Folgen des Urteils zum KTF Habeck warnt vor Jobverlust und Industrieabwanderung
17.11.2023, 16:15 Uhr Artikel anhören
Der Umbau der Industrie würde in anderen Ländern massiv staatlich unterstützt. Deutschland fehlt nun viel Geld, beklagt Wirtschaftsminister Habeck.
(Foto: picture alliance / Flashpic)
Die Bundesregierung darf keine 60 Milliarden Euro innerhalb von Sondervermögen verschieben. Für Wirtschaftsminister Habeck ein Urteil mit noch nicht absehbaren Folgen. Denn andere Länder investieren massiv in den Umbau der Wirtschaft. Es sei ein globaler Wettbewerb. Und Deutschland fehle nun viel Geld.
Wirtschaftsminister Robert Habeck schlägt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) Alarm. In einem Videobeitrag warnt er vor dem Verlust von Arbeitsplätzen in der Industrie. Diese seien "durch das Urteil besonders bedroht", sagte er. Das Urteil werde nun mitunter damit gleichgesetzt, dass 60 Milliarden Euro für den Klimaschutz fehlten. Das sei aber "bestenfalls nur ein kleiner Teil der Wahrheit". Vielmehr fehlten "60 Milliarden für die Transformation und für die Unterstützung der Industrie". Der Grünen-Politiker schloss sich nach dem Urteil mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften zusammen. Am Freitagmorgen habe es ein weiteres Treffen mit Vertretern des Mittelstandes stattgefunden.
In dem Video sagt Habeck weiter, dass die Gelder sowohl bei schon existierenden Branchen wie der Stahl- und chemischen Industrie als auch dem Aufbau neuer Industrie, zum Beispiel im Solarbereich, fehlten. Mit "der Bedrohung der industriellen Kraft dieses Landes" seien auch Arbeitsplätze in Gefahr. Ziel der Bundesregierung sei es aber weiterhin, den Wohlstand und die Wertschöpfung in Deutschland zu erneuern - unter anderem durch die Transformation der Industrie. Das Urteil sei deshalb "ohne Frage ein Rückschritt für alle die Pläne, die gemacht wurden". Er wolle nun "mit voller Kraft" in den nächsten Tagen und Wochen daran arbeiten, Antworten zu finden.
"Es ist eine Mär, dass es allein der Markt richtet"
Bei den Treffen mit Wirtschaft und Gewerkschaften sei deutlich geworden, dass bei den Unternehmen und Beschäftigten große Sorge und Verunsicherung vorherrsche. Habeck betonte, dass die Finanzierung des KTF nicht nur eine Klimapolitik-, sondern vor allem eine Standortfrage sei. Er werde sich mit allem Nachdruck weiter für die Finanzierung einsetzen. "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich und die Bundesregierung prüft die Auswirkungen genau. Selbstverständlich werden wir es respektieren", sagte Habeck in Berlin. "Als Koalition werden wir uns dem Problem gemeinsam stellen und gemeinsam Lösungen erarbeiten."
Habeck warnte, in der deutschen Debatte den Blick auf die internationale Lage aus den Augen zu verlieren. Die Transformation der Industrie finde global statt, weil viele Länder und Unternehmen erkannt hätten, dass das die Märkte der Zukunft seien. "Der globale Wettbewerb wird um Klimatechnologien geführt. Die Frage ist also nicht, wird grüner Stahl produziert, sondern wird er auch in Deutschland produziert", fügte er mit Blick etwa auf die USA hinzu, die mit ihrem Programm Inflation Reduction Act (IRA) die heimische Wirtschaft unterstützen.
Die Unternehmen hätten sich längst auf den Weg gemacht. "Sie brauchen aber - genauso wie die Firmen in den USA und in anderen Ländern - Unterstützung, eine Versicherung beim Übergang, damit sie bei uns im Land investieren", mahnte der Grünen-Politiker. "Es ist eine Mär, dass in anderen Ländern das alleine der Markt richtet. Andere Länder unterstützen ihre Industrie massiv."
Ministerium erwartet geringeres BIP nach Urteil
Das Wirtschaftsministerium schätzt, dass das Urteil das Wachstum in Deutschland bremsen werde. "Ein Wegfall von Investitionsmitteln könnte nach ersten überschlägigen Schätzungen das Wachstum 2024 um etwa einen halben Prozentpunkt geringer ausfallen lassen", hieß es von einem Insider. "Das Urteil könnte sich also negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken." Schon vor dem Gerichtsurteil hatte die EU-Kommission Deutschland im kommenden Jahr mit einem erwarteten Plus von 0,8 Prozent als Schlusslicht beim Wachstum in der Eurozone gesehen.
Die bisherige Konjunkturprognose der Bundesregierung geht für 2024 von einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1,3 Prozent aus, nach einem Schrumpfen von 0,4 Prozent im laufenden Jahr.
Das Bundesverfassungsgericht hatte den von der Ampelregierung eingerichteten Klimafonds für rechtswidrig und auch einen Nachtragshaushalt der Ampel für nichtig erklärt. Nun fehlen zunächst 60 Milliarden Euro für die Finanzierung etwa von Maßnahmen für den Kampf gegen Klimawandel und für Industrieförderung. Die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP will parallel zu den laufenden Haushaltsverhandlungen 2024 klären, wie dies gelingen kann.
Quelle: ntv.de, jwu/rts/AFP