Wirtschaft

London kümmert sich um sich selbst Zahlen werden die Brexit-Fans

Die britischen Notenbanker werden ein Abrutschen der Wirtschaft zu verhindern wissen.

Die britischen Notenbanker werden ein Abrutschen der Wirtschaft zu verhindern wissen.

(Foto: REUTERS)

Großbritannien bemüht sich nach dem Brexit-Votum um Schadensbegrenzung. Das vorrangige Interesse gilt der Zukunft der britischen Wirtschaft und viel Geld. Die einfachen Bürger hatten sich das anders vorgestellt.

Drei Wochen nach dem Brexit-Votum herrscht in London immer noch Ausnahmezustand. Die Regierungsbildung unter der neuen britischen Premierministerin Theresa May läuft auf Hochtouren. Was die schwierigen Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien bringen werden, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal erahnen.

Die Bank of England (BoE) ließ den Leitzins zwar überraschend unverändert. Sie bleibt aber in Habachtstellung. Denn die Gefahr, die der britischen Wirtschaft durch den geplanten Abschied des Königreichs aus der Europäischen Union (EU) droht, ist noch lange nicht gebannt. Die Währungshüter werden sich für mögliche Schockwellen in der Wirtschaft und Finanzwelt bereit halten müssen. Sicher ist nur: Es werden vor allem die kleinen Leute in Großbritannien sein, die die Brexit-Maßnahmen von Politik und Währungshütern noch schmerzlich spüren werden. Für sie gibt es viel Anlass, alarmiert zu sein.

"Alles, was nötig ist"

Die Währungshüter in London erweisen sich mit ihrer besonnenen Art als kompetente Krisenmanager, die sich weder von Ereignissen überrollen, noch kopflos durch die Gassen treiben lassen. Sie haben es nach dem historischen 23. Juni immerhin schnell geschafft, die Kapitalmärkte zu beruhigen.

Der Kanadier Mark Carney steht vor seiner Bewährungsprobe.

Der Kanadier Mark Carney steht vor seiner Bewährungsprobe.

(Foto: REUTERS)

Notenbankchef Mark Carney, der in den britischen Medien als "George Clooney unter den Notenbankern" betitelt wird, wusste, dass eine große Krisen-Inszenierung von ihm erwartet wurde: "Alles, was nötig ist!" Mit den gleichen Worten hatte EZB-Chef Mario 2012 in der Eurokrise an die Märkte appelliert. In den nächsten Monaten dürfte der Brexit Carney noch reichlich beschäftigen.

Er wird dabei voraussichtlich auch Instrumente aus dem Werkzeugkoffer der Notenbanker zücken, die den Brexit teurer machen wird, als es sich mancher Brexit-Befürworter möglicherweise vorgestellt hatte. Der größte Kraftakt wird die Stabilisierung der Wirtschaft werden. Und dafür wird eine Leitzinssenkung früher oder später unumgänglich werden. Alle Prognosen gehen von einer Rezession aus. Die Frage ist nur noch, wann sie kommt und wie anhaltend sie sein wird. Darin sind sich die Experten einig. Doch dieser Schritt birgt Risiken.

Die BoE und der Brexit

Die britischen Währungshüter haben unmittelbar nach dem Brexit-Votum bewiesen, dass sie handeln können: In einer Art Schnellschuss sicherten sie den Banken 250 Milliarden Pfund zu, um Engpässe in der Geldversorgung zu verhindern. Außerdem lockerte sie die Kapitalregeln. Die Banken müssen vorerst nicht mehr Geld für schlechtere Zeiten beiseitelegen. Zudem sei sei "wahrscheinlich", dass die Zentralbank im Laufe des Sommers geldpolitische Maßnahmen ergreifen müsse, kündigte Notenbankchef Mark Carvey an.

Einerseits wollen die Notenbanker ein Bollwerk gegen die Rezession schaffen. Andererseits müssen sie aber auch zu niedrige oder sogar negative Zinsen verhindern. Denn diese würden die Gewinne der Banken schmälern, was die Kreditvergabe an die Realwirtschaft ausbremsen könnte.

Recht machen werden es die Währungshüter so oder so keinem machen können. Banken und Kreditnehmer werden sich für die Zinssenkung vielleicht noch bei Carney bedanken. Die Masse der Verbraucher wird ihn aber noch verfluchen.

Importierte Güter aus dem Ausland könnten, wenn das Pfund davongaloppiert, immer teurer werden. Im schlimmsten Fall wären die Währungshüter mit der unheilvollen Kombination aus schwachem Wirtschaftswachstum und hoher Inflation konfrontiert. Ein Albtraum nicht nur für Notenbanker, sondern vor allem für die kleinen Leute - also die, die überwiegend für den Brexit gestimmt haben.

Wer stopft die Steuerlöcher?

Pläne, die bereits in der Politik kursierten, zeigen ebenfalls, wohin die Reise für die Verbraucher geht. Der Vorschlag einer Unternehmenssteuerreform stammt zwar vom mittlerweile zurückgetretenen Finanzminister George Osborne, vom Tisch ist er aber nicht. Osborne hatte sich für eine Senkung der Unternehmenssteuern ausgesprochen, um den Exodus von Firmen zu verhindern. Doch wer soll die Mindereinnahmen kompensieren? Osborne kündigte auch Steuererhöhungen und Kürzungen der Ausgaben an. Es sind die britischen Bürger und Steuerzahler, die die Löcher in der Haushaltskasse für die Wirtschaft stopfen werden.

Schon jetzt ist klar: Die Brexit-Befürworter haben sich mit ihrem Ja zum EU-Austritt einen teuren Bärendienst erwiesen. Vieles deutet darauf hin, dass sie in Zukunft weniger im Portemonnaie haben werden. Es ähnelt einem bitteren Erwachen. Denn eigentlich war die Idee hinter dem Referendum eine andere: Das Votum für den EU-Austritt war eine Aufforderung der einfachen Bürger ans Establishment, sich mehr um ihre Bedürfnisse zu kümmern. Genau dieses Establishment aus Politik und Wirtschaft ist nun aber damit befasst, so viel wie möglich aus der Vor-Brexit-Zeit hinüberzuretten.

Die neue Premierministerin, die in ihrer ersten Rede die "brennende Ungerechtigkeit" in der britischen Gesellschaft brandmarkte und den Blick damit auf die Armen lenkte, wird es schwer haben, ihre Politik an den Bedürfnissen der einfachen Bürger und nicht an der Wirtschaft und den Privilegierten zu orientieren.

Es ist bitter: Die Währungshüter hatten vor dem Brexit-Votum eine Zinserhöhung ins Auge gefasst. Die Konjunktur lief rund. Die Wirtschaft im Insel-Königreich war vielfach so stark gewachsen wie in keiner anderen Industrienation. Die Zinssenkung wird kommen. Und die Notenbanker werden eine stärkere Abwertung des Pfunds nicht verhindern. Denn sie kommt ihnen im Kampf gegen die drohende Rezession viel zu gelegen. Was die Politik noch aufbieten wird, bleibt abzuwarten. London und den Briten stehen noch harte Monate bevor.

Quelle: ntv.de

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