Handelsstreit mit Europa "Wenn China das dauerhaft umsetzt, ist das nah an einem Kalten Krieg"
29.10.2025, 18:49 Uhr Artikel anhören
Ceroxid, Yttriumoxid und Neodymoxid. Dass manche Unternehmen in Deutschland, die auf diese und andere seltene Erden aus China angewiesen sind, sich in den vergangenen Jahren keine ausreichenden Lagerbestände aufgebaut haben, hält Experte Jürgen Matthes für einen "schlechten Witz".
(Foto: picture alliance / Frank Rumpenhorst)
Mit Naivität und einer "Geiz ist geil"-Mentalität sind deutsche Unternehmen in die Falle getappt und haben sich abhängig von China gemacht, sagt der Ökonom Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft im Interview mit ntv.de. Lieferstopps bei seltenen Erden und Mikrochips aus China treffen diese Firmen hart. Aus der jüngsten Eskalation im Handelsstreit könnte am Ende allerdings China als der Verlierer hervorgehen.
ntv.de: China hat die Ausfuhr seltener Erden beschränkt, zuletzt hat es den Export von Mikrochips des Herstellers Nexperia gestoppt und Außenminister Johann Wadephul brüskiert, der seine geplante Reise nach China absagen musste. Sind das einzelne Zwischenfälle oder eskaliert gerade ein größerer Konflikt zwischen Europa und China?
Jürgen Matthes: Wir erleben, dass China im Umgang mit Europa andere Saiten aufzieht. Die Zeit, in der Leute hier noch gutgläubig sein und behaupten konnten, unsere Wirtschaftsbeziehungen beruhten auf einer Win-Win-Situation, sind endgültig vorbei. China macht uns immer mehr Konkurrenz, und das teils mit unfairen Mitteln wie Subventionen und einer unterbewerteten Währung. Und es nutzt sein Monopol bei seltenen Erden skrupellos, um Europa zu erpressen.
Jürgen Matthes leitet den Bereich Internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Er forscht unter anderem zu den deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen.
Warum eskaliert dieser Konflikt jetzt?
Die Chinesen scheinen den Eindruck zu haben, dass die Europäer Handlanger der USA bei deren Vorgehen gegen China sind – auch wenn wir versuchen, unsere eigene Position herauszustellen. Angeblich sind wir nur ein Kollateralschaden bei Chinas Maßnahmen gegen die USA.
Wie dramatisch ist die Eskalation in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht?
Die Exportrestriktionen vor allem bei den seltenen Erden sind ein sehr scharfes Schwert: Sie erschweren vor allem unsere Energiewende und die Aufrüstung Europas gegen Russland. Zudem zwingt China auf seltene Erden angewiesene Unternehmen dazu, ihre Lieferbeziehungen und teils auch Geschäftsgeheimnisse offenzulegen, und bekommt so sensibelste Informationen. Das könnte es den Chinesen erlauben, in Zukunft noch gezielter Druck auszuüben und sensibles technisches Wissen abzusagen. Das ist ein Skandal, den wir uns eigentlich nicht bieten lassen dürften, wenn wir nicht so erpressbar wären.
Inwiefern behindert China Europas Aufrüstung?
Seltene Erden sind wie in anderen Branchen auch in der Rüstungsindustrie wichtige Vorprodukte für Komponenten moderner Waffensysteme. Hier bekommt Chinas Vorgehen eine höchst dramatische geopolitische Bedeutung. Wir rüsten nicht gegen China auf, sondern gegen die Bedrohung durch Russland. China unterstützt Russland weiter immer offener und hindert uns nun sogar an der Aufrüstung gegenüber Russland. Das ist eine ganz neue Qualität der Blockbildung. Wenn China das dauerhaft umsetzt, müssen wir unsere Beziehungen komplett neu definieren. Das ist nah an einem Kalten Krieg.
Wir haben uns schon seit mehreren Jahren vorgenommen, unsere Beziehung zu China zumindest graduell umzugestalten, unsere Abhängigkeit zu verringern. Dieses sogenannte De-Risking ist offenkundig gescheitert, wenn nun teilweise die Autoproduktion heruntergefahren wird, weil Chips aus China fehlen.
