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Heißestes Jahr aller Zeiten Die Welt kratzt 2023 an 1,5-Grad-Marke

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Die große Hitze im September führte an vielen Orten weltweit, wie hier in China, zu Dürre.

Die große Hitze im September führte an vielen Orten weltweit, wie hier in China, zu Dürre.

(Foto: picture alliance / CFOTO)

2023 ächzen große Teile der Welt unter enormer Hitze. Die ist nicht nur subjektiv, sondern wissenschaftlich belegt. Nach Modellierungen des Klimawandeldienstes Copernicus schrammt die Erde im Gesamtjahr nur knapp an der bedrohlichen 1,5-Grad-Marke vorbei. Im September wird sie bereits übertroffen.

Das laufende Jahr ist auf dem Kurs, das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen zu werden. Das teilte der EU-Klimawandeldienst Copernicus mit. Der ungewöhnlich warme September nach einem Sommer mit Rekordtemperaturen habe den Ausschlag dafür gegeben, hieß es in der Mitteilung. Die durchschnittlichen Temperaturen 2023 lagen demnach bislang um 1,4 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Das sind nur 0,1 Grad unter den als Klimaziel ausgegebenen 1,5 Grad des Pariser Klima-Abkommens, die bis zum Ende des Jahrhunderts nicht längerfristig überschritten werden sollen. Ein globales Rekordjahr sei "schon jetzt quasi sicher", sagt auch Dieter Gerten vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Im September waren es demnach sogar schon 1,75 Grad mehr als im vorindustriellen Referenzzeitraum von 1850 bis 1900. Der September dieses Jahres sei aber nicht nur global der wärmste je gemessene gewesen, hieß es in der Mitteilung weiter. Die Temperaturen waren mit durchschnittlich 0,93 Grad über dem Referenzzeitraum von 1991 bis 2022 auch der stärkste je erfasste Ausschlag eines Monats. "Zwei Monate vor der (UN-Weltklimakonferenz) COP 28 ist das Gefühl der Dringlichkeit für ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen nie wichtiger gewesen", sagte Copernicus-Vizechefin Samantha Burgess der Mitteilung zufolge.

Nun schon seit etwa einem halben Jahr werde ununterbrochen eine rekordhohe Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche registriert, erklärte Gerten. Sie liege zudem nicht nur minimal, sondern recht deutlich - um mehrere Zehntelgrad - über den bisherigen Rekorden der betreffenden Monate. "Damit befinden wir uns zumindest im Moment sehr nah an einer mittleren Erderwärmung von 1,5 Grad über dem vorindustriellen Wert."

Nach vorläufigen Daten der US-Plattform "Climate Reanalyzer" liegt die Oberflächentemperatur der Meere im globalen Mittel bereits seit April anhaltend deutlich über den bisherigen Höchstwerten für den jeweiligen Tag. Auch die Kurve für die Lufttemperatur zeigt erschreckende Extreme: So war im September wie auch schon im Juli jeder Tag ein Höchstwert-Tag für das jeweilige Datum in den rund 40 Jahren Aufzeichnung.

El Niño treibt Rekordtemperaturen

Auch der Klimamodellierer Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven hält es "für fast sicher", dass 2023 global gemittelt das bisher wärmste Jahr sein wird. Die hohen Temperaturen insbesondere seit März seien sehr außergewöhnlich, sie stächen erstaunlich weit aus allen vorherigen Jahren seit Beginn der Messungen heraus. Die langfristige Erwärmung komme hierbei kombiniert mit natürlichen regionalen Schwankungen zum Tragen.

Derzeit gewinne das natürliche Klimaphänomen El Niño an Einfluss, erklärte Gerten. Der maximale Effekt dürfte sich demnach ab kommenden Winter und Frühjahr einstellen. Mit wieder merklich sinkenden Temperaturen sei aber auch danach nicht zwingend zu rechnen. Ein El Niño kann die im Zuge der Klimakrise ohnehin stetig steigenden Temperaturen zusätzlich in die Höhe treiben - das bisherige Rekordjahr 2016 zum Beispiel war ein El-Niño-Jahr. Gegenstück dazu ist das Phänomen La Niña, das die globale Durchschnittstemperatur drückt.

