Betrug erst beim Verkauf Manipulation am Tacho
26.11.2002, 10:53 UhrDer Tonfall am Handy war höflich, die Aufforderung verständlich: "Einen Augenblick Geduld, ich muss erst rechts ranfahren." Doch dann ging es hart ums Geschäft - um Manipulation des Kilometerstands, genauer um Betrug. "Kein Problem", sagte die schwäbelnde Stimme. "Das kostet je nach Fahrzeugtyp zwischen 250 und 600 Euro."
Offenbar wenden immer mehr Bundesbürger einen solchen Betrag auf, um mit vermeintlich geringeren Laufleistungen mehr Geld für ihren Gebrauchtwagen zu erschwindeln. "Nach den Erfahrungen unserer Sachverständigen sind bei den sieben Millionen Gebrauchtwagen, die jährlich den Besitzer wechseln, 10 bis 30 Prozent der Kilometerstände manipuliert", schätzt Lothar Nicolas von der Dekra.
Im rheinischen Neuss gerieten gleich 440 Gebrauchtwagenverkäufer ins Visier der Beamten eines Kriminalkommissariats. Die Polizisten hatten ein Unternehmen durchsucht, dass in Zeitungen für "Tachojustierungen" geworben hatte. "Da gibt es eine gewaltige Dunkelziffer", meint Maximilian Maurer vom ADAC. Allein die Web-Suchmaschine Google listet unter Tachojustierung 418 Eintragungen auf. "Wir stellen Ihren Tachometer auf jeden gewünschten km-Stand ein. Vorort-Service ist nach Absprache möglich. Sollte Ihnen der Weg zu weit sein, können Sie uns den Tacho auch zuschicken", wirbt zum Beispiel ein "Tacho Service Aachen". Weiter: "Unsere Justage ist so ausgereift, dass alle Speicherplätze des km-Standes überschrieben werden. " So sei nicht mehr feststellen, ob am Tacho manipuliert wurde.
Der Dreh am Kilometerzähler gilt hierzulande ganz offensichtlich als Kavaliersdelikt. Und immer mehr arglose Gebrauchtwagen-Käufer zahlen die Zeche für die Tricksereien. "Der Betrug beginnt beim Weiterverkauf frisierter Wagen. Denn kein Gesetz schreibt dem Besitzer vor, dass der Tacho auf dem richtigen Stand sein muss", skizziert ADAC-Mann Maurer den Graubereich. Doch "erst wenn man sich mit einem solchen Eingriff beim Wiederverkauf einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft, liegt eine Straftat vor", sagt Staatsanwalt Johannes Mocken aus Düsseldorf.
Das zu beweisen ist allerdings schwer und das Risiko somit gering. Die Versuchung hingegen ist sehr groß, denn einige zehntausend Kilometer weniger heben natürlich den Preis. Dabei sind die Manipulateure fein raus. Im Neusser Fall musste die Kripo die Aktendeckel zuklappen. Ihr Sprecher Hans-Willi Arnold: "Es konnte kein Strafverfahren eingeleitet werden, weil die Ermittler dem Unternehmenschef glauben mussten, dass er bei jeder Justierung darauf hinweise, dass diese beim Autoverkauf angegeben werden muss."
Per Laptop Tachostand justiert
Sofort mit dem Gesetz in Konflikt kommen Fahrer von Leasingfahrzeugen, die per Laptop erhöhte Fahrleistungen egalisieren wollen. So warnt sogar der Aachener Verstellservice: "Leasing- oder Mietfahrzeuge dürfen nicht justiert werden, da man nicht der rechtmäßige Eigentümer ist." Fachleute wie Maurer glauben, dass "man solche Manipulationen unterbinden könnte". Noch aber hat die Industrie das Thema nicht ernsthaft aufgegriffen, ist eine erkennbare Initiative nicht in Sicht.
Auf ASU- und TÜV-Bericht achten
So muss sich der Gebrauchtwageninteressent noch selbst schützen. Mit einigen Checks können auch Laien der Betrügerei auf die Schliche kommen, weiß der ADAC. Reißen etwa die Eintragungen im Serviceheft ab, kann das ein Indiz für Tacho-Nachbesserung sein. Weitere Kriterien nennt der Aachener Betrieb. "Am Tacho oder am Fahrzeug selbst ist es in den wenigsten Fällen möglich, eine Manipulation festzustellen, wenn die Einstellung korrekt erfolgt ist. Achten Sie auf Zettel für den Ölwechsel, abgestempelte Inspektionen im Service-Heft, Aufkleber mit Service-Terminen in der Türe. Auch in ASU- und TÜV-Bericht ist der letzte Kilometerstand eingetragen. Dieser sollte natürlich nicht höher sein als der Tachostand." Ein Schelm, wer bei solcher Verbraucheraufklärung Böses denkt.
(Von Norbert Michulsky, ddp.vwd)
Quelle: ntv.de