Brisanter G20-Gipfel in Südkorea Was Deutschland erreichen muss
10.11.2010, 17:24 Uhr
G20-Gipfel in Seoul: Gastgeberland Südkorea bemüht um einen reibungslosen Ablauf und einen guten Gesamteindruck.
(Foto: REUTERS)
In Seoul treffen die 20 wichtigsten Wirtschaftsmächte der Erde aufeinander, um über das weitere Vorgehen nach der großen Krise zu beraten. Auf der Agenda stehen Wohlstand und Wachstum. Doch hinter den Kulissen geht es um die Zukunft der Weltwirtschaft.

Vor dem Flug nach Südkorea: Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der wöchentlichen Kabinettsitzung in Berlin.
(Foto: AP)
Wenn es um den eigenen Wohlstand geht, verhalten sich Nationen nicht viel anders als Kinder. Die Erkenntnis, dass ein friedliches Miteinander allen hilft, ist durchaus vorhanden. Doch sobald einer vordrängelt und nur seinen Vorteil sucht, ist es mit den Freundlichkeiten schnell vorbei.
Was in Kinderzimmern zu Geschrei und Tränen führt, kann in der Weltwirtschaft schwere Verwerfungen auslösen: Spätestens nach der fürchten nicht wenige Beobachter einen verschärften Abwertungswettlauf, steigende Neuverschuldung, Devisenschwankungen, Handelsschranken, Inflation und - schlimmstenfalls - den Beginn eines weltweiten Währungskrieges.
"Der Gipfel in Korea ist, wenn sie so wollen, ein Gipfel des Übergangs", versuchten Berliner Regierungskreise das Treffen historisch einzuordnen. Nach der akuten Phase der Finanzkrise und dem Versuch, aus den heftigen Turbulenzen die richtigen Lehren zu ziehen, kommt die internationale Politik nicht länger um die schwierigen Fragen der Zusammenarbeit herum. "Der G20-Gipfel entwickelt sich (…) zu einem Forum, das sich breiter mit der wirtschaftspolitischen globalen Kooperation befasst", hieß es im Vorfeld des Gipfels aus der deutschen Delegation.

Kremlchef Dimitri Medwedew nutzt den Abend vor dem großen Rummel für ein vertrauliches Gläschen mit dem südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak.
(Foto: REUTERS)
Es sind Worte, die aufhorchen lassen. Ganz konkret geht es für die deutsche Wirtschaft in Korea nicht mehr nur um Absichtserklärungen, sondern um die künftigen Spielregeln des Welthandels. "Welche Effekte hat eine nationale Wirtschaftspolitik auf andere Länder?", lautet eine der Kernfragen des Gipfels. Eine epochale Veränderung zeichnet sich ab: Die Rahmenbedingungen, in denen sich die Unternehmen in Zukunft bewegen, werden in zunehmendem Maße auf internationaler Ebene abgesteckt.
Wenn US-Finanzminister Timothy Geithner zum Beispiel eine Beschränkung der Leistungsbilanzüberschüssen fordert, . Schon seit Tagen sorgt der Vorschlag für heftige Diskussionen. Mit dem Vorschlag stehen Steuererleichterungen im Raum, die den privaten Konsum in Staaten wie Deutschland anregen sollen. In dieselbe Kerbe hatte zuvor bereits geschlagen - zum Leidwesen der Bundesregierung. Kanzlerin Merkel wird viel daran gelegen sein, den Streit weg von den Prozentzahlen in Richtung der Ursachen zu lenken; in jedem Fall weg von der heimischen Steuerdebatte.
Im Wettstreit der Nationen
Geithners Rat an exportstarke Nationen, die Steuern zu senken, verträgt sich schlecht mit den Bemühungen um einen Schuldenabbau. Leistungsbilanzen seien auch Leistungszeugnisse und das Ergebnis weltweiter Marktprozesse, betonte Merkel deshalb vorsorglich. " belegen, wie wettbewerbsfähig deutsche Produkte sind", lobt sie ihre Mitbürger.

