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Plötzlich schwanger Babyboom durch Ozempic?

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Wegovy und Ozempic sind ursprünglich Diabetes-Medikamente.

Wegovy und Ozempic sind ursprünglich Diabetes-Medikamente.

(Foto: REUTERS)

Abnehmspritzen wie Wegovy werden weltweit als Wundermittel gehypt. Jetzt häufen sich Berichte von Frauen, die während der Einnahme von solchen Medikamenten zur Adipositas-Behandlung ungewollt schwanger geworden sind. Wie ist das möglich?

Sicher und einfach abnehmen per Spritze: Für übergewichtige Menschen ist das die große Hoffnung. Das Medikament Semaglutid ist auch bekannt als Ozempic oder Wegovy - berühmt geworden und gehypt als Abnehmspritze der Stars.

Eigentlich handelt es sich bei beiden Mitteln um fast identische Diabetes-Medikamente. Sie enthalten den denselben Wirkstoff. Wegovy aber ist viel höher dosiert und von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA als Abnehmpräparat zugelassen.

Der schnelle Gewichtsverlust - eigentlich ein Nebeneffekt - hat das Medikament so begehrt gemacht, dass es zwischenzeitlich Lieferengpässe gab. Viele Diabetes-Patienten, die das Mittel per Rezept benötigen, sind kaum an Dosen herangekommen. In ganz Europa und den USA sind sogar gefälschte Ozempic-Chargen im Umlauf, auch in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation hat gerade erst eine weltweite Warnung dazu herausgegeben.

Register für Ozempic-Schwangerschaften

Jetzt macht das Mittel neue Schlagzeilen. In sozialen Medien gibt es etliche Berichte, wonach Frauen während der Therapie mit Ozempic ungewollt schwanger geworden sind. Eine US-Amerikanerin berichtet etwa bei Tiktok, dass sie das Medikament dann sofort abgesetzt habe. Dem Baby gehe es gut. Auch die Washington Post hat über diesen Fall berichtet und schreibt, die Frau habe Ozempic vor dem positiven Schwangerschaftstest erst drei Wochen lang eingenommen.

Bisher gebe es noch keine genauen Zahlen, wie viele ungewollte Schwangerschaften es während der Einnahme gegeben hat, heißt es im Artikel. Nur Erlebnisberichte, unter anderem in Facebook-Gruppen. Mittlerweile taucht das Thema auch häufig in deutschen Internetforen auf.

"In Amerika hat die Betreiberfirma, Nova Nordisk, ein Register eingerichtet, wo die unter der Einnahme dieses Medikamentes schwanger gewordenen Frauen sich melden können", sagt Dr. Helge Jens, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie an der Domhof-Klinik Aachen und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". In Deutschland allerdings sei das Phänomen bislang nicht sehr verbreitet: "Hierzulande ist das noch kein Riesenthema".

Übergewichtige weniger fruchtbar

Es ist wenig bekannt darüber, wie sich Ozempic und andere Diabetes- oder Abnehmmittel auf Frauen auswirken, die schwanger werden möchten oder während der Einnahme schwanger werden. Das liegt daran, dass sie von den frühen klinischen Studien mit dem Arzneimittel ausgeschlossen wurden.

Trotzdem lässt sich ein Zusammenhang erklären: "Das Fettgewebe bildet Hormone, die eine Schwangerschaft erschwert zulassen", erklärt Jens. Die Mittel reduzierten diese Hormonbildung. Durch das Abnehmen und die Reduzierung des Body-Mass-Index werde man leichter schwanger, so der Experte.

Frauen mit Adipositas litten zudem häufig am polyzystischen Ovarialsyndrom, einer Hormonstörung, von der in Deutschland fünf bis zehn Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter betroffen sind - übergewichtige Frauen mehr als normal gewichtige. Sie haben keine regelmäßigen Eisprünge und werden schwerer schwanger.

Frauen mit Adipositas können jahrelang keinen Eisprung gehabt haben. Wenn sie abnehmen, kann sich der Zyklus wieder regulieren - der Eisprung setzt plötzlich wieder ein. Schon eine Gewichtsabnahme von fünf bis zehn Prozent hat einen Effekt.

Semaglutid beeinträchtigt Verhütung

Noch ein möglicher Grund für die Überraschungs-Schwangerschaften: Die Abnehmmedikamente können die Wirkung von Verhütungsmitteln verschlechtern, zumindest indirekt. Der Hersteller geht zwar nicht davon aus, dass die Antibabypille schlechter wirkt durch Semaglutid. Aber das Medikament wirkt so, dass der Magen langsamer entleert wird. Genau das kann die Aufnahme der Pille beeinträchtigen. "Das ist natürlich ein gewünschter Effekt beim Abnehmen, aber das kann theoretisch die Absorption der Pille beeinflussen", erklärt Jens im Podcast.

Wer nicht mit einer Schwangerschaft überrascht werden will, sollte während der Anwendung statt der Antibabypille eine zusätzliche Verhütungsmethode nutzen.

Die größte Sorge von Frauen, die trotz Semaglutid schwanger werden, ist, ob das Medikament ein Risiko für den Fötus ist. Entsprechende Studien gibt es nicht, schreibt Novo Nordisk. "Schwangerschaft oder die Absicht, schwanger zu werden, waren Ausschlusskriterien in unseren Studien mit Semaglutid sowohl bei Fettleibigkeit als auch bei Typ-2-Diabetes", zitiert die Washington Post den Hersteller.

Es wurden bisher Studien an Tieren durchgeführt: Tests mit Ratten zeigen, dass der Fötus schlechter mit Nährstoffen versorgt wird - das Semaglutid wirkt toxisch. Es kann auch zu Missbildungen kommen. In Studien mit Kaninchen und Affen wurden Anomalien und Fehlgeburten beobachtet.

Ozempic rechtzeitig absetzen

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Zwar existieren Berichte von Frauen, die trotz der Einnahme von Semaglutid gesunde Babys zur Welt gebracht haben. Der Hersteller empfiehlt aber, das Abnehmmittel sofort abzusetzen, wenn man schwanger wird. Und erst gar nicht einzunehmen, wenn man einen Kinderwunsch hat. "Wenn Sie schwanger werden wollen, sollten Sie mindestens zwei Monate vorher auf diese Abnehmmedikamente verzichten, weil sie einen ungeklärten Einfluss auf die Bildung von neuem Leben haben können", erläutert Jens. Frauen sollten möglichst alle Medikamente vor und während der Schwangerschaft absetzen.

Auch in der Stillzeit sollte das Medikament möglichst nicht eingenommen werden. Denn der Wirkstoff kann in die Muttermilch gelangen, wurde bei den Experimenten mit Tieren herausgefunden. Ein Risiko für das gestillte Kind kann also nicht ausgeschlossen werden.

Für Frauen mit Kinderwunsch können Abnehmtherapien, beispielsweise mit Semaglutid, eine Hoffnung sein. Wenn sie Gewicht verlieren, wird es wahrscheinlicher, dass sich dieser Wunsch auch erfüllt.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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