Auto

55 Jahre Seat Kleinwagen Ein Land wird mobil

Der Seat 600 war in Wirklichkeit ein Fiat.

Der Seat 600 war in Wirklichkeit ein Fiat.

(Foto: autodrom Archiv/sp-x)

Zu Beginn soll Seat nur Spanien mobil machen, was mit adaptierten Kleinwagen von Fiat gelingt. Als die Italiener ihre spanische Tochter nicht mehr mögen, gerät die Marke ins Trudeln – VW greift zu.

Es waren die Kleinwagen, die Seat groß werden ließen. Mit preiswerten und praktischen Modellen aus dem Fiat-Baukasten, aber auch mit mutigen Eigenkreationen machte Seat ein ganzes Land mobil und unabhängig. Zunächst mobil mit dem rundlich geformten Seat 600, dem "Bällchen" (La pelotilla), wie die Spanier das Fiat-600-Derivat liebevoll nannten. Unabhängig wurde das Land dann mit eigenständigen Modellen wie den kleinen Sportcoupés 1200/1400 Bocanegra, die 1975 zum Stolz der ganzen Nation wurden. Sogar im Konzert der europäischen Mini-Spezialisten wollten die Spanier nun um die Position der ersten Geige spielen. Aber die wechselnden Seat-Konzernmütter wiesen ihre aufstrebende iberische Tochter stets in die Schranken.

Mit Mii baut Seat einen Ableger des VW Up.

Mit Mii baut Seat einen Ableger des VW Up.

Anfangs geschah dies durch den lizenzgebenden Fiat-Konzern, für den Seat mit Nachbauten der italienischen Erfolgsmodelle außerhalb Spaniens ein ernster Rivale zu werden drohte. Danach nahm Volkswagen Seat seine Kleinstwagen-Kompetenz, indem die Wolfsburger den damaligen Spritspar-Weltmeister Arosa zum Volkswagen Lupo verwandelten und die Arosa-Produktion einstellten. Nur der spanische Blutsbruder des VW Polo, der Seat Ibiza, durfte in der Kleinwagenklasse und bei der Rallye-WM weiterhin Flagge zeigen. Jetzt, genau 55 Jahre nach dem Startschuss für den Seat 600 soll der Seat Mii als Ableger des VW Up die Initialzündung zu neuen Erfolgen in der Zwergenklasse setzen.

Aufstieg zur Industrienation

Gegründet worden war Seat bereits 1950. Das Unternehmensziel war zwar von Beginn an die schnelle Motorisierung Spaniens, dennoch rollte anfangs nur der Fiat 1400 in Seat-Lizenz vom Band. Eine vergleichsweise teure Mittelklasselimousine, die als Taxi, Behördenfahrzeug und Statussymbol für die wohlhabende Mittelschicht diente. Die Entscheidung zur Massenmotorisierung des Landes fiel erst 1956: Fiats neues Volksauto mit Heckmotor, der Typ 600, sollte den Aufstieg des landwirtschaftlichen geprägten Landes zur Industrienation beschleunigen.

Ab 1964 gibt es den Seat 600 auch als Viertürer.

Ab 1964 gibt es den Seat 600 auch als Viertürer.

Die ersten Eigenentwicklungen des größten spanischen Automobilherstellers wurden ab 1963 eingeführt. Während der Kleintransporter Seat 600 Furgoneta Comercial Handwerker und Händler motorisierte, waren die Kleinwagen Seat 600 D Sedan und Seat 800 verlängerte viertürige Varianten des spanischen Volksautos.

Sportcoupés treffen ins Schwarze

Für mehr Klasse und Rasse sorgten Coupés und Cabrios. So setzten die eigenständigen Seat-Modelle 750 Sport (ab 1959) und 600 Milton Spider (ab 1967) vorsichtige Signale der emotionalen Emanzipation von der italienischen Übermutter, während die Fiat-Lizenzen 850 Coupé und Spider (ab 1967 bzw. ab 1970) auf größere Stückzahlen kamen. Voll ins Schwarze trafen 1975 die Eigenentwicklungen Seat 1200 und 1430 Sport. Die Sportcoupés mit mattschwarzer "Bocanegra"-Kunststoffnase standen in unmittelbarem Wettbewerb zu der zeitgleich lancierten Fiat-Berlinetta-Lizenz Seat 128 3P, waren dieser aber nur in den Stückzahlen unterlegen.

Mit dem Seat 850 Sport Spider wird es ab 1970 sportlich.

Mit dem Seat 850 Sport Spider wird es ab 1970 sportlich.

(Foto: autodrom Archiv/sp-x)

Ende der 1970er Jahre verfügte fast jeder zweite spanische Haushalt über ein Auto und die Hälfte zeigte das Seat-Signet. Dann passierte das Unvorstellbare: 1980 entschloss sich der Fiat-Konzern, Seats Kapitalerhöhungspläne zur Finanzierung einer ehrgeizigen Restrukturierung nicht mitzutragen und alle Anteile zu veräußern. Seat stürzte in eine schwere Krise, war man doch gezwungen, in kürzester Zeit eine komplett eigenständige Produktpalette aufzubauen und für die Entwicklung im Exportgeschäft einen Kooperationspartner zu finden. Zum Sanierer wurde der Volkswagen-Konzern, mit dem die Spanier erst einen Kooperationsvertrag schlossen, ehe es zur vollständigen Übernahme durch die Wolfsburger kam. Natürlich war es auch ein Kleinwagen, der Seat 1984 auf eigene Räder stellte. Der erste Ibiza entstand mit Entwicklungshilfe von Porsche (Motor), Karmann (Fahrgastzelle und Produktionsanlauf) sowie Giugario (Design).

Allerdings wurde Seat zum Sorgenkind des Volkswagen-Konzerns. Rendite und Marktanteile gingen verloren, das Markenprofil blieb unklar und traditionelle kleine Erfolgsmodelle wie Arosa und Inca wurden aufgegeben. Erst heute sehen manche Marktforscher wieder einen hellen Schein am Ende des langen Tunnels. Im VW-Portfolio soll Seat die Rolle der jungen, sportlichen Marke mit besonderer Stärke bei Design und Ökologie übernehmen. Die Rolle des Wachstumsmotors spielen dabei zunächst die Kleinwagen Ibiza und Mii, während feurige Cupra- und Bocanegra-Typen, aber auch Elektrovarianten Emotionen wecken sollen. Der Stolz der Spanier wird also wieder den kleinen Helden des Alltags gelten – genau wie vor 55 Jahren, als das "Bällchen" ins Rollen kam.

Quelle: ntv.de, sp-x

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