"Raumfahrzeug, Raumgleiter, Raumschiff" Mit der V-Klasse gegen den T5
31.01.2014, 11:58 Uhr
		                      Mercedes-Chef Dieter Zetsche ist sich sicher, dass man in Stuttgart mit der neuen V-Klasse alles richtig gemacht hat.
Mercedes verabschiedet sich aus dem Segment der Großraumvans und erfindet die "Großraumlimousine". Dass man damit dem Wolfsburger Kultobjekt T5 ordentlich in die Seite kachelt, ist wahrscheinlich beabsichtigt.
Im Herzen des blau-weißen Premiumherstellers, in München, präsentiert Mercedes seine neue V-Klasse. Nun gut, BMW dürfte das Modell, das ab Ende Mai im Handel ist und den Viano beerben soll, nicht wirklich interessieren. Das Segment der Großraum-Vans haben die Bayern noch nicht für sich entdeckt. Dafür werden gestrenge Blicke aus Wolfsburg auf dem Neuen von Mercedes ruhen, denn er spielt in einer Liga mit dem millionenfach geliebten T5. Zumal man bei Volkswagen aktuell keine Pläne hat, den Dicken mit Kultstatus aufzumotzen. Und da hätte man auch einiges zu tun, denn die Stuttgarter greifen tief in das Schatzkästchen der technischen Neuerungen, dessen Inhalt schon S-, E- und C-Klasse fantastisch zu Gesicht stehen.
Power für den Vierzylinder
Und hier ist nicht gemeint, dass erstmals im Segment der Großraumlimousinen, wie es Mercedes nennt, das Cockpit komplett in Lederoptik geordert werden kann. Auch nicht, dass die Lichtleisten das Interieur des Fahrzeugs beim Betreten sanft beleuchten und als sogenannte "Welcome Home"-Optik die Passagiere wohlig in den Innenraum ziehen. Nein, es geht um die echten Features, die die V-Klasse in der Funktionalität aus der aktuellen Masse herausheben: der Seitenwindassistent, der Kollisionswarner mit aktivem Bremseingriff, der Spurhalteassistent, die Verkehrszeichenerkennung oder die 360-Grad-Kamera. Insgesamt arbeiten, je nach Ausstattung und Paket, zehn Fahrassistenzsysteme in der V-Klasse. Hinzu kommt das Touchpad, das Fingergesten in sämtlichen Bewegungsrichtungen erkennt, die selektiven Dämpfersysteme, die sich der jeweiligen Straßenbeschaffenheit anpassen und der - Achtung! - Fahrmodischalter, der den Piloten zwischen Economy, Comfort, Sport und Sport Plus wählen lässt. Das allgemeine Handling wird im Übrigen durch eine hier erstmals eingesetzte elektromechanische Servolenkung verbessert.
Bei der Topmotorisierung, dem V 250 BlueTEC mit 190 PS, versprechen die Schwaben im Sport-Plus-Modus bei einem Kickdown eine Drehmomentsteigerung von 440 auf 480 Newtonmeter. Das wäre dann das Leistungsniveau des bisherigen 3-Liter-V6-Turbodiesels auf einen Vierzylinder runtergebrochen. Bei aller Wucht soll das extra für die Belange der V-Klasse angepasste Aggregat aber kaum mehr als 6,0 Liter auf 100 Kilometer verbrennen. Sparmeister im Reigen der überarbeiteten Triebwerke ist aber der V 220 CDI. Für ihn sind 5,7 Liter im Drittelmix im Datenblatt vermerkt. Insgesamt bietet Mercedes für die V-Klasse zum Einstieg drei Diesel mit folgenden Leistungsstufen an: 136 PS, 163 PS und 190 PS. Alle Motoren arbeiten schon in den aktuellen Limousinen von Mercedes. Ob es einen Hybridantrieb geben wird, hängt davon ab, ob die Nachfrage da ist. Möglich, so die Verantwortlichen, wäre es ohne Weiteres.
