
Praxis-Angestellte demonstrierten vor der Bundesärztekammer in Berlin.
(Foto: dpa)
Zum ersten Mal legen medizinische Fachangestellte ihre Arbeit in Arztpraxen nieder, um für höhere Löhne zu kämpfen. Die Einstiegsgehälter beginnen bisher knapp über dem Mindestlohn. Dabei sind die Fachkräfte begehrt.
Wer am Donnerstag zum Arzt gehen oder nur einen Termin ergattern wollte, musste mancherorts noch mehr Zeit mitbringen als oft ohnehin schon: Arzthelferinnen und -helfer waren in den aktuellen Tarifverhandlungen zum Warnstreik aufgerufen, zum ersten Mal in der Geschichte des Verbands medizinischer Fachberufe (VMF). Der warnte vor längeren Wartezeiten oder gar ausfallenden Behandlungen, weil betroffene Ärzte die Aufgaben ihrer Angestellten mitübernehmen müssten. Dabei gehört das in mancher Praxis längst zum Alltag, denn Medizinische Fachangestellte (MFA) sind rar geworden - und entsprechend begehrt.
Zu ihren Aufgaben zählen nicht nur die Patientenaufnahme und Terminvergabe: Die Fachkräfte assistieren bei Untersuchungen, Behandlungen und chirurgischen Eingriffen. Sie legen etwa Verbände an, nehmen Blut ab oder führen Laborarbeiten durch. Daneben sind sie zuständig für Dokumentation, Hygiene und Abrechnungen. Aus ihrer Sicht sind dafür ihre Gehälter zu niedrig, der Verband forderte im Schnitt 14,6 Prozent mehr Lohn. Am Nachmittag verkündete er eine Einigung mit den Arbeitgebern, das Ergebnis soll allerdings erst in einer Woche bekannt gegeben werden.
Aktuell liegt das mittlere Bruttoentgelt für MFA in Vollzeit nach Angaben der Arbeitsagentur bei 2778 Euro pro Monat. Ein Viertel verdient demnach bis zu gut 2300 Euro, ein Viertel rund 3300 Euro oder mehr. Dabei zeigen sich erhebliche regionale Unterschiede. Während der Median in Bayern, Bremen und Baden-Württemberg bei fast 2900 Euro liegt, erreicht er in Hamburg sogar fast 2950 Euro. Sachsen und Sachsen-Anhalt bilden mit weniger als 2400 Euro die Schlusslichter. In den großen Städten zahlen die Praxen dabei meist deutlich mehr als auf dem Land, in München und Stuttgart über 3000 Euro.
Von bis 2200 bis 4400 Euro
Die Gehälter beginnen nach dem nun endenden Tarifvertrag aktuell bei 2207 Euro in den ersten vier Berufsjahren in der niedrigsten Tätigkeitsgruppe und 3200 Euro in der höchsten Gruppe, die einer Führungsposition entspricht. Nach der dreijährigen Ausbildung startet der Stundenlohn mit 13,22 Euro somit bei nicht einmal sieben Prozent über dem Mindestlohn. Der Berufsverband forderte 17 Euro im Einstiegsgehalt.
Ab dem 29. Berufsjahr werden nach Tarif zwischen 3058 Euro in der untersten Gruppe und 4434 Euro in der obersten Tätigkeitsgruppe fällig. Voraussetzung für die höchste Tätigkeitsstufe ist neben Berufserfahrung eine entsprechende Fortbildung, zum Beispiel zum Betriebs- oder Fachwirt im Gesundheitswesen.
Der Großteil der Arzthelfer wird nach Tarif bezahlt, wie eine regelmäßige Umfrage des Berufsverbands zeigt. 60 Prozent der Befragten erhielten demnach im vergangenen Jahr am Tarif orientierte Gehälter, 15 Prozent verdienten sogar mehr, ein Viertel weniger.
Den Ärzten laufen die Angestellten weg
Zum Vergleich: Über alle Branchen hinweg hat das Jobportal Stepstone für das vergangene Jahr ein Mediangehalt von umgerechnet rund 3650 Euro im Monat berechnet. Das Durchschnittsgehalt von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland lag laut Statistischem Bundesamt vor knapp einem Jahr bei 4323 Euro. Gehälter von Großverdienern treiben diesen Wert in die Höhe. Der Median ist dagegen der Wert in der Mitte: Die Hälfte verdient weniger, die Hälfte mehr.
MFA-Berufseinsteiger können in Krankenhäusern im Schnitt 500 Euro mehr verdienen als in Praxen, wie das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) vor drei Jahren feststellte. Daneben berichten Arzthelfer von enormer Mehrarbeit und fordernden Patienten. Kein Wunder also, dass sich immer mehr aus den Praxen verabschieden. Nicht nur Kinderärzte fänden keine MFA, das gelte "überall, der Markt ist leer", sagt Verbandspräsidentin Hannelore König. Laut einer ZI-Erhebung aus dem Jahr 2020 beklagte ein Viertel der ausbildenden Praxen eine Abwanderung des selbst ausgebildeten Personals - die Mehrheit wechselte den Beruf ganz oder in den stationären Bereich.
Mit finanziellen Anreizen versuchen Ärzte, dem entgegenzuwirken. Fast drei Viertel der vertragsärztlichen Praxen zahlten ihrem Personal laut ZI Sonderzahlungen und Zuschläge. Den aktuellen Warnstreik befürworten mehrere Ärzteverbände sogar, sie verweisen auf das Budget der Mediziner und fordern dessen Erhöhung durch Politik und Krankenkassen. "Die Praxen sind chronisch unterfinanziert, das bekommen auch unsere MFA täglich zu spüren", erklärte Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes, der die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte unterstützt. Stress und Arbeitsbelastung steigerten sich bei den Praxisangestellten "ins Unerträgliche".
Verband verweist auf hohe Lebenshaltungskosten
Deren Verband sieht dagegen durchaus Spielraum bei den Arbeitgebern, etwa bei Kinder- oder Hausärzten. "Jeder Arzt sollte sich bewusst sein, mit welchem Nettogehalt die MFA nach Hause gehen und dass sie damit die hohen Lebensmittelpreise gegenfinanzieren müssen", findet König.
Arbeitsrechtler Stefan Greiner verwies im Interview mit ntv.de zu aktuellen Streiks in verschiedenen Branchen ebenfalls darauf - wie auch auf den Arbeitnehmermarkt, dass also Arbeitskräfte wegen des Fachkräftemangels höhere Forderungen durchsetzen können: "Wir alle nehmen wahr, dass alles teurer wird. Das zieht selbstverständlich Forderungen nach höheren Löhnen nach sich. Ein wesentlicher Treiber des heutigen Streikgeschehens sind allerdings auch die neue Arbeitswelt und der demografische Wandel.
Arztpraxen mussten wegen des Personalmangels bereits ihren Leistungsumfang reduzieren, wie das ZI schon vor Jahren feststellte. Dabei nimmt der Unmut unter Patienten zu. Die private Krankenversicherung verzeichnete im vergangenen Jahr einen Mitgliederzuwachs.
Quelle: ntv.de