Politik

"Reichsbürger" schwer einzuordnen Deutschland wird wieder rechtsextremer

Teilnehmer einer rechtsextremen Demonstration im Havelland.

Teilnehmer einer rechtsextremen Demonstration im Havelland.

(Foto: imago/IPON)

Bundesweit werden bei Razzien Räume von Rechtsextremen durchsucht. Ein "Reichsbürger" soll Terroranschläge in Deutschland geplant haben. Die Gewaltbereitschaft der rechten Szene nimmt zu.

Die rechtsextreme Szene in Deutschland wächst, gedeiht und wird deutlich komplexer. Nach blanken Zahlen ist der Kreis der Rechtsextremen im vergangenen Jahr auf mehr als 23.000 Personen angestiegen – ein deutlicher Zulauf nach dem historischen Tiefststand von 21.000 in 2014, wie aus Zahlen des Bundesamtes für Verfassungsschutz hervorgeht. Während die Szene früher recht trennscharf an NPD-Mitgliedschaft, Kurzhaarschnitt und Bomberjacke auszumachen war, ist die Lage inzwischen deutlich unübersichtlicher und für die Sicherheitsbehörden wesentlich schlechter fassbar geworden.

Am gefährlichsten ist dabei die Gruppe gewaltbereiter Rechtsextremer, die ihre Ansichten auch unter Inkaufnahme von Opfern durchsetzen würde. Ihre Zahl liegt inzwischen bei über 12.100 Personen – 2013 etwa waren es noch unter 10.000. Linear dazu stieg auch die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewaltverbrechen: 2011 zählten die Behörden 755 Gewalttaten, 2015 bereits über 1400. Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten insgesamt sprang von rund 16.500 im Jahr 2014 auf fast 22.000 in 2015.

Mit Fäusten, Waffen oder Brandsätzen treten jedoch längst nicht mehr nur Skinheads und NPD-Anhänger in Erscheinung. 2016 setzte sich der Trend fort, dass die Polizei bei Angriffen etwa auf Flüchtlinge zunehmend mit Tätern zu tun haben, die eigentlich nicht als Extremisten bekannt waren. Rund drei Viertel der Verdächtigen gehörten inzwischen zu dieser Gruppe, heißt es bei der Behörde.

23.000 sind der harte Kern

Wer sind die "Reichsbürger"?

"Zur 'Reichsbürgerbewegung' zählen uneinheitliche Gruppen und Einzelakteure, die sich selbst als 'Reichsbürger' bezeichnen. Unter den Anhängern dieser Strömung befinden sich Verschwörungstheoretiker ebenso wie Querulanten und Geschäftemacher, aber auch politisch Motivierte. Sie alle eint die Behauptung, das Deutsche Reich bestehe fort, sowie die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland." (Quelle: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz)

Das reale rechtsextreme Potenzial in Deutschland dürfte weitaus größer sein. Denn die Statistik erfasst nur Personen, die in den Kategorien des Verfassungsschutzes eindeutig als Extremisten gelten. Männer und Frauen, die Björn Höcke kürzlich bei seiner Rede in Dresden zugejubelt haben, bei Pegida mitlaufen oder im Internet rechte Hetze betreiben, werden in der Regel nicht als Extremisten erfasst. Insofern ist die Zahl von 23.000 durchaus als harter Kern einer weitaus größeren rechtsextremen Szene anzusehen.

Die klassische Heimstätte der Rechtsextremen, die NPD, verliert bei dieser Entwicklung jedoch zunehmend an Bedeutung. Die Zahl ihrer Mitglieder sank von rund 5500 im Jahr 2013 auf nur noch um die 5000 im vergangenen Jahr. Einzelne Landesverbände drohen, in der Bedeutungslosigkeit unterzugehen. Allein in Sachsen zählte die Partei 2006 noch über 1000 Mitglieder, aktuell sind es noch rund 450. Die Übermacht der AfD ringt den Nationalisten vielerorts die Bedeutung ab.

Außerdem muss die NPD weitere Wähler an braune Kleinparteien abgeben. "Die Rechte" etwa konnte die Zahl ihrer Mitglieder von etwa 500 im Jahr 2014 auf rund 700 im vergangenen Jahr steigern. Die in Hamburg gegründete Partei konnte dabei lokal kleinere Erfolge verbuchen. In Dortmund etwa zog nach der Kommunalwahl 2014 mit Siegfried Borchardt (Spitzname: "SS-Siggi") ein offen bekennender, mehrfach vorbestrafter gewalttätiger Neonazi und Antisemit in den Stadtrat ein. Auch die Partei "Der III. Weg" konnte mehr Mitglieder gewinnen.

Schwieriger ist die Einordnung bei der "Reichsbürger"-Bewegung. Rund 10.000 Personen, so der "Tagesspiegel" mit Verweis auf Sicherheitskreise, seien der Szene zuzurechnen. Allein in Bayern wird ihre Zahl auf rund 1700 geschätzt. Nicht abschließend klären lässt sich jedoch, inwieweit "Reichsbürger" als rechtsextrem eingestuft werden könnten. Extremistisch sind sie zumindest insofern, als dass sie die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik ablehnen.

Zumindest im aktuellen Fall der selbsternannten "Reichsbürger", die mutmaßlich Terroranschläge gegen Juden, Asylbewerber und Polizisten in Deutschland geplant haben sollen, ist der Übergang zum Rechtsterrorismus fließend. Im Zentrum der Ermittlungen steht ein "Reichsbürger" und Rechtsextremist, der Waffen und Munition für terroristische Anschläge beschafft haben soll.

Quelle: ntv.de, bdk

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