Die Abfolge von El Niños und La Niñas im tropischen Pazifik sei typischerweise der stärkste Treiber für zufällige Schwankungen der global gemittelten Temperatur, erklärte AWI-Forscher Gößling. "Es handelt sich schlicht um eine sehr große Fläche, die von dieser kräftigen Klimaschaukel betroffen ist." Zumeist sei das zweite Jahr mit El-Niño-Bedingungen wärmer als das Jahr, in dem das Phänomen einsetze. So sei es etwa 1997/1998 und 2015/2016 gewesen. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass die außergewöhnliche Wärme von 2023 in den anderen Meeresregionen nächstes Jahr wieder ähnlich stark ausfallen wird. "Ich halte es daher für etwas wahrscheinlicher, dass 2023 erstmal den Rekord behalten wird, das ist jedoch recht spekulativ."

Auch bei der Ausdehnung des antarktischen Meereises gab es einen Negativrekord im September. Sie verblieb auf einem historischen Niedrigstand mit neun Prozent unter dem Durchschnitt des Referenzzeitraums von 1991 bis 2020. In der Arktis war die Ausdehnung des Meereises im September auf Platz fünf der niedrigsten Werte.

Heutige Extreme werden künftig Normalität

Bei den Niederschlägen war das Bild im September durchwachsen. Während es in weiten Teilen Westeuropas mehr als üblich regnete und es in Griechenland und Libyen infolge von Sturm "Daniel" sogar zu Überschwemmungen kam, wurde in anderen Teilen Europas, der USA, Mexikos, Zentralasiens und Australiens der trockenste September seit Beginn der Aufzeichnungen registriert.

Klar sei aber auch, dass es nicht allzu lange bis zu einem noch wärmeren Jahr dauern werde - und in etwa zehn Jahren werde ein Jahr wie 2023 wohl eher als normal durchgehen. "Solange wir weiter große Mengen fossiler Brennstoffe verbrennen, werden immer höhere Hitzerekorde das neue Normal", so Gößling. Ein durchschnittliches oder gar eher kühles Jahr, wie es sie im 20. Jahrhundert gab, sei in absehbarer Zeit nicht mehr zu erwarten, sagt auch PIK-Experte Gerten. Die Frage sei jeweils bloß noch, ob es ein abermaliges Rekordjahr werde oder es "nur" unter den fünf bis zehn wärmsten seit Aufzeichnungsbeginn lande.

Beim Extremwetterkongress in Hamburg hatten Klimaexperten kürzlich verkündet, die Chance sei verpasst, mit relativ wenig Aufwand das Klimasystem zu stabilisieren. Der Klimawandel werde nun in großen Teilen ungebremst erfolgen. Nicht mehr abwendbare, massive Veränderungen seien auf der Erde zu erwarten. "Wir müssen uns damit abfinden, dass die 1,5-Grad-Grenze überschritten werden wird. Damit ist das Pariser Rahmenabkommen in diesem Punkt faktisch gescheitert", hatte Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, gesagt. "Das bedeutet auch, dass es nur noch mit enormen Anstrengungen möglich sein wird, die Erwärmung unter der Zwei-Grad-Grenze zu halten." Aktuell sei man eher auf dem Weg in eine 3-Grad-Welt bis zum Ende des Jahrhunderts.

Der Klimawandeldienst Copernicus der Europäischen Union veröffentlicht regelmäßig Daten zur Temperatur an der Erdoberfläche, der Meereisdecke und Niederschlagsdaten. Die Erkenntnisse beruhen auf computergenerierten Analysen, in die Milliarden von Messungen von Satelliten, Schiffen, Flugzeugen und Wetterstationen auf der ganzen Welt einfließen.

Quelle: ntv.de, als/dpa

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