Zapp Maier - die WM-TV-Kolumne Sympathie ist, wenn uns keiner wehtut
22.06.2014, 15:32 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Kennen Sie das? Sie sitzen auf dem Sofa, gucken irgendein WM-Spiel, das Sie erst gar nicht interessiert, und plötzlich fiebern Sie für die eine Mannschaft, ohne recht zu wissen, weshalb? Die Erklärung ist gar nicht so schwer, denn Sympathie hängt beim Fußball immer an zwei Fragen: "Können die uns gefährlich werden?" Und: "Dürfen mir die schon leidtun?"
Eine faktorengeleitete Theorie der Sympathie.
Faktor 1: Das Bedrohungspotential (Sympathie-Logik: je größer, desto kleiner)
Je gefährlicher ein Gegner den Erfolgsaussichten der eigenen Mannschaft wird, desto weniger sympathisch ist er einem. Das ist ein normaler Reflex und kein großes Problem, steckt in dieser Antipathie doch implizit die größte Wertschätzung, die man einer Mannschaft entgegenbringen kann.
Idealtyp 1: England (sympathischer geht’s nicht)
Egal, unter welchem Trainer die Briten ihre Kicker ins Rennen schicken, sie sind seit Jahren nicht konkurrenzfähig. Auch dieses Jahr wollten das Anspruchsdenken im "Fußball-Mutterland" und die WM-Tristesse des Teams um Trainer Roy Hodgson wieder partout nicht zusammenpassen. Die Wahrscheinlichkeit, von England bei einem großen Turnier bezwungen zu werden, entspricht in etwa der, in der Themse von einem weißen Hai zerfetzt zu werden. Leichte Punktabzüge deshalb höchstens wegen des Fremdschäm-Faktors.
Typverwandt: Kamerun, Iran
Idealtyp 2: Italien (unsympathischer geht’s nicht)
Andrea Pirlo und Mario Balotelli kommen wahrscheinlich noch beim Torschuss auf einen niedrigeren Puls als Mario Götze und Mesut Özil - nach dem Schlusspfiff im Entspannungsbecken. Wenn die Italiener nicht, wie 2010, gerade zufällig keine Lust haben auf Fußball, führt der Weg zu jedem Titel nur über sie. Dafür muss man sie bewundern, auch ein wenig verehren, aber nicht lieben.
Typverwandt: Holland
Normative Einschränkung für Idealtyp 2
Als die kalten und klugen Italiener die deutsche Mannschaft 2006 in der Verlängerung des Halfinalspiels verdientermaßen platt gemacht hatten, wurde aus frotzelnder Antipathie bei vielen Deutschen blanker Hass. Wer nachts aber von Fußball träumt und nicht von Schützengräben, formiert sich in solchen Situationen zu einem "Korrektiv-Faktor des Anstands" - und kaufte sich 2006 fürs Finale noch flott ein Luca Toni-Trikot.
Faktor 2: Mitleid (Sympathie-Logik: je größer, desto größer)
Ein guter Mensch unterstützt denjenigen, dem das Schicksal übel mitspielt. Natürlich lässt sich Mitgefühl nicht gegen Punkte eintauschen und natürlich beginnt kein Sportler seine Karriere, um am Ende möglichst viele Stunden seines Lebens bemitleidet worden zu sein. Menschlich gesehen ist Schwäche trotzdem sympathisch.
Idealtyp 1: Australien (die Sympathischen)
Die Australier rennen, bis der Schiri pfeift, und das bei Regen, Tropensonne oder Schneesturm. Sie halten ihre Köpfe in jeden Gewaltschuss und, wenn es sein muss, auch mal direkt in die gegnerischen Stollen. Am Ende werden sie dafür, wie auch in diesem Jahr wieder, viel zu selten mit Punkten belohnt. Vor acht Jahren mussten sie sich dazu auch noch den Achtelfinal-Sieg gegen Italien in der letzten Sekunde wegpfeifen lassen. Trotzdem bleiben die Aussie-Fans fast immer entspannt und gut gelaunt und schreien sich die Seele aus dem Leib. Nur Massenmörder und Eisschränke können deshalb kein Herz haben für die Männer aus Down Under.
Typverwandt: Elfenbeinküste, Kroatien, Südkorea
Idealtyp 2: Steven Gerrard (der Obersympathische)
Der Kapitän der Briten scheiterte in diesem Jahr ja schon mit seinem FC Liverpool spektakulär - auf der Zielgeraden zum ersten Premier-League-Titel seit 20 Jahren. Als er jetzt im zweiten Gruppenspiel der Engländer auch noch den Abschlag von Uruguays Torhüter mit dem Hinterkopf auf Luis Suarez verlängerte und so unfreiwillig die Torvorlage zum Siegtreffer der Südamerikaner lieferte, da wollte man ihn nur noch in den Arm nehmen, ihm liebevoll über die Stoppelhaare streicheln und ins Ohr flüstern: Es ist gut, bald ist es vorbei. Du bist alt, in vier Jahren wird ein anderer seinen Kopf in die Guillotine (in England auch einfach "Presse" genannt) stecken müssen.
Typverwandt: Iker Casillas, gefolgt von Iker Casillas und Iker Casillas
Idealtyp 3: Unsympathischer geht’s nicht (siehe oben)
Fallbeispiel: Die Deutschen, die Spanier und die Sympathie
In der Vor-2008-Ära war Spanien eine Art Cristiano Ronaldo im Elfer-Pack: Hübsch anzugucken, aber für den Verlauf einer EM- oder WM-Endrunde in der Regel völlig bedeutungslos. Sie spielten schönen Fußball, waren aber chronisch unerfolgreich. Sprich: Sie taten uns leid und sie taten uns nicht weh. Deshalb waren sie uns wahnsinnig sympathisch.
Dann kam das EM-Finale 2008, es kam das Torres-Tor und vor allem kam Tiki-Taka. Da fanden die meisten von uns "La Furia Roja" schon gar nicht mehr sooo niedlich. In der sich anschließenden "Deutschland läuft Spanien sechs Jahre lang nur hinterher"-Zeit wandelte sich dann altväterlicher Großmut rasch in Neid und Missgunst. Der schöne, spanische Fußball bedrohte den verdienten, deutschen Erfolg. Schnell wurde das spanische Spielsystem, ausgelegt auf Kurzpassspiel, Ballbesitz und totale Spielkontrolle umgedeutet, Begriffe wie "starr", "langweilig" und "Betonsystem" machten die Runde.
So nachhaltig war das Trauma des deutschen Fußball-Fans, das sich nach dem überraschenden Vorrunden-Aus Spaniens noch recht wenig Mitleid und Sympathie für den amtierenden Doppeleuropa- und Weltmeister einstellen wollen. Im Gegenteil, beim Public Viewing und auf Facebook wurde sogar Jahrhunderttorhüter Iker Casillas im Spiel gegen Holland in seinem schwächsten Moment, kniend und dem Ball hilflos hinterherkrabbelnd, verspottet. Sympathie-Faktoren wirken wohl ein wenig zeitversetzt.
Dabei sollten wir mit unserer großzügigen Rückbesinnung auf gönnende Güte und mitleidige Sympathie auch aus Selbstschutz noch ein wenig warten. Nicht, dass Thiago, Koke, Javi Martinez und Co. uns in vier Jahren wieder tröstend in den Arm nehmen müssen.
Quelle: ntv.de