Ausbreitung führt zu KonfliktenWölfe in Deutschland: Von der streng geschützten zur bejagten Art?
Von Laura Stresing
Die Zahl der Wolfsterritorien stagniert seit Jahren des Anstiegs wieder. Das Kabinett beschließt trotzdem neue Regeln, die den Abschuss erleichtern sollen. Ein Blick in die Daten erklärt, warum Konflikte zwischen Mensch und Raubtier zunehmen.
Seit 1990 steht der Wolf in Deutschland unter Artenschutz. Anfangs erholen sich die Bestände nur sehr langsam. Doch die Wiederansiedlung gelingt - vielleicht sogar besser als erhofft. Denn in den vergangenen Jahren hat die Zahl der Rudel so stark zugenommen, dass die Bundesregierung den Weg nun frei macht für die Jagd. Mitte Dezember hat das Kabinett eine Gesetzesänderung beschlossen, durch die sogenannte "Problemwölfe" künftig leichter zum Abschuss freigegeben werden können.
Ein Blick in die Daten der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) erklärt, warum die Ausbreitung der Wildtiere immer öfter Ärger und Besorgnis auslöst. Demnach wurden im letzten Monitoringjahr 2024/2025 mehr als 270 Wolfsterritorien gezählt. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es noch 72 Territorien, fünf Jahre davor gerade einmal 20.
Da sich die Zahl für das letzte Monitoringjahr durch spätere Erkenntnisse noch rückwirkend erhöhen kann, geht die DBBW erstmals seit dem Jahr 2000 von einer Stagnation des Bestandes aus. Die Angaben aus den Bundesländern für das laufende Monitoringjahr 2025/2026 sind noch unvollständig und haben keine Aussagekraft. Ein Monitoringjahr orientiert sich an der Wurfzeit der Welpen und beginnt jeweils am 1. Mai und endet am 30. April des Folgejahres. Die in diesem Zeitraum gesammelten Daten werden jeweils im Herbst veröffentlicht.
Der Schwerpunkt der Verbreitungsgebiete des Wolfs liegt den Daten zufolge weiterhin in Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Zwar entstehen auch in den übrigen Bundesländern zunehmend neue Territorien, die Rudel bleiben jedoch vergleichsweise verstreut.
In jedem Territorium können Einzeltiere, Paare oder ganze Rudel inklusive Nachwuchs Zuhause sein. Die DBBW beziffert die Gesamtzahl der erfassten Tiere im Herbst 2025 auf mindestens 1636 für den zurückliegenden Beobachtungszeitraum; im Jahr 2024 waren es 1601 Individuen. Dabei handelt es sich jedoch jeweils um konservative Schätzungen. Viele Wölfe, die außerhalb der bekannten Territorien umherstreifen, tauchen in der amtlichen Statistik wahrscheinlich gar nicht auf.
Rudeldichte steigt - Sichtungen nehmen zu
Vor allem im Norden und Osten Deutschlands steigt die Rudeldichte nachweislich. Begegnungen zwischen Mensch und Raubtier bleiben da nicht aus. Erst kürzlich sorgte ein Video aus Bayern für Aufsehen, in dem man zwei Wölfe durch ein Wohngebiet streifen sieht. Aufgenommen wurde es in Mendorf im Landkreis Eichstätt, durch das Fenster eines Anwohners. Im Hintergrund sieht man einen Kinderspielplatz.
In den Sozialen Medien wurde das Video vielfach geteilt und kommentiert - mitunter auch besorgt. Experten der zuständigen Behörden stufen den Vorfall jedoch als unbedenklich ein. Es handle sich um zwei Jungtiere aus dem Köschinger Forst, teilte eine Sprecherin des Landesamts für Umwelt (LfU) in Augsburg mit. Das Gebiet war erst vor kurzem von den Lokalbehörden erneut als Wolfsterritorium ausgewiesen worden, in der Karte des DBBW war es zuletzt im Monitoringjahr 2023/2024 markiert.
Das Verhalten der im Altmühltal gefilmten Tiere sei nicht ungewöhnlich, hieß es aus Bayern. Wölfe seien zwar grundsätzlich vorsichtig und mieden Menschen, sagte die LfU-Sprecherin. "In dicht besiedelten Kulturlandschaften wie Deutschland kommt es dennoch vereinzelt vor, dass Wölfe an Dörfern vorbeilaufen oder Streusiedlungen durchqueren." Meistens geschehe dies nachts im Dunklen, manchmal aber auch tagsüber.