Es ist offensichtlich, dass es zu viele Unternehmen gibt, die sich nicht ausreichend auf dieses Risiko vorbereitet haben. Im April hat China mit schärferen Exportrestriktionen bei den seltenen Erden begonnen. Danach hat es nur wenige Wochen gedauert, bis die ersten Unternehmen in Deutschland Probleme bekamen. Das ist doch ein schlechter Witz: Seit Langem ist für jeden, der halbwegs informiert ist, klar, dass China sich dieses Monopol aufgebaut hat. Spätestens seit dem Ukrainekrieg und allerspätestens seit Trumps Zöllen und Exportrestriktionen gegenüber China war absehbar, dass China dieses Schwert irgendwann zücken würde. Da müssen sich Unternehmen doch drauf vorbereiten! Es ist grob fahrlässig, wie manche Firmen damit umgegangen sind. Es gibt natürlich andere Unternehmen, die haben Lager oder alternative Zulieferer aufgebaut. Aber diejenigen, die jetzt bei der Politik auf der Matte stehen und um Hilfe bitten, die müssen sich auch an ihre eigene Nase fassen.
Die jüngste Eskalation entzündete sich am Vorgehen der niederländischen Regierung gegen Nexperia, ein Unternehmen im Besitz eines chinesischen Konzerns. War das niederländische Vorgehen angesichts der drastischen Folgen ein Fehler?
Ich kenne nicht jedes Detail zur Grundlage der niederländischen Entscheidung. Aber offenbar gab es Grund zur Annahme, dass die chinesische Führung des Unternehmens relevante Technologie nach China abziehen und hier Produktion abbauen wollte. Damit geht es um wirtschaftliche Sicherheit. China geht bei solchen Fragen selbst sehr strikt vor und hindert andere Länder beispielsweise daran, an Technologien zu kommen für die Raffinierung seltener Erden. Mit seinen Vorschriften regelt China genau, welche Daten und welches Know-how im Land bleiben und welche rausgehen können. China bricht seit Jahren die geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln des Welthandels mit wettbewerbsverzerrenden Subventionen, einer unterbewerteten Währung und erzwungenem Technologietransfer. Wir Europäer haben das viel zu lange hingenommen und fangen nun endlich an, uns zu wehren.
Die Abhängigkeit von China ist allerdings schon weit fortgeschritten. Was für Handlungsoptionen haben Deutschland und Europa noch?
Wir sind sehenden Auges in eine Falle getappt, weil wir möglichst billig seltene Erden und andere Rohstoffe und Produkte einkaufen wollten. Und wir haben uns blind darauf verlassen, dass China weiter brav und zuverlässig liefert. Diese Mentalität, diese Kombination aus "Geiz ist geil" und Naivität fällt uns jetzt auf die Füße und macht uns zu einem gewissen Maße erpressbar.
Was sollten Europa und Deutschland nun tun: Die Machtprobe mit China suchen und durchstehen oder doch versuchen, einen Kompromiss zu finden?
Das hängt vom weiteren Verhalten Chinas ab und auch davon, was bei dem anstehenden Treffen zwischen den Präsidenten Trump und Xi rauskommt. Es gibt die Hoffnung, dass es dort zu einer Einigung und in der Folge zu einer Lockerung der chinesischen Exportrestriktionen auch gegenüber Europa kommt. Grundsätzlich sollte auch unser Ziel eine Deeskalation sein. Aber wenn Chinas Handeln unsere Wirtschaftsbasis bedroht und wenn Peking uns politische Maulkörbe verpasst, dürfen wir uns das nicht gefallen lassen. Und wenn die Chinesen uns tatsächlich dauerhaft daran hindern sollten, gegenüber der Bedrohung aus Russland aufzurüsten, dann bleibt Europa nicht viel anderes übrig, als massiv gegenzuhalten.
Was kann Europa China in diesen Verhandlungen entgegensetzen?
