Erste Fahrt mit dem Opel Ampera Hochspannung garantiert
26.05.2010, 11:20 Uhr
Die sichelförmigen Scheinwerfergläser prägen die Front des Elektroautos, das insgesamt recht bullig wirkt.
(Foto: Axel Wierdemann)
Der erste Blitz zierte 1890 das Fahrrad Victoria. Ein weitsichtig gewähltes Logo: In einer Umfrage gilt Opel als führend in der Entwicklung von E-Autos. Wie aber fährt sich der Ampera?
Im vergangenen Monat ist das erste Fahrzeug vom Band gelaufen, voraussichtlich Ende 2011 soll es in Deutschland angeboten werden. Für diesen Beitrag stand ein Prototyp zur Verfügung, zurzeit der einzige in Deutschland, geschätzter Wert etwa eine halbe Million Euro. Die Innenausstattung gibt erst eine ungefähre Ahnung vom Serienauto. Hier und da passen Übergänge nicht zusammen, klaffen fingerbreite Fugen und erinnern Klebstoffreste an Arbeiten aus dem Hobbykeller. Aber das Auto soll ja auch nicht verkauft werden, sondern ahnen lassen, welche Architektur im Innern des künftigen Serienfahrzeugs herrscht.
So dürfen die Kunden zum Beispiel erwarten, dass eine bogenförmig um die vorn Sitzenden herum geführte Verkleidung und Armaturenabdeckung an die Cockpitgestaltung des Opel Insignia erinnert. Und sie dürfen darauf vertrauen, dass das vermeintliche Zukunftsmobil ganz gewöhnliche Rundinstrumente hat, ohne Mäusekino und anderen Schnickschnack. Lediglich eine animierte Funktionsleuchte zeigt an, wann man sich mit dem Fahrstil im ökonomischen Bereich bewegt. Vielleicht werden sie sogar begeistert sein von dem glänzend-glatten Gehäuse der Mittelkonsole, wo die Tasten für Sendersuchlauf oder Heckscheibenheizung unter berührungsempfindlichen Oberflächen verborgen sind. Ein Bedienelement dieses Prototypen werden sie aber vermutlich nicht vermissen: Den "Panic-Button", den roten Notschalter, der im Fall der Fälle alle Systeme schlagartig abschaltet.
Erinnerung an frühere Studien

Gute Öko-Bilanz, aber was wird er kosten? Opel will den Ampera Ende 2011 auf den Markt bringen.
(Foto: Gerhard Graef)
Die Maße des in der Mittelklasse angesiedelten Viertürers sind mit 4,40 Metern Länge und 1,80 Metern Breite in vertrauten Dimensionen, was man von der Frontpartie nicht gerade sagen kann. Die sichelförmigen Scheinwerfergläser, die auch die Nebelscheinwerfer einschließen und bis unter das Niveau des Nummernschildes hinab reichen, machen den Ampera zu einer markanten Erscheinung. Die dynamische Karosserielinie hat im aktuellen Opel-Modellprogramm kein Vorbild, es lassen sich allenfalls Zitate aus den Studien "Flextreme" oder "GTC Concept" erkennen.
Viel wichtiger aber als die Formensprache ist die Antriebstechnik. Zwar verfügt der Ampera sowohl über einen Elektro- als auch über einen Verbrennungsmotor, jedoch sollte er keinesfalls mit den Hybrid-Automobilen verwechselt werden, die von den Marketingabteilungen vieler Hersteller gegenwärtig als Lösung künftiger Mobilitätsprobleme gepriesen werden. Das Auto, dessen Name fast identisch ist mit der 1948 international festgelegten Maßeinheit für Stromstärke ("Ampere") fährt rein elektrisch, und zwar mit einer Batterieladung rund 60 Kilometer.
Das erscheint zunächst dürftig, doch Opel-Ingenieur Dr. Andreas Lassota, erklärt, warum das genug ist: "Mehrere Mobilitätsuntersuchungen unabhängiger Institute haben gezeigt, dass etwa 80 Prozent der täglich von Autofahrern zurückgelegten Strecken nicht länger als 50 Kilometer waren. Für die restlichen 20 Prozent hat unser Ampera einen Range-Extender". Dieses, ungefähr mit "Reichweiten-Verlängerer" zu übersetzende System, besteht im Kern aus einem Ottomotor und einer Ladevorrichtung für die Batterie. Während beim Hybridauto sowohl Verbrennungs- als auch Elektromotor Antriebsfunktionen wahrnehmen, dient dieser 1,4 Liter-Vierzylinder nur zum Laden der Batterie. So werden, verspricht Opel, aus der Reichweite von 60 Kilometern satte 500 und aus einem Mittelklasseverbrauch von sieben bis neun Litern je 100 Kilometer weniger, als ein durchschnittlicher Oktoberfestbesucher an Flüssigkeit zu sich nimmt: 1,6 Liter, errechnet nach dem üblichen Verfahren des EU-Normtests.
Beim Gewicht sehr sensibel

