Probefahrt mit dem McLaren MP4-12C Der Solitär unter den Sportwagen
15.02.2011, 09:59 Uhr
Misst sich mit Ferrari und Porsche: Der McLaren MP4-12C kann sich unter den Supersportlern hervorheben.
Der McLaren MP4-12C setzt auf klassische Leichtbau-Tugenden - und einen 600 PS starken V8-Biturbo. Wir nehmen Platz am Lenkrad.
Schon bevor der Startknopf gedrückt wird, steigt die Adrenalinausschüttung in extreme Höhen. Der Einstieg ist tief, die Sportsitze umschließen den Körper perfekt, und der Lenkradkranz hat genau die richtige Dicke und Durchmesser.
Erst in drei Monaten werden die ersten Exemplare ausgeliefert, doch schon jetzt hat McLaren ein paar Auserwählte hinter das Steuer des MP4-12C gelassen - auf dem gnadenlosen 4,7-Kilometer-Rennkurs mit seinen 17 Kurven im portugiesischen Portimao. Die Testbedingungen waren wechselnd und damit ideal. Trockene Piste, leicht feuchte Piste, gute und holprige lokale Straßen, Komfort- beziehungsweise Track-Setting - dem McLaren blieb nichts erspart.
McLaren ragt heraus
Am Abend kristallisierte sich heraus: Der MP4-12C ist ein echter Durchbruch. Bisher drehten sich die Diskussionen unter Autokennern vorwiegend darum, ob nun Porsche oder Ferrari unter längs- und querdynamischen Aspekten zu bevorzugen sei. Diese Diskussion kann weitergehen - doch nun ragt der britische Supersportwagen als Solitär über die beiden Dauerkonkurrenten hinaus.
Dabei ist der MP4-12C nicht unbedingt das schönste Auto seiner Klasse. Selbst Chefdesigner Frank Stephenson konzediert, dass bestimmte Blickwinkel problematisch sind. Auf der Suche nach Ähnlichkeiten dürfte das neue Modell dem legendären, von 1993 bis 1998 gebauten McLaren F1 am nächsten kommen.
Nacktes Chassis bei den Händlern
Brutal wirken die seitlichen Lufteinlässe - sie müssen mit atemberaubender Durchsatzrate Kühlluft aufsaugen. Die Heckansicht wiederum wird von einer Luftbremse dominiert, die sich bei hartem Bremsen senkrecht aufstellt und dabei kurzzeitig den Blick nach hinten blockiert. Wie auch immer man die Formgebung des McLaren beurteilt: Sobald das Fahrzeug auf die Rennstrecke losgelassen und durch die erste Kombination von Kuppen und Kurven gehetzt wird, wird es zu einer furiosen, mobilen Skulptur von absoluter Schönheit.

Mit einem Leergewicht von etwas mehr als 1300 Kilogramm ist der McLaren für die Kurvenhatz wie gemacht.
Schön ist auch, was sich unter der Außenhaut verbirgt - und deshalb steht bei so gut wie jedem der weltweit 35 Händler ein nacktes Chassis in der Verkaufshalle. Denn die potentielle Kundschaft soll einen ungehinderten Blick auf die 440 kW/600 PS starke Ricardo-McLaren M838T-Maschine, das von Graziano zugelieferte SSG-Doppelkupplungsgetriebe, die zwei 1,5-bar-MHI-Turbolader und die weit oben am Heck endende Auspuffanlage werfen können.
Individuell einstellbar
Die Fahrzeugeigenschaften lassen sich über mehrere Modi variieren. Der Bereich "H" für Handling erlaubt die Einstellung von Fahrwerk, Lenkung und Stabilitätskontrolle zwischen Normal, Sport und Track (Piste); der Bereich "P" steht für Powertrain, also den Antrieb, und modifiziert in den gleichen drei Stufen das Ansprechverhalten des Gaspedals, die Schaltstrategie und das Ansauggeräusch. Dazu gibt es einen Knopf "Aero", der den Heckflügel in einem permanenten 15-Grad-Winkel fixiert, und den "Manual"-Knopf, der die entsprechende Ansteuerung des Getriebes ermöglicht.
Für maximales Fahrerlebnis gehören beide Indikatoren auf "Track" und sowohl der "Aero"- als auch der "Manual"-Modus aktiviert. Derart vorkonditioniert ist das Fahrverhalten geradezu sensationell. Die möglichen Querbeschleunigungen sprengen den bereits sehr hohen Klassenstandard, und weder taucht die Front beim Bremsen ab noch hebt sie sich unter Vollgas an. Die Bodenhaftung der Pirelli P Zero-Bereifung (235/35 ZR 19 vorn, 305/30 ZR 20 hinten) bleibt perfekt.
Hauptchassis wiegt 75 Kilogramm
Die Schaltvorgänge des Doppelkupplungsgetriebes sind nicht nur extrem schnell, sondern erscheinen erstaunlich sanft - selbst im "Track"-Modus und bei rund 7.500/min (der Motor kann locker 1.000/min höher drehen). Der Automatik-Modus wiederum funktioniert auf öffentlichen Straßen hervorragend.
Trocken wiegt der McLaren nur 1.336 Kilogramm - ein Wert, der sich mit entsprechenden Optionen (Superleicht-Räder, Kohlefaser-Sitzschalen, Karbon-Keramik-Bremsen, Karbon-Splitter und -Diffusor sowie ein Spezialauspuff) nochmals auf 1.301 Kilogramm verringern lässt. Das Hauptchassis, gemeinsam mit dem österreichischen Zulieferer Carbo Tech entwickelt, wiegt nur 75 Kilogramm. Dach, vordere Kotflügel und Motorabdeckung sind aus Aluminium, genauso wie zahlreiche Chassis-Komponenten. Die Abmessungen sind fast identisch mit dem Ferrari 458 Italia - aber der Brite ist je nach Version 44 bis 79 Kilogramm leichter. Der extrem niedrige Schwerpunkt sorgt dafür, dass der McLaren sogar schon an das Fahrverhalten eines extremen Ariel Atom oder Lotus 2-Eleven heranreicht - bei aller Raffinesse, die in diesem Segment erwartet wird. Die Steifigkeit soll Ferrari und Porsche übertreffen.
Der 440 kW/600 PS starke 3,8-Liter-V8-Biturbo treibt den MP4-12C je nach Bereifung in 3,3 bzw. 3,1 Sekunden von 0 auf 100 km/h; unter nicht ganz idealen Bedingungen und mit Standardreifen konnten wir 3,5 Sekunden messen. Der Sprint von 0 auf 200 km/h dauert 8,9 Sekunden - und erreicht damit fast Bugatti-Niveau. Die Spitze ist mit 330 km/h angegeben, wobei auf dem Hochgeschwindigkeitskurs von Nardo bereits 338 km/h erreicht wurden. Dabei ist der Motor nicht unbedingt so klangvoll, wie man es beispielsweise von einem Ferrari erwarten würde. Hier sorgt der Sportauspuff allerdings für Abhilfe. Und in der Stellung Powertrain-Track bringt ein Resonanzrohr mehr Klang ins Interieur.
Quelle: ntv.de, sp-x