IAA in Hannover Große Klagen, kleine Schritte
12.09.2002, 16:55 Uhrvon Christof Johann, n-tv
Nichts ist es mit der Trucker-Herrlichkeit auf der IAA! Keine neuen Monster-Trucks, keine Wasserstoff-Brummis und keine pfiffigen Stadtflitzer für den Kurierfahrer. Jedenfalls nichts, was man nicht schon kennt. Die Nutzfahrzeugbranche hängt wie kaum ein anderer Bereich vom Wohl und Wehe der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Wird weniger produziert, wird auch weniger transportiert. Und werden weniger Waren durch die Welt geschafft, werden auch weniger Brummis gekauft. Wie man es auch dreht und wendet, dieser Zusammenhang ist kausal, derzeit sogar fatal und die Lkw-Bauer haben keine Chance, sich gegen diese Abhängigkeit zu stemmen.
Dazu kommen einige hausgemachte Probleme und Unsicherheiten: Die Einführung der Lkw-Maut im nächsten Jahr wird eine harte Nuss für Spediteure und Hersteller. Ursprünglich aufkommensneutral geplant, ist die angedachte Kompensation für die Transportunternehmer im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens unter den Tisch gefallen. Ein durchschnittlicher 40 Tonner im Fernverkehr wird dadurch im nächsten Jahr mit rund 15 000 Euro belastet. Nur in Deutschland wohlgemerkt. Und ein deutscher Unternehmer, der seine Kilometer überwiegend in heimischen Gefilden abspult, wird davon ganz anders getroffen als etwa sein holländischer Kollege, der nur gelegentlich über deutsche Autobahnen rollt. Die Folge: Neuanschaffung von Lkw werden erst einmal hintenangestellt, bis man in den Speditionen die Folgen überblickt.
Am Ende der Kette sitzen die Hersteller der Nutzfahrzeuge und denen bleibt nichts übrig, als die Bänder langsamer laufen zu lassen. Aber vielleicht ist ihnen das garnicht so unrecht, denn der Preiswettbewerb der vergangenen Jahre hat das Geschäft bis an die Grenze der Unrentabilität getrieben. Umsatzrenditen (Ebit) von ein bis zwei Prozent sind normal und Branchenkenner reden hinter der vorgehaltenen Hand von gnadenlosen Preiswettkämpfen, Dumping-Angeboten und Rabattschlachten. Hält der Trend an, steht der Branche eine neue Stufe der Marktbereinigung bevor. Wer dann nach wem schnappt ist noch nicht ausgemacht und die vielleicht spannendste Frage lautet: Was macht VW? Seit zwei Jahren 34-Prozent-Eigner von Scania, haben sich die Wolfsburger mit ihren Plänen noch nicht aus der Deckung getraut. Nennenswertes Engagement ist bislang nicht zu erkennen gewesen und die einzige strategische Aussage stammt von Nutzfahrzeug-Chef Wiedemann: Wenn VW wirklich ernsthaft ins Nutzfahrzeuggeschäft einsteigt, wird mindestens Ranking-Platz zwei unter den Herstellern angestrebt. Und spannend wird es dann Ende 2003, wenn Volvo der Aufforderung der europäischen Kartellbehörde nachkommt und seine rund 50-prozentige Beteiligung an Scania abgibt. Frage nur, an wen?
Unabhängig vom Gerangel um die Mehrheit machen die Scania-Leute einen guten Job. 6,9 Prozent Umsatzrendite sind einsamer Bestwert in der Branche und die neue Generation von Dieselmotoren mit selbst entwickelter Hochdruck-Einspritzung wird langsam zum Überflieger. Da schaut die Konkurrenz neidisch und setzt alles dran, die Skandinavier zu stoppen. Branchen-Primus Daimler-Chrysler hat die Kritik an seinem Mercedes-Flaggschiff Actros ernst genommen und ihn umfassen weiterentwickelt. Bis zu 300 kg leichter ist er geworden, die Motoren wurden tiefgreifend überarbeitet und laufen jetzt verbrauchsgünstiger sowie schadstoffärmer. Falls auch die Standzeiten der Einspritzelemente erhöht wurden, dürften alle glücklich sein. Und innen sieht der Actros jetzt aus wie die S-Klasse aus gleichem Haus. Offenbar war man bei Mercedes-Benz maulende Fahrer leid, die sich über den Billig-Look in ihrem Truck ärgerten. Auch bei MAN haben die Motorenbauer in Zeiten steigender Kraftstoffpreise gut zu tun. Alle MAN-Baureihe werden ab sofort auf Common-Rail-Motoren umgerüstet, vor allem auch, um die anstehende Schadstoffnorm Euro 3 ab 2003 zu packen.
Renault hat mit dem Magnum nach wie vor den optisch spektakulärsten Truck im Programm, muss jetzt aber sehen, mit dem brandneuen Midlum zu punkten. Der 18-Tonner ist genau da plaziert, wo es derzeit alle schwer haben, Geld zu verdienen, im Segment der mittelschweren Lkw.
Und da es bei Volvo so garnichts brandneues gibt, muss man eben laut klappern, um die Kunden anzulocken. Das neue "Anti-Theft-System" entpuppt sich als gewöhnliche Alarmanlage mit Wegfahrsperre und der Betrachter fragt sich vedutzt, warum das bei Fahrzeugen, die ab 150 000 Euro kosten, nicht schon lange Standard ist. Wie zum Beispiel ABS, doch wie lange hat es gedauert, bis es flächendeckend durchgesetzt war. Noch länger wird es vermutlich dauern, bis ESP vom Markt akzeptiert wird. Der Sicherheitsgewinn ist gerade beim Lkw unbestritten, denn die Kippgefahr ist enorm. Geht der Fahrer zu schnell in die Kurve, merkt er nichts vom drohenden Unheil. Erst wenn er im Rückspiegel seinen funkenschlagenden gekippten Auflieger sieht, ahnt er, was da los ist. Hier hilft ESP nachdrücklich und wenn Autofahrer einen Wunsch frei hätten würde ich Ihnen empfehlen: Wünscht Euch ESP für alle Trucks.
Ebenfalls im Trend: Super-Single-Reifen. Die überbreiten Schlappen auf der Antriebsachse lösen langsam die bekannte Zwillings-Bereifung ab. Hauptvorteil: weniger Gewicht und geringere Breite, was auf der anderen Seite mehr Ladekapazität ergibt. Und Erdgasantrieb. Vor allem im städtischen und Regionalverkehr beginnt sich der extrem umweltfreundliche Antrieb langsam durchzusetzen. Aber auch dazu bedurfte es erst einer massiven Subventionierung durch die Bundesregierung. Und an genau die richtet sich auch der aktuelle Wunsch der Branche: Die Lkw-Maut hat man inzwischen akzeptiert, aber bitte, benutzt einen Teil der Gelder für den Straßenbau. Dann bleibt der so heiß ersehnte konjunkturelle Aufschwung, wenn er denn kommt, wenigstens nicht im Stau stecken.
Quelle: ntv.de