Die Maschine des US-Präsidenten ist gelandet: Barack Obama hatte einen relativ kurzen Weg, er kam direkt aus Indonesien.
(Foto: REUTERS)
Auf eine generelle Reduzierung der eigenen Exportabhängigkeit hat sich Deutschland ohnehin bereits im Rahmen des Gipfels in Toronto verpflichtet. Die Bundeskanzlerin muss nun versuchen, ihre Gesprächspartner in Seoul auch zu erinnern: die gemeinsamen Anstrengungen um ausgeglichene Staatshaushalte, wachstumsfreundliche Reformen und die Abwehr protektionistischer Strömungen.
Mancher Beobachter hält den US-Vorstoß für eine Art Entlastungsangriff. Nach der jüngsten Milliardenstütze der US-Notenbank stehen die USA selbst im Kreuzfeuer der Kritik. Länder wie China, Brasilien, Südafrika und auch Deutschland werfen Washington vor, mit dem unabgestimmte Vorgehen der US-Notenbank Fed der Welt eine aufzuzwingen. Befürchtet wird, dass die Dollarflut einen unerwünschten Aufwertungsdruck auf die Währungen in Entwicklungs- und Schwellenländer ausübt und das Entstehen neuer Spekulationsblasen begünstigt. Hier muss die Berliner Delegation versuchen, die Wogen zu glätten. An einer , selbst einer rhetorischen, kann niemand gelegen sein.
Grünes Licht für "Basel III"?
Das Thema Abwertungswettlauf dürfte die Verhandlungen in Korea dominieren. Wechselkurse, so mahnte die Bundeskanzlerin, sollten die Lage einer Volkswirtschaft widerspiegeln. "Für mich steht fest, dass Verzerrungen der Wechselkurse den globalen Aufschwung schwächen", sagte Merkel der "Welt". Eine Politik, die auf eine künstlich niedrig gehaltene Währung und damit verbundene Exportchancen setze, sei kurzsichtig und schade letztlich allen, betonte die Kanzlerin.
An einer ganz anderen Stelle der Tagesordnung rechnen die Experten dagegen mit größeren Einigungschancen. Unter der Überschrift Finanzmarktregulierung stehen vor allem drei große Themen zur Debatte: Der Umgang mit den Ratingagenturen, den geplanten Regeln für systemrelevante Finanzinstitutionen und - nicht zuletzt - die neuen Kapitalvorschriften für Banken, auch bekannt unter dem .
Am dürren Ast der Analysten
Vor ihrem Abflug nach Südkorea zeigte sich Merkel hier vorsichtig optimistisch. Aus ihrer Sicht wäre es ein Riesenerfolg, wenn die G20 bei den Banken-Richtlinien einen Durchbruch erzielen könnten. Weniger zuversichtlich äußerte sie sich hinsichtlich einer schnellen Lösung im Umgang mit den sogenannten "Sifis", den systemrelevanten Finanzinstitutionen. Der Umgang mit vom Scheitern bedrohten Schwergewichten soll 2011 erneut behandelt werden.

Spricht für die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt: Indiens Premierminister Manmohan Singh.
(Foto: AP)
Beim Thema suchen die Gipfelteilnehmer unterdessen nach Wegen, die Abhängigkeit von den umstrittenen Noten der drei großen Bonitätsprüfer Fitch, Moody's und Standard & Poor's zu verringern. Angestrebt wird inoffiziellen Angaben zufolge die "Verringerung der Verwendung externer Ratings sowohl bei Marktteilnehmern als auch im Aufsichtsprozess".
Sollte sich das Vorhaben durchsetzen, müssten Banken bei der Kreditvergabe künftig wohl wieder mehr auf den Sachverstand der eigenen Mitarbeiter vertrauen und entsprechende Abteilungen aufbauen. Unternehmen könnten sich dagegen die zum Teil sehr kostspieligen Bonitätsprüfungen sparen.
Die Staaten werden erwachsen
Doch egal wie die Diskussionen um die Lehren aus den Erschütterungen am Finanzmarkt, die Situation an den Devisenmärkten, die und die drohende Exportschranken auch ausgehen - die Gipfelteilnehmer stehen vor einem schwer lösbaren Dilemma.
Einerseits haben sie in zurückliegenden Finanzkrise gelernt, dass ihnen unter den Bedingungen einer globalisierten Weltwirtschaft keine andere Wahl bleibt als an einem Strang zu ziehen. Andererseits sehen sie - wie zuletzt am Beispiel des US-Präsidenten -, dass sie nur gewählter Vertreter von Nationalstaaten sind, deren Interessen sie zu vertreten haben.
Der Erfolg von Merkel, Obama, Sarkozy und allen anderen wird davon abhängen, wie gut sie die Abstriche auf der einen oder anderen Seite der Welt - und vor allem ihren Wählern - erklären können.
Quelle: ntv.de