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Vorbeugen statt reagieren Sind Wellenbrecher-Lockdowns die Lösung?

Ein kurzer, aber strenger Lockdown könnte eine Überlastung des deutschen Gesundheitssystems verhindern - sicher ist das aber nicht.

Ein kurzer, aber strenger Lockdown könnte eine Überlastung des deutschen Gesundheitssystems verhindern - sicher ist das aber nicht.

(Foto: imago images/Ralph Peters)

Als Gegenmaßnahme gegen die rapide steigende Zahl der Neuinfektionen in Deutschland sind kurze, aber harte Lockdowns im Gespräch, die ein längerfristiges Herunterfahren gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Aktivitäten verhindern sollen. Es muss schnell entschieden werden, für lange Diskussionen fehlt die Zeit.

Die Zahl der Neuinfektionen steigt in Deutschland weiter steil an, zuletzt im 7-Tage-Schnitt rund 10.600 Fälle. Schon jetzt sind zahlreiche Gesundheitsämter nicht mehr in der Lage, alle Ansteckungen nachzuverfolgen, die Intensivstationen füllen sich immer schneller mit Covid-19-Patienten, und auch die Zahl der täglichen Todesfälle steigt seit Ende September stetig an. Um einen drohenden Kontrollverlust und als Folge einen langen Shutdown zu verhindern, wird jetzt über einen sogenannten Circuit-Breaker, einen Wellenbrecher-Lockdown, diskutiert.

Grundsätzlich ist ein Wellenbrecher-Lockdown nichts anderes als ein zeitlich eng befristeter und vorab geplanter Lockdown. Man setzt also einen Termin, zu dem vorher festgelegte gesellschaftliche und wirtschaftliche Aktivitäten für einen bestimmten Zeitraum heruntergefahren werden. Das kann landesweit oder regional geschehen. Dabei werden grundsätzlich sehr strikte und harte Maßnahmen ergriffen, um eine schnelle und starke Wirkung zu erzielen.

Andere Länder machen es vor

Das Konzept des Circuit-Breaker ist nicht neu und wird in einigen europäischen Ländern bereits praktiziert beziehungsweise geplant. Wales beispielsweise kündigte bereits am 19. Oktober einen 14-tägigen Lockdown an, der vier Tage später startete. Ziel ist es, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Während dieser Zeit müssen die Einwohner zu Hause bleiben und - soweit möglich - auch von dort arbeiten. Bars, Restaurants, Hotels und die meisten Geschäfte müssen schließen, Veranstaltungen dürfen grundsätzlich nicht stattfinden.

Ähnlich reagierte Tschechien, das hofft, bis zum 3. November die mit großer Gewalt über das Land gekommene zweite Welle so stark zu brechen, dass die Behörden die Kontrolle zurückgewinnen. Auch Nordirland befindet sich in einem 14-tägigen Lockdown, die Republik Irland hat am 21. Oktober öffentliche und private Aktivitäten sogar für sechs Wochen heruntergefahren.

Deutschland ist noch nicht in der Situation dieser Länder. Irland hat eine 7-Tage-Inzidenz von 146, Tschechien sogar von 790 Fällen. In der Bundesrepublik gab es in den vergangenen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner rund 86 Neuinfektionen. Aber wenn die Entwicklung so weitergeht wie zuletzt, ist es nur eine Frage von Wochen, möglicherweise nur Tagen, bis Deutschland ähnlich hohe Werte erreicht.

Die Zeit wird knapp

Wie schnell das gehen kann, zeigt der Corona-Simulator der Universität des Saarlandes. Demnach könnte sich die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland bis zum kommenden Dienstag bereits verdoppelt, die Zahl der intensiv behandelten Covid-19-Patienten von 1233 auf fast 2000 erhöht haben.

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung schätzt, dass die Kapazitätsgrenze der Intensivstationen in 28 Tagen erreicht werden könnte. Das würde bedeuten, dass die Zeit, noch rechtzeitig zu reagieren, extrem knapp geworden ist. In sieben Tagen müssten demnach Maßnahmen ergriffen werden, da diese erst nach drei Wochen ihre Wirkung zeigen.

Das bedeutet, dass man nicht abwarten kann, wie gut die Circuit-Breaker in Wales, Tschechien oder Nordirland gewirkt haben. Die Politik muss also auf Basis bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnisse entscheiden. Dass Wellenbrecher funktionieren, zeigt eine kürzlich veröffentlichte britische Studie, die auf Basis von bisherigen Daten im Vereinigten Königreich erstellt wurde.

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Circuit-Breaker keine langfristigen Lösungen darstellen, aber kurzfristig ein hochwirksames Instrument sein können, um das Infektionsgeschehen auf ein so niedriges Niveau zurückzuführen, dass es sich wieder kontrollieren lässt. Unter Umständen geht es auch nur darum, Zeit zu gewinnen, bis beispielsweise Schnelltests in ausreichenden Mengen verfügbar sind.

Bevölkerung und Gerichte müssen zustimmen

Je härter die Maßnahmen, desto stärker die Wirkung, so die Studie. Die britischen Wissenschaftler weisen aber auch darauf hin, dass der Erfolg auch bei Wellenbrecher-Lockdowns von der Zustimmung der Bevölkerung abhängt. Dafür müsse sie überzeugt sein, dass die Maßnahmen so gestaltet sind, dass die damit verbundenen gesellschaftlichen Schäden und wirtschaftlichen Verluste minimiert werden.

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Harte, auf zwei oder drei Wochen beschränkte Maßnahmen sind möglicherweise leichter vermittelbar als mehrere Monate mit immer neuen Regeln und Beschränkungen, deren Sinn sich der Bevölkerung nicht immer erschließt. Beste Beispiele dafür sind das Beherbergungsverbot oder die Maskenpflicht in einigen Straßen und auf Plätzen in Berlin. Ebenso könnten Kultur und Gastronomie letztendlich besser wegkommen, wenn sie kurz ganz schließen müssen, dafür aber danach ohne Sperrstunden und mit mehr Publikum wiedereröffnen dürften.

Andererseits gilt es auch rechtliche Bedenken auszuräumen, da es sich um tiefe Grundrechtseinschnitte mit teilweise desaströsen Folgen für Betroffene handelt, die wohlbegründet sein müssen. Aus diesem Grund wurde schließlich auch das Beherbergungsverbot größtenteils von Gerichten kassiert. Es könnte sein, dass kurze, aber harte Maßnahmen mit der Verfassung eher vereinbar sind als mildere, aber dafür langfristige Einschnitte. Ähnliches gilt für die Wirtschaft: Ein harter Circuit-Breaker ist möglicherweise weniger schädlich als am langen Arm zu verhungern.

Quelle: ntv.de

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