Die Kunst des Tarnens Facelift vor der Opel-Premiere
29.03.2008, 12:13 UhrVon Axel F. Busse
Das erste Foto vom künftigen Topmodell - dafür stehen sich Prototypen-Paparazzi bei eisigen Temperaturen am Polarkreis oder im Eifel-Dauerregen am Nürburgring gern die Füße platt. Professionelle Bilder geheimer Erprobungsfahrzeuge erzielen, je nach Marke, Zeitpunkt und Qualität der Bilder, einen fünfstelligen Preis. Das wissen die Autohersteller natürlich und ersinnen immer neue Methoden, die Jäger der so genannten Erlkönige zu täuschen. Opel beispielsweise hat dem künftigen Mittelklasse-Modell Insignia schon vor dem ersten offiziellen Fototermin ein "Facelift" verpasst.
Die Außenhaut eines Pkw ist nicht nur wesentliches Erkennungsmerkmal. Das Design setzt auch entscheidende Kaufimpulse bei den Kunden, es bestimmt den Auftritt einer Marke in der Öffentlichkeit. Die Karosserieformen kommender Modellgenerationen vor fremden Blicken zu schützen, ist daher zu einer ganz speziellen Aufgabe in den Entwicklungsabteilungen der Automobilhersteller gereift.
Eine gewaltige Frontschürze oder ein riesiger Heckspoiler können zum Beispiel die Gestalt eines künftigen Modells derart verfremden, dass die endgültige Formgebung noch verschleiert bleibt. Während der größere Teil der Designabteilungen hart an einer möglichst attraktiven Hülle des Neulings arbeitet, beschäftigt sich ein kleiner Teil mit Camouflage. Die Kunst des Tarnens hat bei Opel zum Ziel, die attraktive Karosserielinie des Vectra-Nachfolgers für einen überraschenden neuen Auftritt in der Mittelklasse zu bewahren.
Ein Tarn-Team und seine Mission
Denn, auch wenn heute ein großer Teil der Erprobung eines Neufahrzeugs durch Computersimulation erledigt werden kann, so kann die Überprüfung der Laborergebnisse nur auf der Straße erfolgen. Und dafür ist ein Tarnanzug notwendig. "Bereits als vom neuen Modell nur Computersimulationen oder Tonmodelle in der Designabteilung existierten, begann das für die Tarnung der Prototypen zuständige Team in der Versuchsplanung mit seinen Vorbereitungen. Zusammen mit Chefdesigner und Chefingenieur legte es fest, welche charakteristischen Linien des Autos den neugierigen Blicken der Prototypen-Jäger besonders lange verborgen bleiben sollten", erklärt Opel-Sprecher Wolfgang H. Scholz.
Vor fast zwei Jahren schon hat der Insignia, der am 22. Juli seine Weltpremiere feiert, die erste Testfahrt auf der Nürburgring-Nordschleife absolviert. Dafür entwickelte das Tarn-Team ein "Facelift" für das kommende Modell, das die Prototypen so perfekt wie möglich verunstaltete. Für den ausladenden Heckspoiler wurde ein Holzmodell gebaut, aus dem danach ein Spritzwerkzeug für Kunststoffteile entstand. Immerhin müssen während der Erprobungsphase bis zu 200 Versuchswagen getarnt werden.
Angebracht wird dieser Teil der Tarnung mit Spezialkleber, für eine glatte Oberfläche sorgen Spezialfolien, die zwischen minus 40 und plus 70 Grad Celsius elastisch und reißfest bleiben müssen. An anderen Stellen werden die Folien mit Schaumstoffteilen unterfüttert, um Konturen zu verändern. Auch zur Tarnung der charakteristischen Fensterlinien wird auf Klebematerial zurückgegriffen.
Scheinwerfer und Rückleuchten als echte Herausforderung
Zu beliebten Tricks im Verwirrspiel der Tarner und Täuscher gehören auch falsche Marken- und Kennzeichen. "So kann man ziemlich sicher sein", sagt Wolfgang Scholz, "dass ein Prototyp mit einem blitzartigen Markensymbol und GG-Kennzeichen mit großer Wahrscheinlichkeit kein Opel ist." Besonders schwierig sind Scheinwerfer und Rückleuchten zu tarnen. Denn einerseits sind diese heute eine beliebte Spielwiese der Designer, um Autos leicht wieder erkennbare Merkmale zu verleihen. Anderseits reden dort die Zulassungsbehörden mit, denn sie schreiben vor, dass Lichtkegel, Bremsleuchten und alle anderen Funktionsteile auch bei Prototypen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen müssen.
Ein weiteres Hindernis für ungehemmtes Versteckspiel mit den Versuchswagen ist die Notwendigkeit, diese bei Bedarf auch wieder enttarnen zu können. Für bestimmte Versuche, etwa der Akustiker oder Aerodynamiker, sind alle Anbauteile hinderlich - Tarnungssicherheit hin oder her. Daher setzen manche Autohersteller auf große Schürzen, die mit Klettbändern und Verzurrgurten an der Karosserie befestigt werden. Manchmal bringen auch schon optische Effekte des gewünschten Effekt: Zum Verwischen von Konturen eignet eine möglichst kontraststarke, kleinteilige Beklebung. Schwarzweißes Schachbrettmuster war nicht nur bei Opel sehr beliebt. Diese Optik wurde abgelöst von so genannten Fischies, das sind fischförmige gerundete Rauten, die Fotoobjektive und Augen noch mehr verwirren.
Damit die aufwändig ersonnenen Täuschungsmethoden nicht durch Nachlässigkeit des beteiligten Personals zunichte gemacht werden, gibt es bei Opel ein striktes Regelwerk, wie mit Prototypen umzugehen ist. Diese Richtlinie 531 bestimmt zum Beispiel, dass mit einem getarnten Versuchswagen keinesfalls auf öffentlichen Plätzen anzuhalten ist, etwa um den kleinen Hunger zwischendurch an einem Schnellimbiss zu stillen. Auch ist stets eine Abdeckplane im Fahrzeug mitzuführen. Falls ein Auto mal gegen den Willen seines Fahrers die Erprobung auf offener Strecke beendet, kann es verhüllt werden, bis werksseitige Hilfe naht.
Quelle: ntv.de