Raus aus der Nutzfahrzeugabteilung
Apropos Limousine. Genau das ist es, was Daimler mit der V-Klasse schaffen will. Zum einen verzichtet man fürderhin auf den Namen Viano und steckt den in der Nutzfahrzeugabteilung angesiedelten Schwaben in die Limousinen-Nomenklatur. Zum anderen hat Mercedes-Chef Dieter Zetsche bei der Weltpremiere tunlichst vermieden, von etwas anderem als Großraumlimousinen, Raumfahrzeug, Raumgleiter oder Raumschiff zu sprechen. Aber genau diese Zuordnung soll die V-Klasse am traditionsschweren T5 von Volkswagen vorbeifliegen lassen. Und die Zeichen stehen gut, denn auch optisch hat sich die neue Großraumlimousinen vom Van verabschiedet. Mercedes' Chef-Designer Gordon Wagner hat deutliche Anleihen aus der S-Klasse in die Front gesteckt. In den Scheinwerfern strahlt jetzt ebenfalls die markante LED-Braue, der Kühlergrill passt sich der PKW-Optik an und die Frontscheibe wurde entsprechend in den Wind gelegt. Die Seite wird durch eine klar gezeichnete Tornadolinie und eine über dem Schweller angesetzte Sicke geschärft. Am Heck wirken die Leuchten fast filigran, passen sich aber dank der fein gezeichneten LED-Linien sehr gut ein und nehmen dem Hinterteil des Raumgleiters etwas von seiner Wucht.
Damit das Ein- und Ausladen erleichtert wird, greift die V-Klasse ebenfalls auf einen Trick aus der Pkw-Sparte zurück: die separat öffnende Heckscheibe, die am oberen Heckklappenrahmen angeschlagen ist. Für den Kofferraum gibt es eine praktikable Laderaumunterteilung, die wie eine Hutablage das Abteil in zwei Etagen unterteílt, wobei der obere Teil aber mit bis zu 50 Kilogramm belastet werden kann. Um in der Größe zu individualisieren, wird die V-Klasse in zwei Ausstattungslinien angeboten. Hinzu kommen zwei Radstände und drei Fahrzeuglängen von 4,9 bis 5,3 Meter.
Denn auch die Zielgruppe ist hier klar definiert: Familien, Freizeitsportler und öffentliche Shuttleservice-Firmen, die Wert auf "First Class Feeling" legen. Das gibt es natürlich auch für die Insassen. Als einziges Fahrzeug im Segment bietet die Mercedes-Benz Großraumlimousine für Fahrer und Beifahrer auf Wunsch eine 4-Wege-Lordosenstütze und eine aktive Sitzbelüftung. Und vielleicht ist es ja tatsächlich so, wie Zetsche mutmaßt: "Carl Benz wäre V-Klasse gefahren, denn er war nicht nur ein genialer Erfinder, er hatte auch fünf Kinder." Nachweislich wird das Segment der Vans, also jetzt der Großraumlimousine, von der jüngsten Käuferschicht geordert, die man im Hause Daimler hat. Gerade mal 42 Jahre ist das Durchschnittsalter der Käufer.
Der Preis ist heiß
Vielleicht hat man deswegen den Einstiegspreis mit 42.900 Euro recht niedrig bemessen. Bedenkt man, dass Volkswagen mit seinem Multivan in der "Startline"-Version, mit einem 2,0 TDI mit Sechsganghandschaltung und 140 PS bereits 36.515 Euro aufruft, ist das schon eine Ansage. Und bei Mercedes hat man in den Einsteiger schon ordentlich was reingepackt: 7-Zoll-Zentraldisplay, Zierelemente in Klavierlackoptik, 3-Speichen-Multifunktionslenkrad mit zwölf Tasten und beim Automatikgetriebe gibt es sogar die Lenkradschaltpaddles gratis dazu. Auch die in Neigung und Höhe verstellbare Lenksäule, Komfortsitze für Fahrer und Beifahrer mit Seitenairbags, elektrische Feststellbremse und aktiver Feststeller der Fondschiebetür sind in der Grundausstattung drin.
Alles in allem hat sich Mercedes mit der neuen V-Klasse richtig ins Zeug gelegt und ein vielversprechenden Multifunktions-Business-Gleiter auf die Bahn geschoben, der Mitbewerber zum Umdenken zwingen dürfte.
Quelle: ntv.de