Spannender als der Notfallschalter des Prototypen (unten) sind im Ampera die tastenlosen Bedienungsflächen.
(Foto: Walter Tillmann)
Wäre nicht auch ein Dieselmotor als Kraftspender für die Batterie in Frage gekommen, wo er doch inzwischen bei Verbrauchs- und Abgaswerten vor den modernen Ottomotoren liegt? Im Prinzip schon, sagt Lasotta, aber ein Dieselmotor ist technisch aufwändiger, also teurer, braucht zusätzlich einen Partikelfilter und ist deutlich schwerer als der Benziner. Und beim Gewicht müssen die Konstrukteure von Elektroautos besonders sensibel sein.
Die Lithium-Ionen-Batterie des Ampera wiegt rund 180 Kilogramm, das fertige Auto rund zehn Mal soviel. Der Akku leistet 16 kWh und ist auf eine Lebensdauer von zehn Jahren ausgelegt. Das Wärmeproblem großer Akkus löst Opel mit einem eigenen Kühlkreislauf. Der Antriebsmotor leistet 111 Kilowatt, also etwa 150 PS. Punkte sammelt er vor allem beim Drehmoment, denn 370 Newtonmetern entspricht etwa der Zugkraft eines gesunden Zweiliter-Turbodiesels. Aber anders als beim Selbstzünder steht sie beim E-Motor ständig zur Verfügung, egal, ob man mit Schritttempo durch die Spielstraße rollt oder schon mit 100 km/h unterwegs ist. Bei 160 km/h soll die Höchstgeschwindigkeit erreicht sein. Warum nicht mehr? Lassotas Gegenfrage gibt die Antwort: "Sie fahren ein Auto, das 220 schafft? Wie oft konnten sie das in der letzten Zeit nutzen?" Wer für den Weltmarkt produziert, dem scheint die von fehlendem Tempolimit geprägte deutsche Perspektive offenbar fremd.
Möglich, dass bei den Alltagsnutzern des Ampera die Neuentdeckung von Ruhe und Entspanntheit das Fahrerlebnis prägt. Ist der Startknopf gedrückt, der an den Schubhebel eines Flugzeugs erinnernde Automatikknauf in die "D"-Stellung gezogen, geht es ganz unspektakulär los. Das summende "Straßenbahn-Geräusch", zum Beispiel beim Elektro-Mini ganz präsent, ist allenfalls unterschwellig wahrnehmbar, lediglich das Abrollen der Reifen und die Zugluft sorgen für Klangkulisse. Dank des satten Drehmoments geht es flott voran, ebenso flott strebt die Anzeige der Batterie-Reichweite der Null entgegen. Der Ampera ist in diesen Wochen ein gefragtes Testauto, beim Start war der Akku nicht mehr voll geladen.
Aus dem häuslichen Netz

Unterwegs mit Volt, Watt und Ampere. Der Verbrenner dient lediglich zum Laden der Batterie.
(Foto: Walter Tillmann)
Mit seinem zarten Verbrennungsgeräusch bringt der Benzinmotor etwas mehr Vertrautheit in wahrnehmbaren Begleiterscheinungen des Fahrens. Unter Last dreht er behände hoch und sorgt so für den Strom, ohne den der Ampera keinen Meter zurücklegen kann. Allerdings hört man den kleinen Vierzylinder auch die Mühe an, die ihm diese Arbeit bereitet. Ein souveräner Motorsound hört sich anders an.
Die Zukunft meistern, heißt, sich umgewöhnen. In der Beziehung zum Tankwart wird wohl eine gewisse Entfremdung eintreten, der Besuch an der Steckdose dagegen tägliches Ritual. In drei Stunden soll sich der Ampera am häuslichen Netz satt gesogen haben. Einen Benzinpreis von 1,50 Euro zugrunde gelegt, soll der Ampera-Fahrer mit einem Viertel der Kosten zum Beispiel eines Astra-Fahrers davonkommen. Ob das als Argument reicht, den Kunden das Auto schmackhaft zu machen, muss sich noch erweisen. Ein Elektro-Schnäppchen ist jedenfalls nicht zu erwarten, der Akku allein kostet schon etwa 10.000 Euro. Ob für den Rest deutlich weniger als 30.000 Euro drauf gelegt werden müssen, ist die spannende Frage. Hoch spannend sogar.
Quelle: ntv.de