterkorn hat im Machtkampf mit Piëch viel Glück gehabt. Viele Fragen sind aber offen.
Die Eröffnung der umgebauten Hauptstadt-Repräsentanz in Berlin am Dienstagabend vor Hunderten Gästen dürfte für VW-Chef Martin Winterkorn nach dem Machtkampf im Konzern eine willkommene Abwechslung gewesen sein. Scheinwerfer, Smalltalk, strahlende Gesichter: Die Feier lenkte gekonnt vom dramatischen Abgang des Patriarchen Ferdinand Piëch und der wichtigen Frage ab, wer die Lücke jetzt füllen soll. Wäre die Feier nicht geplant gewesen, hätte der Konzern eine erfinden müssen.
Bei Volkswagen geht es im Moment Schlag auf Schlag: Rücktritt von Piëch als Aufsichtsratschef am Wochenende, Frau Ursula macht ebenfalls die Biege aus dem Gremium, große Feier am Dienstag in Berlin, Quartalszahlen am Mittwoch und nächste Woche noch die Hauptversammlung der Aktionäre in Hannover. Niederlagen, Selbstinszenierung, Zahlen, Kursfeuerwerk - das alles liegt in diesen aufwühlenden Zeiten nah beieinander.
Die frisch vorgelegten Quartalszahlen lassen die Investoren Mut schöpfen. Neue Hiobsbotschaften bleiben zum Glück aus. Alles scheint derzeit zu signalisieren: Der nach Toyota zweitgrößte Autokonzern der Welt wird die Zeitenwende gut packen. Auch der Aktienkurs spiegelt das. Die Investoren geben VW viele Vorschusslorbeeren.
Doch Vorstandschef Winterkorn hat noch ein hartes Stück Arbeit vor sich. Er hat nur eine Schlacht gewonnen, nicht den Krieg. Denn Volkswagen hat massive Probleme. Durch Piëchs Offensive sind sie erst richtig sichtbar geworden. Die Personalfrage mag in der öffentlichen Wahrnehmung das dringlichste Problem sein, das einzige ist es nicht. Das Geschäft in den USA läuft nicht rund, die Marge bei der Kernmarke VW dürftig. Die Anteilseigner warten in vielen Bereichen auf Antworten.
Wie geht es im Machtkampf weiter?
Wer könnte Piëch als Chefkontrolleur nachfolgen? Namen kursieren viele, von Winterkorn über Familienmitglieder des Porsche/Piëch-Clans bis hin zum früheren Linde-Chef Wolfgang Reitzle. Ferdinand Piëchs Bruder Hans Michel wäre eine Möglichkeit, sein Cousin Wolfgang Porsche eine andere - auch wenn diese als nicht sehr wahrscheinlich gelten. Auch die nächste Porsche-Generation könnte zum Zuge kommen: Ferdinand Oliver Porsche steht bereit. Für Winterkorn als zumindest mittelfristige Lösung spricht, dass er den Konzern in- und auswendig kennt. Spannend ist die Frage, wie der Vorstandschef sich selbst nun positionieren wird. Wird er sich zu einer Vertragsverlängerung über 2016 hinaus äußern? Als mögliche Interimslösung an der Spitze des Aufsichstars wurde auch schon Finanzchef Hans Dieter Pötsch gehandelt. Bis zu einer endgültigen Nachfolgeregelung könnten allerdings noch Monate vergehen. Denn Interimskandidaten für Ferdinand Piëch und seine Frau Ursula könnten die volle Amtszeit ihrer Vorgänger ausschöpfen - das wäre im Extremfall bis Frühling 2017.
Wie steht es um die Kernmarke VW?
Auf das Geschäft mit der Kernmarke hatten die Branchenbeobachter zuletzt immer genauer geschaut - es ist mit vielen Problemen behaftet. Piëchs Attacke gegen Winterkorn war vor allem dadurch getrieben. Die Gewinnmarge ist zu niedrig und die Verkäufe in den USA dümpeln dahin. Ein Sparprogramm soll helfen, die Marke wieder auf Vordermann zu bringen. Aber das braucht Zeit. Zumindest erste Erfolge konnte Winterkorn jetzt präsentieren. Aber die VW-Pkw-Sparte fährt gemessen am Umsatz immer noch zu wenig Gewinn ein. Besonders auf dem wichtigen US-Markt können Golf, Passat und Co. nicht mit der Konkurrenz mithalten. Die Probleme in Nordamerika dürften VW noch einige Zeit beschäftigen, denn die angekündigten großen Geländewagen kommen erst 2016/2017 auf den Markt. Kritiker bemängeln zudem, dass VW auf seine Fahrzeuge zu hohe Rabatte gewährt und die Preise schlecht durchsetzt. Was kann der Konzern tun? Nach Piëchs Abgang könnte die zentralistische Führungsstruktur bei VW reformiert werden. So wie die Nutzfahrzeug-Marken eine abgeschlossene Einheit bilden, wären auch eigene Gruppen für die Premium- und Massenmarken denkbar.
Was ist mit dem China-Geschäft?
Handlungsdruck gibt es auch in China, wo VW zwar Marktführer ist - aber zuletzt nicht mehr so wuchs wie die Konkurrenz. Für den Konzern ist China immens wichtig. Im vergangenen Jahr wurde mehr als jedes dritte Fahrzeug an einen Kunden in China geliefert. Im ersten Quartal hat sich das Absatzwachstum auf dem bedeutendsten Einzelmarkt auf nur noch 2,0 Prozent abgeschwächt. Begründet wurde das mit Kapazitätsengpässen wegen Fabrikumbauten und mit dem Fehlen eines kleinen SUV-Modells. Diese gewinnen bei chinesischen Kunden seit einigen Monaten immer mehr an Beliebtheit. Es mangelt speziell an günstigen Modellen im untersten Segment, ein seit Jahren geplantes "Budget-Car" fehlt nach wie vor. Zumindest konnte Volkswagen im ersten Quartal von positiven Währungseffekten des schwachen Euro zum chinesischen Renminbi profitieren.
Wie geht es der Truck-Sparte?
Das Geschäft der beiden Lkw-Töchter Scania und MAN laufen derzeit regional sehr unterschiedlich. Die Verkäufe in Lateinamerika, allen voran in Brasilien sowie in Russland, sind branchenweit drastisch eingebrochen. In Europa dürfte es allerdings wieder bergauf gegangen sein, glauben die Analysten der Commerzbank. Das hätte der Ordereingang der VW-Tochter Scania für das erste Quartal zuletzt gezeigt, schreiben die Branchenbeobachter. Ein ähnliches Bild werde es auch bei MAN geben.
Die Personalkrise mag die anderen Probleme von Volkswagen derzeit überlagern - verschwunden sind sie nicht. Versäumt es Winterkorn, sie zügig anzugehen, würde er Piëch recht geben: Er wäre wirklich nicht mehr der richtige Mann.
Quelle: ntv.de, mit DJ