Sorge vor Ausbreitung Polio-Viren in Londoner Abwasser entdeckt
24.06.2022, 13:24 Uhr
Die britische Gesundheitsbehörde UKHSA hat Polioviren in Proben aus einer Kläranlage gefunden, die eine Bevölkerung von vier Millionen Menschen im Norden und Osten Londons versorgt.
(Foto: imago images/Panthermedia)
In Großbritannien wie auch im Rest Europas ist die Kinderlähmung seit Jahrzehnten offiziell ausgerottet. Nun machen die britischen Gesundheitsbehörden jedoch eine besorgniserregende Entdeckung: Im Abwasser Londons tummeln sich Polio-Viren. Grund zur Panik gibt es aber nicht.
Das Poliovirus, das Kinderlähmung auslöst, wurde in London in einer besorgniserregenden Anzahl von Abwasserproben nachgewiesen. An den erhöhten Werten ist laut den britischen Gesundheitsbehörden wahrscheinlich ein Lebendimpfstoff schuld. Denn die Krankheit gilt im Vereinten Königreich seit 2003 als ausgerottet, der letzte Fall trat 1984 auf. Ein Risiko für die Bevölkerung bestünde aufgrund der beunruhigenden Funde zwar nicht. Eltern sollten allerdings sicherstellen, dass ihre Kinder vollständig gegen Polio geimpft sind.
Die UK Health Security Agency (UKHSA) geht davon aus, dass das Virus von jemandem nach London importiert wurde, der kürzlich im Ausland mit einer lebenden Form des Poliovirus geimpft wurde. In Großbritannien wird diese Art der Impfung seit 2004 nicht mehr eingesetzt. Bis heute werden aber alle Kinder routinemäßig mit einem inaktivierten Impfstoff gegen die Krankheit immunisiert. Die Impfraten sind in London niedriger als anderswo im Land. So haben landesweit 92 Prozent der Kinder die für eine vollständige Immunisierung benötigten drei Impfungen erhalten, in London sind es 86 Prozent.
Laut den britischen Gesundheitsbehörden ist es nicht außergewöhnlich, dass im Abwasser vereinzelt Polioviren gefunden werden. Diesmal seien die Erreger aber über vier Monate lang und in vielen verschiedenen Wasserproben aus dem Norden und dem Osten von London nachgewiesen worden. Deshalb vermuten die Behörden, dass das Virus zwischen Personen verbreitet wurde.
"Der größte Teil der britischen Bevölkerung ist durch die Impfung im Kindesalter geschützt, aber in einigen Gemeinden mit geringer Durchimpfung können einzelne Personen weiterhin gefährdet sein", sagt Vanessa Saliba, beratende Epidemiologin bei der UKHSA. Trotzdem haben die Behörden einen nationalen Zwischenfall ausgerufen und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über die Situation informiert.
Infektionsrisiko durch Lebendimpfstoff
Für den deutschen Markt sind unterschiedliche Polioimpfstoffe mit abweichenden Impfstoffschemata zugelassen. Als Polio-Impfstoff für die Routine-Impfung werden in Deutschland gemäß STIKO nur noch IPV (Inaktivierte -Polio-Vakzine) empfohlen. Die Grundimmunisierung beginnt entsprechend dem STIKO-Impfkalender im Alter von zwei Monaten. Zwischen der letzten und vorletzten Impfstoffdosis im Rahmen der Grundimmunisierung sollte der Mindestabstand von sechs Monaten nicht unterschritten werden. Im Alter von 9 bis 16 Jahren wird eine Auffrischimpfung mit einem IPV-haltigen Impfstoff empfohlen.
Die früher übliche Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten Lebendviren wird seit 1998 von der STIKO nicht mehr empfohlen. Denn eine mittels Schluckimpfstoff geimpfte Person kann Spuren des Virus aus ihrem Darm ausscheiden, wie es womöglich in Großbritannien geschehen ist. In seltenen Fällen könne diese Form des Virus dann auf andere übertragen werden und zu der sogenannten "impfstoffbedingten" Polio mutieren, erklärt die BBC. Diese sei zwar schwächer als die ursprüngliche oder "wilde" Form der Krankheit, kann aber bei ungeimpften Personen immer noch schwere Krankheiten bis hin zu Lähmungen hervorrufen.
Die Polio, oder auch Poliomyelitis, ist eine hochansteckende Infektionskrankheit, die hauptsächlich Kinder unter fünf Jahren befällt, informiert endpolio.org. Das Virus wird durch persönlichen Kontakt übertragen und findet sich am häufigsten in kontaminiertem Wasser. Der Erreger befällt das Zentralnervensystem und führt zu Lähmungen und manchmal zum Tod. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt daher für alle Säuglinge und Kleinkinder eine Grundimmunisierung gegen Polio mit einem 6-fach-Impfstoff.
Quelle: ntv.de, hny