Die Chinesen brauchen zum einen unseren Absatzmarkt hier und zum anderen gibt es noch eine Reihe technologischer Produkte aus Europa, auf die sie angewiesen sind . Unser großes Problem ist, dass wir keinen genauen Überblick haben, an welchen Stellen wir tatsächlich möglicherweise auch den Chinesen wehtun könnten. China macht sich gezielt immer autarker und unabhängiger vom Ausland. Während bei uns die Anreize für De-Risking offenbar nicht groß genug waren und wir mit unserem Rohstofffonds und all den anderen Maßnahmen viel zu langsam waren, ist China dank staatlicher Steuerung da viel schneller.
Wie hart könnte China uns umgekehrt bei einer weiteren Eskalation des Konflikts treffen - über die Auswirkungen hinaus, die wir bereits sehen?
Wir machen ein regelmäßiges IW-Monitoring, um zu analysieren, bei welchen Bereichen wir von Importen aus China abhängig sind, auch über die seltenen Erden hinaus. Das Ausmaß der Abhängigkeiten ist demnach gar nicht so groß. Unter über 14.000 Warengruppen haben wir im Jahr 2024 nur bei rund 2330 industrienahen Produktkategorien einen Importanteil von über 50 Prozent aus China. Darunter sind die seltenen Erden, chemische, pharmazeutische Produkte, auch Batterien, Solarmodule und Laptops. Bei vielen dieser Waren wissen wir aber gar nicht so richtig: Ist das unverzichtbar, schwer ersetzbar, und würde das Ausbleiben größere gesamtwirtschaftliche Schäden verursachen? Denn nur dann ist die Abhängigkeit kritisch und nur dann müssen wir mit Nachdruck an einem zügigen De-Risking arbeiten; wir wollen wir ja kein generelles Decoupling.
Was wissen wir denn über das Ausmaß kritischer Abhängigkeiten?
Neben seltenen Erden ist die Abhängigkeit auch bei einigen pharmazeutischen Vorprodukten, wie Wirkstoffen für Antibiotika und Schmerzmittel ebenfalls kritisch, weil hier die Gesundheit auf dem Spiel steht. Bei den Mikrochips dagegen gibt es andere Anbieter und das Problem dürfte bald vorüber sein. Und bei Solarmodulen ist die hohe Abhängigkeit von China eher unkritisch, weil ein Importstopp keine größeren Schäden verursachen würde. Aber darüber hinaus wissen wir viel zu wenig über das Ausmaß der Unentbehrlichkeit, etwa im Bereich chemischer Grundstoffe oder anderer Vorleistungs- und Investitionsgüter, auch weil wir hier die Frage der Unverzichtbarkeit mit den Handelsdaten allein nicht beantworten können. Deshalb fordern wir seit Jahren, dass die Bundesregierung ein eigenes Analyseteam schafft, um herauszufinden, welche Abhängigkeiten auch wirklich kritisch sind.
Wie ist der Stand beim De-Risking nach Ihren Analysen?
Da sieht es erschreckend schlecht aus. Die Zahl der Produkte mit einer mindestens 50-prozentigen Importabhängigkeit von China hat sich kaum verändert und ist im letzten Jahr eher noch gestiegen. Wir reden zwar viel über De-Risking und haben auch das eine oder andere angeschoben. Aber das ist bislang viel zu wenig und dauert viel zu lange.
Sie sprachen den Lieferstopp des Chipherstellers Nexperia an, der der große Verlierer dieser Auseinandersetzung werden könnte. Überschätzt Chinas Führung hier ihre Macht?
China hat bei diesen Mikrochips kein Monopol, es gibt Ausweichmöglichkeiten. Die Umstellung europäischer Nexperia-Kunden auf andere Lieferanten kann zuweilen zwar etwas Zeit brauchen, wenn neue Zertifizierungen der alternativen Chips nötig sind. Europäische Unternehmen werden künftig aber sehr viel zurückhaltender bei Chips aus China sein. Langfristig schneidet sich Peking hier ins eigene Fleisch.
Mit Jürgen Matthes sprach Max Borowski
Quelle: ntv.de