Unruhe in der City of London May forciert Umzugspläne der Banken
19.01.2017, 15:34 Uhr
Der privilegierte Zugang zum EU-Binnenmarkt - "Alles andere wird es nicht tun", warnt der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan.
(Foto: picture alliance / Hannah Mckay/)
Die britische Premierministerin May will den harten Brexit wagen. Nur noch ein Wink und London läuft das Geld davon. Lloyds, UBS, HSBC - die großen Finanzinstitute werden Tausende Arbeitsplätze auf den Kontinent verlegen.
Im historischen und wirtschaftlichen Zentrum der Londoner Metropole leben nur wenige tausend Einwohner, aber werktags pilgern Hunderttausende zu den gläsernen Bankentürmen, um mit Rohstoffen, Gold oder Öl zu handeln. Bleibt die britische Premierministerin Theresa May auf hartem Brexit-Kurs, wie sie angekündigt hat, dürfte es hier, im größten Finanzzentrum der Welt, bald ruhiger zugehen. Die Angestellten bangen nicht nur um den Status der City. Ihre Arbeitgeber werden bald entscheiden, ob sie umziehen müssen.
Viele internationale Banken wollen im Zuge des EU-Austritts einen Teil ihrer Londoner Niederlassungen auf den Kontinent verlegen, weil eine harte Scheidung von der EU - je nach Deal - bedeutet, dass Banken ihre Geschäfte künftig nicht mehr uneingeschränkt von der Insel weiterführen können. Hintergrund ist, dass Banken für Dienstleistungen in der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat brauchen.
Solange Großbritannien EU-Mitglied ist, können sie frei und grenzüberschreitend von der Insel aus agieren. Kappt London jedoch diese Leinen, wird sich das ändern. Banken werden ihr sogenanntes Passporting, ihre Handelslizenz, verlieren. Und die Finanzinstitute werden einen anderen Standort für ihre Geschäfte mit der EU wählen müssen - Frankfurt oder Paris kämen in Frage.
Auch Finanzinstitute müssen Unzüge planen. Es müssen Immobilien für den neuen Unternehmenssitz gefunden werden und Mitarbeiter müssen ausgewählt werden, die mitgehen sollen. Die Branche erwartet deshalb klare Ansagen von London, wie es weitergeht. Da Mays Strategie von Anfang an Fragen aufgeworfen hat, liegen viele Notfallpläne bereits seit Monaten fertig in den Schubladen. Nach ihrer Grundsatzrede zum EU-Austritt am Dienstag werden sie nun immer konkreter.
In den Startlöchern
Die Schweizer Großbank UBS plant demnach bis zu 1000 von 5000 Mitarbeitern auf den Kontinent zu versetzen, sollten sie ihre Pass-Rechte verlieren, wie Verwaltungsratschef Axel Weber CNN auf dem Forum in Davos ankündigte. Es gelte noch abzuwarten, was tatsächlich bei dem Brexit-Deal herauskomme, aber man müsse für alle Fälle planen. "Wir haben das größtenteils bereits gemacht", erklärte er der BBC. Europas größte Bank HSBC behält ihren Hauptsitz in London, will aber nach einem EU-Abschied Großbritanniens ebenfalls 1000 Mitarbeiter abziehen. 20 Prozent der Handelsumsätze sollen nach Paris gehen - ein schwerer Dämpfer für das Finanzzentrum Frankfurt.
Auch die US-Investment-Bank Goldman Sachs erwägt bis zu 1000 Arbeitsplätze zu verlagern, berichtet das "Handelsblatt" - in diesem Fall ist der Gewinner Frankfurt. Insgesamt plane die Bank eine Halbierung ihrer Mitarbeiterzahl in London auf 3000, heißt es nach unbestätigten Quellen.
Die US-Bank Citigroup will Hunderte Arbeitsplätze ins irische Dublin verlegen. Die deutsche Commerzbank ist schon etwas weiter. Sie hat ihr Investmentbanking in London bereits stark gekürzt. Selbst die Versicherer tragen sich mit Umzugsplänen, wenn sie ihre Lizenz für den europäischen Binnenmarkt verlieren. Inga Beale vom großen Versicherer Lloyds aus London sagte CNN: Ohne die Lizenz werden "wir nicht mehr in der Lage sein, EU-Bürger zu versichern". LLoyds werde deshalb eine Tochtergesellschaft in der EU gründen, um die elf Prozent der Geschäfte, die mit dem Kontinent abgeschlossen werden, zu retten.
Volles Risiko
Über Nacht ist ein Umzug nicht zu bewerkstelligen. Gut aufgestellt für den Ernstfall sind die Banken mit Niederlassungen auf dem Kontinent. Sie können es langsamer angehen. Institute, die keine Dependancen haben, müssen schneller Entscheidungen treffen. So lange die Verhandlungen mit der EU nicht abgeschlossen sind, gibt es zwar zumindest noch einen Funken Hoffnung. Dieser stützt sich vor allem darauf, dass sich London und Brüssel auf einen Kompromiss in Form eines Äquivalenz-Beschlusses einigen. Damit könnten die Institute professionelle Kunden bedienen und Geschäfte machen, ohne eine Niederlassung in der EU zu haben. Die Chancen dafür sind aber bestenfalls vage.
Sollte May nicht einschwenken und ihren Brexit-Plan während der kommenden harten Verhandlungen weichspülen, steht viel auf dem Spiel. Sadiq Khan, Bürgermeister von London, warnte diese Woche noch einmal vor den Risiken. "Der privilegierte Zugang zum Binnenmarkt muss für die Verhandlungen oberste Priorität haben", sagte er. "Alles andere wird es nicht tun."
Finanzdienstleistungen machen etwa zwölf Prozent der britischen Wirtschaft aus, die Industrie beschäftigt insgesamt 2,2 Millionen Menschen im ganzen Land - 400.000 allein die City of London. Sollte May diesen Geldhahn zudrehen, wird das der Rest der Wirtschaft zu spüren bekommen. "Die Steuereinnahmen und die Nachfrage nach Dienstleistungen wird stark sinken", sagte Jon Danielsson, Finanzprofessor an der London School of Economics, CNN.
Um keinen Zweifel an den britischen Ambitionen aufkommen zu lassen, zitierte May beim Wirtschaftstreffen in Davos - zwei Tage nach ihrer Grundsatzrede - den englischen Philosophen und geistigen Urvater des konservativen Denkens: "Ein Staat, der nicht die Möglichkeit hat, sich zu verändern, hat auch nicht die Fähigkeit, sich zu erhalten." Burke meinte allerdings nicht Veränderung per se, sondern nur unter der Maßgabe, dass etwas besser wird.
Quelle: ntv.de