Die Gefahr für Menschen sei gering, versichern Fachleute. Tatsächlich wurde seit der Rückkehr der Art nach Deutschland noch nie ein Mensch durch einen Wolf verletzt, heißt es beim Bundesamt für Naturschutz (BfN). Allerdings können Weidetiere ohne Präventionsmaßnahmen zur leichten Beute werden. Vor allem Schafe und Ziegen sind gefährdet.
Zwar können die Halter nach einem Wolfsriss auf einen Schadensausgleich hoffen. Doch die Feststellungsverfahren sind in den Bundesländern nicht einheitlich geregelt und oft mit viel Bürokratie verbunden. In ausgewiesenen Wolfsgebieten sind Entschädigungen zudem meist an bestimmte Mindeststandards beim Herdenschutz gebunden, zum Beispiel an eine angemessene Umzäunung.
Prävention ist teurer als Entschädigung
Vorkehrungen, die Wölfe wirksam abhalten, können allerdings sehr teuer werden. "Die Finanzierung von Herdenschutzmaßnahmen kann ein Vielfaches dessen kosten, was für einen reinen Schadensausgleich aufzuwenden wäre", heißt es dazu auch auf der Webseite der DBBW. Um die Akzeptanz des Wolfes zu erhöhen und den Betroffenen im ländlichen Raum die Koexistenz mit ihnen zu erleichtern, trägt der Staat die Kosten mit. Im Jahr 2024 waren die Ausgaben für die Prävention von wolfsbedingten Nutztierschäden mit 23,4 Millionen Euro erneut deutlich höher als die Ausgleichszahlungen, die zuletzt nur mit gut 780.000 Euro zu Buche schlugen.
"Die meisten Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere gibt es vor allem dort, wo Wölfe sich in neuen Territorien etablieren und die Schaf- und Ziegenhalter sich noch nicht auf deren Anwesenheit eingestellt haben", erklärt die Dokumentations- und Beratungsstelle zum Thema Wolf. Für gewöhnlich gehen die Schäden in diesen Gebieten nach ein, zwei Jahren zurück, wenn sich die Tierhalter auf die Präsenz der Raubtiere eingestellt haben. Laut der offiziellen Schadensstatistik des Bundes haben Wölfe im vergangenen Jahr rund 4300 Tiere getötet oder verletzt. Im Jahr 2023 waren es mehr als 5500. Ein genereller, bundesweiter Trend lasse sich aus den Zahlen jedoch nicht ableiten, mahnen die Experten.
Nur wenige Wölfe werden gezielt abgeschossen
Kommt es in einem ausgewiesenen Wolfsgebiet zu wiederholten Übergriffen, können die zuständigen Behörden eine sogenannte Ausnahmegenehmigung zur "Entnahme" prüfen. Das heißt: Der Wolf wird zum Abschuss freigegeben. Auch verletzte oder verhaltensauffällige Tiere dürfen mit einer entsprechenden Erlaubnis der Behörde abgeschossen werden.
Die gesetzlichen Hürden dafür gelten als sehr hoch. In der Praxis werden Wölfe tatsächlich nur sehr selten gezielt getötet, zeigt die DBBW-Statistik. Demnach lag die Zahl der Totfunde, die auf Maßnahmen zum Bestandsmanagement zurückzuführen sind, in den vergangenen Jahren stets im niedrigen einstelligen Bereich. Illegale Tötungen sind häufiger, aber nicht extrem verbreitet. Von den 135 im laufenden Monitoringjahr untersuchten Wolfskadavern geht man in neun Fällen von einer Straftat aus. Wie auch schon in den Vorjahren fallen weitaus mehr Tiere dem Straßenverkehr zum Opfer, allein 98 überfahrene Wölfe wurden seit diesem Frühjahr gezählt.
Mit der Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht könnte sich das Gewicht ab dem nächsten Jahr deutlich verschieben - vorausgesetzt, Bundestag und Bundesrat stimmen dem Kabinettsentwurf zu. Die Bundesregierung rechnet vor, was die neuen Regeln bewirken würden: Demnach könnten etwa 150 bis 300 Wölfe pro Jahr erlegt werden, ohne dass der Arterhalt gefährdet wäre. Davon könnte es in 20 bis 50 Fällen um sogenannte "Problemwölfe" gehen, die zum Schutz von Nutztieren oder zur Gefahrenabwehr gezielt getötet werden. Bei diesen Zahlen handelt es sich jedoch lediglich um Schätzungen. Wie viele Wölfe tatsächlich abgeschossen werden, entscheiden weiterhin die Landesbehörden - mit einem genauen Blick auf den Bestand.